© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Pankraz,
das Abbild und die Ereigniskünstler

In der kommenden Woche erscheint ein neues Buch von Pankraz auf dem Markt, von dem er hofft, daß es zu mancherlei Nachdenklichkeit Anlaß gibt und auch manche wichtige Einsicht vermittelt: „Abbild und Ereignis. Über Kunst, Theater und Film in der Moderne“ (JF-Edition, Berlin 2016, gebunden, 304 Seiten, 19,90 Euro). Seine Thematik ist weit gespannt, die in ihm waltende Methodik auf äußerste Konkretion bedacht; Begriff und Sache sollen faktisch identisch werden. 

Aber der Leser sei trotzdem gewarnt: Dieses Buch ist lediglich eine Art Nebenprodukt. Sein Autor interessiert sich in erster Linie für Politik, Biologie und Literatur; in seinen Essays und Kolumnen kommt die Kunst nur gelegentlich vor, weil sie eben einfach zum Leben dazugehört und manchmal sogar in den Mittelpunkt allen Geschehens rückt. Von der Politik ist sie oft, vielleicht  allzu oft, als Machtinstrument eingesetzt worden, und auch die Literatur hat sich ihrer vielfach angenommen, versucht, sie zu „erklären“, windet ihr Kränze – oder hält  ihr gelegentlich Grabreden.

 Und stets hat sich auch das Finanzwesen, das sprichwörtliche Große Geld, für sie interessiert: gerade in jüngster Zeit, da Kunstwerke aller Art fast regelmäßig zu gigantischen Spekulationsobjekten gemacht werden. Auch der Schreiber dieser Zeilen hat der Kunst schon so manchen Kranz gewunden. Aber nie stand sie für ihn im Mittelpunkt, immer spielte sie eine Randrolle,  so daß er bisher nie auf den Gedanken gekommen ist, die ihr gewidmeten einzelnen Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge zwischen zwei Buchdeckeln zu vereinigen.


Erst der ausdrückliche Wunsch einiger besonders treuer Leser hat ihn schließlich dazu gebracht, sich in diese Richtung in Bewegung zu setzen. Herausgekommen ist dabei freilich ein Band, von dem der Autor nun selber nicht weiß: Ist es ein Kranz – oder doch eine Grabrede, ein teils zorniger, teils wehmütiger Abgesang auf jederlei künstlerische Betätigung?  Doch der Leser darf versichert sein: Hier spricht ein wirklicher Kunstfreund, dessen Liebe zu Bild und Theater von keiner noch so gnadenlosen Kritik getrübt oder gar gänzlich aus der Welt geschafft werden kann.

Hauptobjekt der kritischen Sonde, die dieses Buch anzusetzen versucht, ist die Kunst der abendländischen, europäischen Moderne, welche zutiefst von zwei fundamentalen Phänomenen beeinflußt und teilweise auch schon angeleitet wird. Gemeint sind erstens die gewaltige Entwicklung und Ausfaltung der Technik, speziell der Kommunikationstechnik samt ihrer elektronischen Energien und Gerätschaften, zweitens die nicht weniger gewaltige  Entwicklung und Ausbreitung des sogenannten Massengeschmacks, des von allen offiziellen Instanzen, Staat, Wirtschaft, Medien, geforderten und geförderten künstlerischen „Mitmachens“ zwar eifriger, aber unausgebildeter und unschöpferischer Kräfte. 

Beides, elektronische Robotertechnik wie staatlich herbeigewünschter Massengeschmack, widerspricht an sich dem, was Kunst von Natur aus ist und unter welchem Zeichen sie einst angetreten war: nämlich „Welteinwohnung mittels Abbildung dessen, was einem widerfährt“, Festhaltung und Verewigung des gelebten Augenblicks, ja, Herbeischaffung des Bildes überhaupt, seiner Genauigkeit und, im gleichen Takt, seiner Übergenauigkeit, durch die die abgebildete Welt gleichsam durchsichtig wird und Horizonte der Sehnsucht freigibt. 

Elektronik und Massengeschmack hingegen setzen, falls ungebändigt und ihrer eigenen Mechanik überlassen, das Bild gewissermaßen außer Kurs, ersetzen es durch das „Ereignis“, in dem nur scheinbar Sein und Abgebildetsein, konkrete Wirklichkeitserfahrung und ekstatische Sehnsuchtserfüllung zusammenfallen. Event, Installation, Performance, „Action painting“  – allen diesen erklärtermaßen modernen Kunstformen haftet  unübersehbar ein Moment des Verschwindens an – und nicht wenigen ein Moment der eklatanten Ungenauigkeit.


Man brüllt und zappelt herum, macht den Künstler, den Künstlerkörper, selber zum Kunstwerk, installiert und räumt gleich wieder ab, allerdings nicht ohne vorher das Zappeln und Installieren zu fotografieren und so „für die Ewigkeit“ haltbar gemacht zu haben. Der Zug zur elektronischen Verdoppelung ist auffällig in der neuen Kunst, und er ist verräterisch. Man traut dem Original nicht mehr, will sagen: die technische, digitalisierte Kopie wird zum eigentlichen Kunstwerk. Der voll elektronifizierte Roboter läßt den schöpferischen Menschen peu à peu verschwinden. 

So ist es nur logisch (was für eine betrübliche Logik!), daß auch schon während des künstlerischen Schaffensprozesses die Künstler immer weniger zu sagen haben. Gab es früher nur fürstliche oder kommunale Auftraggeber und freigiebige Mäzene, die sich nicht in die konkrete Arbeit am Objekt einmischten, so wimmelt es in der Gegenwart geradezu von allen möglichen Aufpassern. Kuratoren, Chorführern, Parteisekretären, medialen Alphatieren, die dem modernen Ereigniskünstler ganz ungeniert bis in die methodichen Einzelheiten vorschreiben, was er zu tun und was zu lassen habe.

Von handwerklicher Könnerschaft und Gediegenheit (einstmals erstrangige Gradmesser für künstlerische Verdienst- und Ruhmwürdigkeit)  ist dabei längst nicht mehr die Rede. Vielmehr gilt vielerorts die Devise: Je schlechter, desto besser. Ist die Kunst heute also am Ende? Das hier vorliegende Buch gibt sich – trotzdem es die genannten Kalamitäten scharf und manchmal gnadenlos  ins Auge faßt – größte Mühe, die Frage zu verneinen oder gar überflüssig zu machen. 

Die durch Technik und Volksherrschaft eröffneten Möglichkeiten der Kommunikation müssen keineswegs die  Mühen künstlerischer Abbildung und Darstellung abschaffen, sie können die schöpferischen Mühen auch erweitern und ihnen neue, bisher unerahnte Bildfelder erschließen. Abbild und Ereignis, so will dieses Buch zeigen, schließen sich nicht gegenseitig aus. Jedenfalls ist dies die innige Hoffnung des unverbesserlichen Kunstfreundes Pankraz.