© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Der Flaneur
Nie wieder Emmerich
Bernd Rademacher

Zugegeben, es klingt spleenig, aber seit ich mal gelesen habe, daß Navigationsgeräte den Orientierungssinn verkümmern lassen, fahre ich lieber nach der guten alten Straßenkarte. Auf dem Hinweg klappt das sehr gut, in wenigen Stunden sitze ich statt am Schreibtisch auf der Strandpromenade. Die Nordseebrandung schäumt, die Möwen kreischen.

Auf dem Weg zum Meer etwas Unerwartetes: Eine große Verbotstafel zählt auf, was am Strand alles nicht erlaubt ist. Verboten sind: Surfen, Angeln, Grillen, Hunde, Reiten, Wasserski, Zelten und vieles mehr. Der Anschlag wirkt geradezu preußisch; und das, wo man den Holländern doch so viel Liberalismus nachsagt.

Ein Opa macht Gesten, die in alle Himmelsrichtungen zeigen. Danke und tschüß.

Auf dem Rückweg versagt die Kartenmethode. Eine Baustelle zwingt mich zu einem Umweg, und schon vergurke ich mich im Gestrüpp niederrheinischer Käffer. Ich bin versehentlich in Emmerich gelandet und suche das verdammte Isselburg. Aber Isselburg ist nirgends ausgeschildert. Nur Wegweiser mit Ortsnamen, die auf keiner Karte verzeichnet sind. Mist!

Also mache ich’s wie früher: anhalten und fragen. Der erste Passant am Straßenrand zuckt nur mit den Schultern und sagt mit Akzent: „Nix wissen.“ Na schön, der nächste. Ein vermutlich türkischer Opa murmelt Unverständliches und macht Gesten, die in alle Himmelsrichtungen zeigen. Danke und tschüß. Eine Gruppe arabisch aussehender Jugendlicher will ich nicht fragen; offenbar bin ich Medienklischees aufgesessen, die „irrationale Ängste schüren“.

Die zwei an der Bushaltestelle sehen von weitem wie Eingeborene aus, entpuppen sich aber als stark angetrunkene Russen. Sie freuen sich kindisch über meine arg bescheidenen Russischkenntnisse. Aber sowohl Sprachbarrieren als auch Promillepegel machen meine Hoffnung auf Orientierung zunichte – weiter. Ich komme an einem Park vorbei, doch von den dunklen Gesichtern, die mißmutig unter den Kapuzen hervorschauen, erwarte ich keine Ortskenntnisse.

Ich finde schließlich die Autobahn wieder und stelle fest, zehn Kilometer weiter hat Isselburg eine eigene Ausfahrt. Ich schwöre mir, mich nie wieder nach Emmerich zu verirren!