© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

„Diese Wahl ist ein Signal“
Nach dem Erfolg von Schwerin will die AfD nun die Hauptstadt erobern, angeführt von dem ehemaligen Offizier Georg Pazderski
Moritz Schwarz

Herr Pazderski, die AfD liegt in Berlin je nach Umfrage zwischen zehn und 15 Prozent. Wo sehen Sie sie am Sonntag Abend?

Georg Pazderski: Eher bei 15 Prozent und als zweitstärkste Kraft! 

Zweitstärkste Kraft? Ernsthaft?

Pazderski: Ernsthaft! 

Dazu müßten Sie CDU, Grüne und Linke überrunden. Das ist unwahrscheinlich. 

Pazderski: Ich halte das durch den Rückenwind aus Schwerin durchaus für möglich.

Was genau bedeutet „möglich“?

Pazderski: Erstens: Alles ab zehn Prozent ist ein Erfolg. Schließlich lagen wir vor einem Jahr bundesweit zeitweise bei drei Prozent. Zweitens: Ich rechne mit 12 bis 15 Prozent. Drittens: Auch mehr als 15 Prozent sind nicht unrealistisch, und wir könnten zweitstärkste Partei werden! Ich sage, die Chance dafür ist fünfzig zu fünfzig. 

Was würde das bedeuten?

Pazderski: Das wäre vor allem erneut ein bundespolitisches Signal. Nämlich: Daß die Bürger die Union für ihre Flüchtlingspolitik abwählen!

Mit Landespolitik hätte das nichts zu tun?

Pazderski: Auch, aber dies ist nicht einfach nur eine Landtagswahl.  Dies ist erneut auch eine Abstimmung über die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel. Und jeder Einzug der AfD in einen weiteren Landtag ist ein Votum dagegen.

Sind Ihre Wähler nicht in der Lage, zwischen Landtags- und Bundestagswahl zu unterscheiden, wie ihnen nach dem AfD-Wahlsieg in Mecklenburg-Vorpommern von etlichen Medien vorgeworfen wurde?

Pazderski: Natürlich sind sie das. Es steht aber nun mal derzeit keine Bundestagswahl an, und ich verstehe, daß die Bürger jetzt die Chance nutzen, ihren Unmut über die Flüchtlingspolitik der Etablierten zum Ausdruck zu bringen. 

Also führen Sie gar keinen Landtagswahlkampf?

Pazderski: Doch und vielleicht sogar mehr als die Parteifreunde in Mecklenburg-Vorpommern, wo – wie Spitzenkandidat Leif-Erik Holm in Ihrer Zeitung berichtete – sich die Bürger vor allem für die Flüchtlingsfrage interessiert haben. Das erleben wir in Berlin anders: Hier fragen sie auch stark nach Themen wie Innere Sicherheit, Wohnungsbau oder Bildungspolitik. Gerade was die Innere Sicherheit angeht, ist das kein Wunder: Schätzt die Mehrheit der Berliner diese doch heute als schlechter ein als vor fünf Jahren. Und das, obwohl damals hier Rot-Rot regierte, während seitdem die CDU das Innenressort innehat! Kurz, Berlin hat so viele politische Baustellen, daß sich die Debatte nicht auf „Flüchtlinge“ reduziert. Daher wundert mich auch der „Wohlfühlwahlkampf“, den die etablierten Parteien hier führen. 

Was bitte meinen Sie mit „Wohlfühlwahlkampf“?

