© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Cowboyhüte und Holzfällerhemden
Pferdemarkt und Gründerzeit im schönen Havelberg in der Prignitz: Tradition, Beständigkeit und Lokalstolz im Elb-Havel-Winkel
Ronald Berthold

Mancherorts bleibt vieles, wie es schon immer war. Havelberg ist so ein Fall. In dem Städtchen, das historisch zur Prignitz gehört, regiert nicht nur seit der Wende mit Bernd Poloski stets derselbe Bürgermeister. 2015 erst wurde der Parteilose für weitere sieben Jahre trotz zweier Gegenkandidatinnen mit überwältigenden 81,9 Prozent wiedergewählt. Die Havelberger mögen es traditionell und scheinen Veränderungen nicht sonderlich zu lieben.

Und so hat sich in der Stadt, in deren Nähe an mehreren Stellen die Havel in die Elbe mündet, auch eine Tradition erhalten, die es so nur noch an wenigen Orten in Deutschland gibt. Am ersten Septemberwochenende findet auch dieses Jahr wieder der Pferdemarkt statt. Das ist schon seit mindestens 1750 so. Noch heute kommen hier Verkäufer und Käufer zusammen. Bis zu tausend Tiere wechselten in Havelberg jeweils in den vergangenen Jahren von Donnerstag bis Sonntag den Besitzer. Und das auf eine Weise, die es nun auch schon im dritten Jahrhundert nacheinander gibt: einfach per Handschlag.

Die Pferdebesitzer sollen den Samstag über bleiben

Der Havelberger Pferdemarkt war immer schon mehr als ein Ort, wo mit Gäulen gehandelt wird. Einst bot die damals noch von Fachwerkhäusern geprägte Stadt auch allen anderen Viehhändlern Platz. Da es aber in der gesamten erreichbaren Umgebung keinen Pferdemarkt gab, bürgerte sich der Name im Zusammenhang mit Havelberg ein.

Heute ist es nicht viel anders. Zwar wird an den Tagen immer noch mit einer unerhört großen Zahl an Reittieren gehandelt, aber das ist nicht allein der Grund, warum jährlich Anfang September bis zu 200.000 Menschen in den nordwestlichsten Zipfel Sachsen-Anhalts kommen. Es gibt Fahrgeschäfte, Buden und das große Bierzelt. Hier zieht Bürgermeister Poloski jedes Jahr mit seiner Frau, dem Marktmeister und der Pferdelady ein, um das erste Faß anzustechen. Ein bißchen Oktoberfest Anfang September. Allerdings trägt das Quartett selbstverständlich weder Lederhose noch Dirndl, sondern Cowboyhüte und Holzfällerhemden. Stilecht eben, wenn es um den Namen des Rummels geht.

Dennoch droht der eigentliche Zweck des Festes immer mehr in den Hintergrund zu geraten: der Pferdehandel. Zuletzt ging die Zahl der verkauften Vierbeiner deutlich in den dreistelligen Bereich zurück. Außerdem zogen viele Händler zuletzt schon am Sonnabend vormittag ab, so daß gerade die am Wochenende besonders zahlreich erscheinenden Besucher kaum noch Tiere zu Gesicht bekamen. Poloski möchte das ändern und die Abreise der Pferdebesitzer auf die Nacht zum Sonntag verschieben. Außerdem will das Stadtoberhaupt die Attraktivität des Marktes erhöhen, indem mehr Pferde in Shows gezeigt werden.

Havelberg hat nur noch 6.600 Einwohner und damit seit der Wende fast jeden dritten Bürger verloren. Damals, als die Mauer fiel, waren es noch knapp 10.000. Gerade nach der Wiedervereinigung zogen viele Menschen in den Westen, der Arbeitsstellen wegen, die anders als erwartet und erhofft, nicht zu ihnen kamen. Sachsen-Anhalt war in den neunziger und auch den 2000er Jahren von starker Arbeitslosigkeit betroffen.

Während viele Einheimische also die Koffer gepackt haben, wurde das Städtchen, das von der Havelschleife und der in etwa zwei Kilometern vorbeifließenden Elbe geprägt und dadurch praktisch am natürlichen Ausdehnen gehindert wird, von zahlreichen Touristen erobert. Der Pferdemarkt ist dabei zwar der größte Anziehungspunkt, aber nicht der einzige. Vergangenes Jahr fand hier auch ein Teil der Bundesgartenschau statt.

Besonders interessiert viele Reisende das romantische Bild, das die Stadt mit ihrer sehenswerten Architektur vor allem aus dem 19. Jahrhundert bietet. Nur wenige der einst dominierenden Fachwerkhäuser und die damals vorhandenen Steinbauten haben den großen Brand von 1870 überstanden. In der Gründerzeit bauten die Havelberger ihre Stadt mit viel Geschmack wieder auf, und nach den zerstörerischen 40 Jahren Sozialismus zeigten sie einen ähnlichen Geist: Die Stadt ist mit ihren wieder hergerichteten Fassaden und dem großen, 1170 erstmals geweihten Dom eine Perle an Havel und Elbe – nicht nur zu Zeiten des Pferdemarktes.