© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

„Dagegen protestiere ich“
Sie ist jung, sie ist wütend. Mit ihrer Islamkritik hat die Bloggerin Ronai Chaker auch die Aufmerksamkeit etablierter Medien erregt
Moritz Schwarz

Frau Chaker, warum sind Sie so wütend?

Ronai Chaker: Weil ich mich oft hilflos und verzweifelt fühle, wenn ich sehe, was um mich herum passiert, wie blauäugig und ahnungslos viele Deutsche gegenüber archaischen Kulturen sind. Das treibt mich dann aber auch an: mich zu Wort zu melden, mich zur Wehr zu setzen und zu versuchen, den Leuten die Augen zu öffnen! Ich kämpfe mit Herzblut und Verstand für eine gerechte Sache – aber auch mit „jesidischem Temperament“. Die kühlen Deutschen nennen es „Wut“.

Der Berliner „Tagesspiegel“ schreibt über Sie, Sie seien „wütend auf den Islam, der für sie eine ‘Ideologie der Eroberung’ ist. Wütend auf ‘Multikulti’, das uns mit Kopftüchern, Kinderehen und Geschlechterapartheid überschwemmt. Wütend auf die Linke, die all dem den Weg bereite.“

Chaker: Und er hätte dazuschreiben können: wütend auf unsere Regierung, die ein falsches Spiel mit uns spielt!

Inwiefern?

Chaker: Einerseits schmückt sie sich damit, Flüchtlinge aufzunehmen. Andererseits tut sie nicht wirklich etwas gegen die Fluchtursachen. Im Gegenteil, seit 2011 ist bekannt, daß die Türkei den IS passiv und aktiv unterstützt hat! Unsere Regierung aber hat das ignoriert.

Berlins Nachsicht zielt doch darauf, den Asylstrom aus der Türkei zu drosseln.

Chaker: Na prima, das führt uns direkt zum nächsten Punkt: Diese Politik macht uns Deutsche doch von Erdogan abhängig, der für uns die Grenzen schützen soll – damit wir scheinbar großherzig weiter offene Grenzen in Europa propagieren können. Im Klartext: Unsere Regierung hat weder den Mut noch das Verantwortungsbewußtsein, die Kontrolle unserer Grenzen selbst in die Hand zu nehmen – und diese notfalls auch zu schließen. Mittlerweile erklärt sich Merkel zwar bereit, die Grenzen zu schließen, möchte aber Flüchtlingskontingente aus der Türkei einfliegen und dieser unbegrenzt Visafreiheit einräumen. Ich sehe da kein drosseln! Weder von seiten der deutschen noch der türkischen Regierung. Zudem ist Erdogan eine Mitursache des Flüchtlingsstroms und trägt nicht zur Lösung bei.

Meist hört man eher von Studenten, die offene Grenzen fordern. Wie reagieren Ihre Kommilitonen, wenn Sie so etwas sagen?

Chaker: Da kommt viel Widerspruch. Obwohl ich Jura studiere, wo die meisten Studenten nicht unbedingt so nach links tendieren. Dennoch sind sie oft für offene Grenzen und „Multikulti“.

Warum sind Sie das nicht?

Chaker: Weil ich weiß, was der Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen in der Realität bedeutet und was Parallelgesellschaften tatsächlich sind. Die meisten meiner Mitstudenten dagegen haben da eine sehr unbedarfte Sicht. Sie machen sich nicht klar, welche Probleme und Gefahren „Multikulti“ auch birgt, wenn man keine klaren Regeln festlegt. Die meisten haben eine rosarote Brille auf.

Zum Beispiel?