Pazderski: Schauen Sie sich die Plakate der anderen an, vor allem der SPD. Kaum werden dort die Probleme der Stadt thematisiert, stattdessen geht es darum, ein Wohlgefühl zu verbreiten und zu versprechen, daß alles bleibt wie es ist. Bitte? Verkehrschaos! S-Bahn-Chaos! Flughafen-Chaos! Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger! Wohnungsmangel! Kriminalität! Parallelgesellschaften! Schulden! Wirtschaftsschwäche und eine miserable Steuerdeckungsquote von nur 55 Prozent! In Berlin erleben wir seit Jahren ein massives Regierungsversagen. 71 Prozent der Berliner sind unzufrieden mit ihrer Regierung. Dazu kommt ein ebenso eklatantes Oppositionsversagen – die es nicht geschafft hat, den Finger in die Wunde zu legen und die Regierung vor sich herzutreiben. Berlin ist heute bestenfalls Mittelmaß. Und das scheint gewollt. Denn die linken Milieus der Stadt haben sich gemütlich eingerichtet. Sie wollen keine Veränderung. Sie wollen den Status quo erhalten: Die Hauptstadt als riesiger Kiez. Aber in einer sich ständig ändernden Welt ist Stillstand Rückschritt. Meine Vision ist, daß Berlin wieder ein Kraftzentrum Deutschlands und Europas wird, wie Anfang des 20. Jahrhunderts, als es Wirtschaftsmetropole, Wissenschaftszentrum und Kulturhauptstadt Europas war. Stattdessen dümpelt die deutsche Hauptstadt vor sich hin. Athen etwa trägt zwanzig Prozent zum Pro-Kopf-Einkommen des Landes bei, Paris 15 Prozent, London elf Prozent – und Berlin? Minus 0,2 Prozent! Berlin ist also ein Zuschußgeschäft für Deutschland, obwohl es eigentlich ein Motor sein müßte!

Wenn 71 Prozent mit der Regierung unzufrieden sind, sind dann Ihre 15 Prozent nicht etwas wenig? Vor allem angesichts der letzten AfD-Ergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Pazderski: Ich meine, 15 Prozent in Berlin sind durchaus vergleichbar mit den 20,8 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Denn Berlin ist ein anderes Pflaster: Erfahrungsgemäß hat die AfD in den östlichen Bundesländern höhere Ergebnisse als in den westlichen – Berlin hat aber einen West- und Ostteil. Und in der Tat haben wir in den Ostbezirken der Stadt bessere Zustimmungswerte; wobei die im Westen auch nicht schlecht sind. Außerdem: Großstädte sind an sich eher „links“ ausgerichtet als Flächenländer. Und tatsächlich ordnen sich fünfzig Prozent der Berliner „links“ ein, dagegen nur 34 Prozent in der „Mitte“ und etwa 15 Prozent „rechts“. Und schließlich: In Berlin haben wir eine starke, äußerst aggressive linke Gewaltszene. Auch wenn ich damit die Probleme der Parteifreunde etwa in Mecklenburg-Vorpommern nicht kleinreden will, die auch mit Gewalt zu kämpfen hatten. In Berlin aber ist es deutlich schlimmer. 

Konkret? 

Pazderski: So schlimm, daß wir zum Beispiel ganz auf Großveranstaltungen verzichtet haben. Dabei hätten wir gerne eine große Kundgebung zum Auftakt und eine zum Abschluß des Wahlkampfes gemacht. Wir haben uns aber dagegen entschieden, weil es dann voraussichtlich zu erheblicher linker Gewalt gekommen wäre, und wir wollten die Gesundheit unserer Mitglieder und der Bürger nicht gefährden. Normale Bürger bleiben unter solchen Umständen aus Angst weg. Statt dessen hätten viele Medien die Chance genutzt, uns in Verbindung mit dem Chaos zu bringen. Gleichgültig, daß wir ja das Opfer gewesen wären. Nicht zuletzt wollten wir angesichts negativer Kosten-Nutzen-Rechnung die Berliner Polizei mit solchen Großeinsätzen nicht belasten. Apropos: Nach meiner Ansicht hat die Schuld für die Gewalt nicht nur die sogenannte Antifa, die ja eigentlich linksextremistische Straftäter sind, sondern auch ein Teil der Medien und der Politik, die die AfD unablässig als eine Art Verfassungsfeinde, ja eine Art „Nazis“ verleumden. Irgendwann verfängt so etwas bei bestimmten Typen und gibt ihnen eine scheinbare Rechtfertigung für Gewalt. Die sich übrigens nicht nur gegen uns, sondern auch gegen Vermieter und Gastwirte richtet. So daß wir kaum noch Räume selbst für normale Veranstaltungen finden. Den Wirten und Hoteliers tut das teilweise selbst leid, aber sie sind so eingeschüchtert, daß sie nicht wagen, an uns zu vermieten.    

