© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Gerader Weg gegen die Tyrannei
Linker und rechter Extremismus und die „Dummheit der Masse“: Eine beachtliche Biographie des unter Hitler ermordeten Publizisten Fritz Gerlich
Konrad Löw

Der Publizist Fritz Gerlich bekämpfte Hitler und den Nationalsozialismus ab Sommer 1931 mit Mut, Treffsicherheit, Schärfe. So nimmt es nicht wunder, daß er, bereits im März 1933 inhaftiert, Ende Juni 1934 ermordet wurde. Daher gebührt ihm auf Dauer ein ehrendes Gedenken. In jahrelanger Arbeit hat das Rudolf Morsey geschaffen und eine vorzügliche Biographie vorgelegt.

Fritz Gerlich wurde am 15. Februar 1883 in Stettin geboren. 1901 begann er in München sein Studium der Naturwissenschaften, qualifizierte sich aber schließlich für den Dienst als Archivar. Die katholisch geprägte barocke Atmosphäre beeinflußte den Calvinisten so sehr, daß die Landeshauptstadt Bayerns von nun an seine Wahlheimat wurde. Geistig stand er zunächst der „nationalsozialen Weltpolitik“ eines Friedrich Naumann nahe. 1913 erschien sein Buch „Geschichte und Theorie des Kapitalismus“. Neben seinem Brotberuf als Archivar im Dienste des Königreichs ließ er seiner publizistischen Ader freien Lauf.

Unter der Überschrift „In vorderster Linie gegen Kommunismus und Bolschewismus“ erfahren wir, daß sich Gerlich schon am 16. November 1918 der Deutschen Demokratischen Partei anschloß. Vor der Räteherrschaft in München im April 1919 floh er mit gefälschten Papieren. 1920 erschien sein Buch „Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich“. Zugleich verurteilte er den Antisemitismus der Rechtsparteien als „Spekulation auf die Dummheit der Masse“.

Er hatte in Konnersreuth sein Damaskuserlebnis 

Durch seine antikommunistische Publizistik und Vortragstätigkeit sowie die Einbindung in konservative Kreise hatte sich Gerlich unter Einflußreichen einen Namen gemacht. Dennoch war die Überraschung groß, als er am 1. Juli 1920 zum Hauptschriftleiter der liberalen Münchner Neuesten Nachrichten, der einflußreichsten Zeitung in Süddeutschland, berufen wurde. Im Nationalsozialismus sah er zunächst einen Verbündeten gegen den Bolschewismus. Der Hitlerputsch vom 9. November 1923 enttäuschte ihn jedoch schwer, hatte Hitler doch mehrmals versichert, daß er nur legal an die Macht gelangen wollte. Im Hitlerprozeß verriet er immer noch Sympathien mit dem Angeklagten, wenn auch nicht mehr mit dessen Bewegung.

Keine Biographie Gerlichs kommt an Konnersreuth vorbei. Dort hatte der Chefredakteur ein Damaskuserlebnis, das seinem Leben eine neue Richtung und neuen Inhalt gab. Ein Mitarbeiter hatte Wundersames über eine junge Frau aus dem genannten Ort veröffentlicht, was den liberalen Gerlich veranlaßte, den vermeintlichen Schwindel auffliegen zu lassen. Doch je länger er vor Ort recherchierte, desto mehr schwanden seine Zweifel. So wurde er katholisch, mit ein Grund dafür, daß er nicht länger seine herausragende journalistische Position behielt. Am 9. November 1931 spendete ihm Kardinal Faulhaber das Sakrament der Firmung und ermutigte ihn, den „geraden Weg“ des Kampfes gegen den Nationalsozialismus zu gehen. Es waren die Tage, in denen Gerlich das Sprachrohr, das er sich geschaffen hatte, in Der gerade Weg umbenannte. Mit einem Wahlsieg Hitlers und der NSDAP sah Gerlich Deutschland in einen „Zustand von Barbarei versinken“: „Wer Hitler wählt, macht sich schuldig am kommenden Unheil.“ Der Nationalsozialismus bedeute „Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg, Völkerkrieg“ und verheiße „Lüge, Haß, Brudermord und grenzenlose Not“.

Immer wieder versicherte er, daß er seine Warnungen vor dem „Hitler- und Moskaubolschewismus“ fortsetzen werde. Gleichzeitig prophezeite er, „daß wir zu den ersten gehören werden, die gehängt werden“, wenn es zum Umsturz kommt. Am 23. Februar 1933 schrieb er in einem Brief: „Wir wissen von heute auf morgen nicht, ob wir landesflüchtig oder erschlagen werden.“ Am 9. März 1933 wurde er verhaftet, am 30. Juni 1934 schließlich im Konzentrationslager Dachau ermordet.

Der Biograph schreibt abschließend: „Gerlich erfüllte sein ‘Zeitungsmissionswerk’ bis zum bitteren Ende.“ Wie wahr! Ihm selbst, dem Biographen, ist zu bescheinigen, daß er ein vorzügliches Werk geschaffen hat, das nur jene Fragen offen läßt, die er selbst benennt. Zu Kritik gibt er keinen Anlaß. Doch wenn er wegen des Reichskonkordats von einem „überzogenen Dank“ Faulhabers an Hitler spricht (Brief vom 24. Juli 1933), so verkennt er die dann von Faulhaber geäußerte Bitte, alle politischen Gefangenen freizulassen, eben auch Fritz Gerlich. Seinetwegen hat der Kardinal vor dem Tyrannen – letztlich erfolglos – einen Kotau gemacht.

Rudolf Morsey: Fritz Gerlich (1883–1934). Ein früher Gegner Hitlers und des Nationalsozialismus. Schöningh Verlag, Paderborn 2016, gebunden, 346 Seiten, 29,90 Euro