Chaker: Zum Beispiel sind sie nicht imstande, zwischen wirklich Schutzbedürftigen und Verfolgern zu unterscheiden. Wodurch viele der wirklich Schutzbedürftigen hier erneut ihren Peinigern ausgeliefert sind. Oder sie können sich kaum vorstellen, daß es Migranten gibt, die zwar völlig überzeugend integriert tun, es tatsächlich aber nicht sind. Oder, daß Integration keineswegs immer weiter fortschreitet, sondern in vieler Hinsicht bereits gescheitert ist. Oder, daß so dem inneren Frieden erhebliche Gefahr erwachsen kann. Oder, daß es nicht funktioniert, Einwanderer nur zu bitten, sich zu integrieren.

Sondern?

Chaker: Na raten Sie mal! Über solche deutsche Unbedarftheit lachen sich viele von denen doch einfach nur kaputt. Ein Großteil der türkischen Gemeinschaft beispielsweise erlebt derzeit eine De-Integration durch die Politik in der Türkei. Nein, wir dürfen nicht bitten – wir müssen fordern, unmißverständlich! Hier sind Politik und Gesellschaft verantwortlich, einen gemeinsamen Nenner zu schaffen, welcher nicht nur in der Einhaltung unserer Gesetze besteht. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit! Wir sind eine Kultur des Fortschritts und keine Kultur des Rückschritts und deshalb sollten Migranten imstande sein, sich von bestimmten Werten, die einem harmonischen Zusammenleben nicht förderlich sind, zu emanzipieren.

Woher wollen Sie all das eigentlich wissen?

Chaker: Weil ich selbst aus einer Migrantenfamilie komme und weil ich mich ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmere. Auch wir waren bereit, uns von vielem zu emanzipieren. Und übrigens, ich bin da nicht allein. Etliche Freunde, die auch aus Einwandererfamilien stammen, sind ebenso entsetzt über die laxe Flüchtlingsspolitik Deutschlands.

Woher kommt diese?

Chaker: Viele Deutsche glauben, im Grunde seien die Kulturen alle gleich. Das aber ist nicht so. Im Gegenteil: Sie sind sogar oft völlig konträr. Etwa ist das Freiheitsverständnis im Islam ein völlig anderes als im Westen. Und vor allem macht es einen entscheidenden Unterschied, ob eine Kultur eine Aufklärung durchlebt hat oder nicht.

Welche Rolle spielt, daß Sie Jesidin sind?

Chaker: Wir Jesiden haben erlebt, was es bedeutet, Minderheit im Islam zu sein. Ich bin zwar zum Glück in Deutschland geboren, meine Familie aber hat diese Erfahrung gemacht. Mein Großvater stammt aus der Türkei, von wo er in den fünfziger Jahren geflohen ist.

Warum? Damals war die Türkei laizistisch.

Chaker: Weil die Schwester meines Großvaters von muslimischen Dorfbewohnern entführt und zwangsverheiratet wurde. Sie ist nie mehr aufgetaucht. Bis heute wissen wir nicht, ob sie überhaupt lebt. Mädchenraub von islamischer Seite erleben Minderheiten im Nahen Osten heute noch. Als Jeside gilt man in einer islamischen Umwelt nicht als gleichwertig. Meinem Großvater war von da an klar, daß wir in der Türkei nicht mehr sicher sind und wir flüchteten nach Syrien. Doch auch dort war der islamische Druck – selbst trotz des Säkularismus dort, trotz des Sozialismus und trotz der alawitischen Regierung der Assads – so stark, daß meine Eltern nicht einmal wagten, sich als Jesiden erkennen zu geben. Schließlich flüchteten wir nach Deutschland. Nun aber müssen wir erleben, daß Deutschland es zuläßt, daß dieser Alptraum, der meine Familie so lange verfolgt hat, Stück für Stück auch hier Einzug hält. Dagegen protestiere ich!

Aber müssen wir nicht gerade „nett“ gegenüber Moslems und Einwanderern sein, wenn wir ihre Herzen gewinnen wollen?

Chaker: Dieser devote Ansatz ist mehrheitlich gescheitert. Zudem: Unsere Werte, die Werte der Aufklärung, sind für mich nicht verhandelbar! Übrigens: Nicht wir lehnen den Islam ab, sondern er uns – solange er nicht bereit ist, hierzulande die Aufklärung anzunehmen.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, eine Islamhasserin zu sein.