Sind Versammlungen und Kundgebungen nicht das demokratische Mittel schlechthin: Die gab es immerhin schon in Athen.

Pazderski: Sie haben vollkommen recht, es ist ein absoluter Skandal. Nur kümmert das weder die meisten Journalisten noch die Vertreter der etablierten Parteien. Ebensowenig wie die Todesdrohungen gegen uns. Neulich sehe ich etwa einen Parteifreund abends auf dem beruhigten Mittelstreifen einer großen Berliner Autostraße gehen. Ich frage, was er dort macht, warum er nicht den Gehweg rechts oder links benutzt. Antwort: Er habe gestern eine Todesdrohung erhalten und bleibe daher lieber in der Mitte im Licht. 

Der ehemalige Berliner Senator und CDU-Wahlkampfmanager Peter Radunski hat mit dem Vorschlag, die Union solle notfalls mit der AfD koalieren, für Aufmerksamkeit gesorgt. Wird seine Anregung in der Berliner CDU Widerhall finden?

Pazderski: Das glaube ich nicht, obwohl sein Vorstoß interessant ist. Man wird wohl vielmehr versuchen, uns wie in allen Landtagen, in denen die AfD sitzt, zu isolieren. Zwar meine ich, daß CDU-Chef Frank Henkel die Wahl politisch nicht überlebt, aber auch unter seinem Nachfolger wird die Union den Ausgrenzungskurs vorerst fortsetzen. Ungeachtet der Tatsache, daß es auf unterer Ebene inzwischen schon etliche gute Kontakte zwischen AfD und CDU gibt, wo die Enttäuschung über die Merkel-Politik sehr verbreitet ist.

Die mitteldeutschen AfD-Landesverbände gelten vielen Medien als „rechts“. Wie sehen Sie die Ausrichtung des Berliner Verbandes, der ja sowohl westlich wie östlich ist? 

Pazderski: Ich würde unseren Landesverband weder typisch westdeutsch noch typisch ostdeutsch nennen, sondern sozusagen dazwischen lokalisieren. Mich selbst würde ich als liberal-konservativ bezeichnen, und so sehe ich auch den Verband – etwas liberaler in den West-, etwas konservativer in den Ostbezirken. 

Sie stammen allerdings aus dem Westen. 

Pazderski: Das stimmt, aber unsere Familie hatte immer sehr enge Verbindungen in die DDR. Als Kind und Jugendlicher habe ich oft meine Ferien bei meinen Großeltern, meinen Cousinen und meinem Cousin in Thüringen verbracht. Und ich habe ab Anfang 1991 sieben Jahre in den neuen Bundesländern gelebt. Ich kenne also die Mentalität der Deutschen dort, weiß etwa zu schätzen, daß sie vielleicht etwas bewußter stolz auf unser Land sind und ein feineres Gespür für die teilweise Tabuisierung des Nationalen haben, die sich im Westen entwickelt hat. Wenn zum Beispiel die Kanzlerin dem damaligen CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bei einer Wahlkampffeier 2013 vor laufender Kamera empört die Deutschlandfahne aus der Hand reißt, weil der damit winken wollte, dann haben sie, wie auch ich, dafür kein Verständnis. Und sie haben die historische Erfahrung von 1989, als sie Freiheit und Recht, erkämpften. Werte, die sie durch die aktuelle Politik nun bedroht sehen, weshalb sie sich sagen: Wir haben jedes Recht erneut auf die Straße zu gehen, um diese zu verteidigen! 

Sie sind ehemaliger Berufssoldat. Spielt das eine Rolle für Ihr politisches Engagement?

Pazderski: Auf jeden Fall, gerade angesichts des Gebietes, auf dem ich gedient habe – nämlich als Generalstabsoffizier in den Bereichen Strategie, Operationsführung, Logistik, Planung und Organisation. Als Offizier lernt man, geordnet und lösungsorientiert zu denken und – auch sehr wichtig – sich selbst zurückzunehmen und in den Dienst der Sache zu stellen. 