Chaker: Quatsch! Ich kritisiere keineswegs nur den Islam, sondern zum Beispiel auch meine eigenen Leute – etwa für die jesidische „Endogamie“. Diese Tradition besagt, daß Jesiden nur Jesiden heiraten dürfen. Ich verstehe, daß diese Tradition einmal sinnvoll war, nämlich zu einer Zeit als es galt, die Jesiden in einer ihnen feindlichen Umwelt als Volk zu erhalten. In Deutschland aber ist diese Tradition überholt und sie führt zu Perversionen wie Ehrenmorden, weil manche Jesiden die Familienehre beschmutzt sehen, wenn ihre Kinder die Endogamie durchbrechen. Tatsächlich ist diese heute eine Form von Rassismus – nur scheint das die meisten „Antirassisten“ in Deutschland nicht zu interessieren. Lieber unterstellen sie mir Rassismus, weil ich diese ablehne. Und ebenso kommt es von moslemischer Seite.

Was meinen Sie?

Chaker: Das funktioniert doch nach dem gleichen Prinzip: Der Islam gefällt sich in der Opferrolle! Er hat es geschafft, daß nicht jene, die Opfer des Islam geworden sind, in Deutschland in erster Linie als Opfer gelten, sondern der Islam selbst. Das aber gibt ihm die Möglichkeit, seine Kritiker zu verunglimpfen. Als den wahren Rassismus empfinde ich es, wenn von seiten der Islam-Apologeten Täter zu Opfern gemacht werden und sie diese hinterhältigen Aggressoren schützen, die uns unsere Freiheiten und Kultur zu nehmen versuchen.

„Hinterhältige Aggressoren“: Zeigt das nicht, daß Sie doch Ressentiments haben?

Chaker: Entschuldigung, aber genau so ist es doch! Wer den politischen Islam vertritt, ist für mich ein Aggressor! Sie versuchen, die Werte und Sitten hierzulande – sie versuchen nichts weniger als die Aufklärung – immer weiter an den Rand zu drücken! Was nicht möglich wäre, wenn ihnen gegenüber nicht so viel falsche Rücksicht geübt werden würde. Das aber kommt einem Selbstmord gleich. Und ich glaube, lieber Herr Schwarz, wenn Sie so etwas sagen, daß auch Sie keine Ahnung von der Realität dieser Parallelgesellschaften haben. Vielleicht weil Sie nicht, wie ich, massiven Beschimpfungen, Einschüchterungen und sogar Morddrohungen von dort ausgesetzt sind. Diesen Leuten gelte ich als „Verräterin“, als „Nestbeschmutzerin“ weil ich es wage, sie daran zu erinnern, daß sie in Deutschland sind. Und daß sie es sind, die sich anzupassen haben. Da sehen Sie übrigens, wie die denken: „wir Migranten“ und „die Deutschen“. Und von denen lassen wir uns erzählen, wie Integration funktioniert?

Haben Sie angesichts der Drohungen Angst?

Chaker: Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Aber wissen Sie, ich würde einfach ersticken, wenn ich den Mund halten würde. Und, so traurig es ist, im Grunde überraschen mich die Morddrohungen nicht einmal. Weil ich natürlich viel gefährlicher bin als Kritiker ohne Migrationshintergrund, die man viel leichter in die „rechte Ecke“ drängen kann. Was mich aber wirklich erschüttert, ist, von wie vielen Deutschen und Linken ich im Stich gelassen werde, dafür daß ich ihre Sache vertrete. Daß sie mich dafür als „Rechte“ anfeinden. Zudem absurd, weil ich es bin, die für Aufklärung und gegen archaische Traditionen Stellung bezieht. Oft werden die wahren Opfer vergessen. Etwa bei der Kopftuchdebatte, wo es einer Betül Ulusoy so leichtfällt, Öffentlichkeit zu bekommen, indem ihr eine breite mediale Bühne geboten wird.

Besonders provoziert hat Ihre Sympathiebekundung für die AfD bei Facebook.

Chaker: Ja, ich bin zwar nicht Mitglied, aber ich fordere auf, sie zu unterstützen.

Warum?

Chaker: Weil dort Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam Stellung für unsere freiheitlichen Werte beziehen können. Und auch, weil ich nicht verstehen kann, warum deutscher Patriotismus so etwas Verdächtiges sein soll. Die Türken, die Kurden und alle anderen dürfen in Deutschland ihre Flaggen zeigen. Aber wehe, die Deutschen tun das – wenn nicht gerade WM ist.

Laut Kritikern heizt die Partei die Stimmung im Land gegen Einwanderer an. 

Chaker: Im Gegenteil, gerade der AfD ist doch zu verdanken, daß die Stimmung im Land nicht eskaliert ist.

Inwiefern?

Chaker: Die AfD ist auch eine Art Auffangbecken für politisch Unzufriedene, das dadurch, daß es überhaupt existiert, deren Gemüter wiederum beruhigt.

Wie reagieren Ihre einwanderungsstämmigen Freunde darauf?

Chaker: Viele von ihnen unterstützen die AfD ebenfalls. Manch andere tendieren dagegen zur FDP, bei der ich auch eineinhalb Jahre Mitglied war, bis mir klar wurde, wie wenig Bereitschaft es dort gibt, die Freiheit wirklich zu verteidigen. Wieder andere sehen die AfD zwar kritisch, sind aber doch froh, daß es sie gibt, weil sonst niemand da wäre, der sich für ihre Interessen einsetzt.

Kennen Sie die Partei denn aus eigener Anschauung?

Chaker: Ja, und ich erlebe dort nicht das, was die meisten Medien berichten. Nämlich Vorbehalte gegenüber Leuten, die ausländische Wurzeln haben. Im Gegenteil, ich erlebe, daß wir dort gut aufgenommen werden.

Sie sprechen auf Facebook von „drei Richtungen“ in der AfD. Welche sind das?

Chaker: Eine Strömung gilt sozusagen als „völkisch“ ...

Das schreckt Sie nicht?

Chaker: Also wissen Sie: Ich bin Jesidin und auch die sind völkisch. Ich kritisiere das, denn trotz meines jesidischen Hintergrunds denke ich nicht völkisch. Aber ich glaube auch nicht, daß alle AfDler, die in den Medien als „völkisch“ dargestellt werden, dies auch wirklich sind. Die zweite Gruppe bilden meiner Beobachtung nach ehemalige Alt-Linke. Und die dritte Gruppe sind bürgerlich Orientierte, die sich in CDU und FDP nicht mehr zu Hause fühlen. Nun warnen viele, die AfD würde nach rechts driften. Natürlich gibt es für mich den Punkt, wo ich und viele andere der AfD den Rücken kehren würden. Aber: Wenn das passiert, glaube ich, ist wohl weniger die AfD an sich schuld, als – ob bewußt oder unbewußt – vor allem die Politiker und Medien, die die AfD ständig verteufeln. Weil sie damit dafür sorgen, daß vernünftige Bürger sich immer weniger trauen, dort mitzuarbeiten. Während man so gleichzeitig Spinnern und echten Rechtsextremen, denen die AfD vielleicht lange zu schlapp war, signalisiert, daß es doch „ihre“ Partei sei. Das aber würde ich gerne mithelfen zu verhindern.






Ronai Chaker, die Bloggerin, die in Marburg Jura studiert, schreibt auf verschiedenen Online-Portalen wie Fisch und Fleisch, Tichys Einblick oder Die Achse des Guten. Ihre Familie kam 1989 nach Deutschland. Geboren wurde Ronai Chaker 1991 im hessischen Seligenstadt in der Nähe von Offenbach. 

 

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