Blickt man in die Runde der AfD-Landtagsfraktionen, dann macht mit den besten Eindruck diejenige in Rheinland-Pfalz. 

Pazderski: Eben, die von Uwe Junge, einem Oberstleutnant a.D., geführt wird. Das macht sich eben bemerkbar.

Sehen Sie sich mit Junge als Achse?

Pazderski: Nein, das wäre übertrieben. Aber wir verstehen uns sehr gut, was nicht nur daran liegt, daß wir beide gebürtige Rheinland-Pfälzer sind, sondern eben auch beide Soldaten waren. Dadurch haben wir die gleichen Wertvorstellungen und die gleiche Art zu denken.

Der erste Kanzler, den Sie „gewählt“ haben, war Willy Brandt. Wieso engagieren Sie sich für die AfD statt für die SPD?

Pazderski: Ich hatte damals verstanden, daß der Weg zur deutschen Einheit über die Entspannung führt, und ich fand auch die Geste Brandts gegenüber den Opfern des Warschauer Ghettoaufstandes – den berühmten „Kniefall“ – würdig und längst überfällig. Danach hat mich Helmut Schmidt überzeugt und dann Helmut Kohl. Als Soldat ist man an sich wohl etwas konservativer, und man wird dies auch immer mehr, wenn man älter wird. Denn man bekommt Kinder, gründet eine Familie und macht sich plötzlich viele Gedanken über deren Zukunft, darüber daß Ordnung, Sicherheit, Wohlstand und Bildung für diese bewahrt bleiben. Allerdings sehe ich in meiner politischen Vita doch eher Kontinuität als Wechsel, denn ich habe als Soldat 41 Jahre lang dem deutschen Volk gedient und dazu beigetragen, dessen Recht und Freiheit zu verteidigen, wie ich es in meinem Diensteid geschworen habe. Und das setze ich jetzt als Politiker fort.

Allerdings engagieren Sie sich seit 2009 auch für ein Hilfsprojekt in Afrika. Warum? 

Pazderski: Warum nicht? Das ist kein Widerspruch. Unser Projekt „Perspektive Afrika“ kümmert sich um Straßenkinder im westafrikanischen Burkina Faso, die dort zu verwahrlosen drohen. Wir versuchen, ihnen ein neues Zuhause und vor allem Bildung zu geben, damit sie eine Chance im Leben haben und sich nicht auf den gefährlichen Weg nach Europa machen müssen. Gegründet hat den Verein mein Freund Dr. Ulrich Hochschild, der ehemalige deutsche Botschafter dort. Damals war ich noch aktiver Offizier und konnte ihn dabei unterstützen, ausgesondertes Bundeswehrmaterial, wie Spinde oder Betten, zu organisieren, die dann von der Luftwaffe nach Burkina Faso gebracht wurden. Der Verein ist immer noch aktiv und freut sich über jeden Unterstützer. 

Sie führen den Berliner Landesverband zusammen mit der AfD-Vizevorsitzenden Beatrix von Storch. Wird diese künftig eine Rolle in der Landespolitik spielen?

Pazderski: Nein, Frau von Storch kümmert sich zwar um den Landesverband, politisch ist ihr Fokus aber die Bundes- und Europapolitik. Dennoch, es ist toll, daß wir sie im Rücken haben, wenn es nach dieser Wahl mit uns endlich wieder eine aktive politische Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus geben wird. 






Georg Pazderski, der Diplom-Betriebswirt und Oberst a.D., geboren 1951 in Pirmasens, war Bundesgeschäftsführer der AfD und ist heute Bundesvorstandsmitglied und Vorsitzender der Partei in Berlin. 

Foto: Pazderski: „Dies ist nicht nur eine Landtagswahl. Dies ist auch eine Abstimmung über die Flüchtlingspolitik. Und jeder Einzug der AfD in einen weiteren Landtag ist ein Votum dagegen.“ 

 

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