© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Von Bielefeld bis in die Karibik
Familienunternehmen: Rudolf-August Oetker formte aus der Puddingfirma einen Mischkonzern
Thomas Fasbender

Backpulver, Pudding, Reederei, Brauereien und vieles mehr – gut 400 Tochtergesellschaften, darunter viele bestens eingeführten Marken, nennt die Oetker-Gruppe ihr eigen. Das beschert dem Mischkonzern zwölf Milliarden Euro Jahresumsatz und Platz 17 unter den reichsten deutschen Familienunternehmen. Im weltweiten Nahrungsmittelsektor rangieren die Bielefelder zwar nur im Mittelfeld, dafür ist Dr. Oetker ein Prachtexemplar ungebrochener deutscher Industriegeschichte.

Auf der Skala der beliebtesten Lebensmittel-Marken belegt Dr. Oetker jährlich einen Spitzenplatz. Auch wenn der Verbraucher gar nicht so oft zu Oetker-Produkten greift, so schätzt er an der Marke die Identifikation mit der Gründerfamilie. Die Konkurrenten Maggi und Milka werden von gesichtslosen Konzernen produziert: Der Schweizer Nestlé-Konzern hat den Ruf eines allgegenwärtigen Lebensmittelkraken, und der Milka-Hersteller Mondelez (bis 2014 Kraft) ist eine weitere Holding mit einem unaussprechlichen Phantasienamen. Mit Dr. Oetker ist schwer mithalten; Pudding- und Backpulver aus Bielefeld waren für die deutsche Hausfrau jahrzehntelang identitätsstiftend.

Den Grundstein legte der 1888 promovierte Bielefelder Apotheker August Oetker, Sohn eines Bäckermeisters, als er um 1890 das Backpulver „Backin“ mischte und auf die geniale Idee kam, es portionsweise zu verkaufen. 1903 erwarb er ein Patent für sein „Verfahren zur Herstellung von dauerhaftem Backpulver oder backfertigem Mehl“. 1906 gingen bereits 50 Millionen Päckchen über den Ladentisch. Doch Dr. Oetkers große Zeit begann in Wahrheit erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war der Gründerenkel Rudolf-August, der dem Unternehmen jahrzehntelang die Prägung gab. Am 20. September 2016 wäre er 100 Jahre alt geworden.

Sein Schicksal war der frühe Tod des Vaters: Rudolf Oetker war im März 1916 als Infantrie-Kompaniechef 26jährig in den Grabenkämpfen bei Verdun gefallen war. Rudolf-Augusts Stiefvater, der Bielefelder Industrielle Richard Kaselowsky, stieg als Teilhaber in die Firma ein und sorgte für Wachstum und erste Diversifizierungen. 1944 starben Kaselowsky, seine Frau und zwei Töchter bei einem Bombenangriff im Keller ihrer Bielefelder Villa. Rudolf-August war 28 und Vollwaise, als er 1944 Chef der Dr. August Oetker Nahrungsmittelfabrik wurde.

Vergangenheitsbewältigung und neue Zukunftssorgen

Die Wirtschaftswunderzeit war die Sternstunde des Unternehmens, als die Hausfrauen ihre Familien nach den Hungerjahren mit Kuchen und Pudding aufpäppelten. Rudolf-August nutzte den reichlichen Cash Flow geschickt, um Oetker zu einem breit aufgestellten Mischkonzern auszubauen. Die geschäftlichen Säulen waren Brauereien, Sekt, Tiefkühlpizza und Schiffahrt. Heute gehört den Bielefeldern auch Coppenrath & Wiese. Zu den mehr als 30 Biermarken, zählen Jever, Berliner Kindl bis hin zu Radeberger und Tucher Bräu. Henkell, Söhnlein, Fürst von Metternich, Scharlachberg, Kupferberg, Deinhard und Gorbatschow-Wodka sind ebenso „made by Oetker“. Auch Fünf-Sterne-Hotels wie das Brenners Park in Baden-Baden, das Le Bristol in Paris oder das Eden Rock auf St. Barths in der Karibik gehören Oetker.

Die schon Ende des 20. Jahrhunderts immer wieder angeregte „Vergangenheitsbewältigung“ des Konzerns war von Rudolf-August bis zu seinem Tod 2007 blockiert worden. Sein Sohn August entschied sich nach dem Tod des Vaters zur Flucht nach vorn. Das Ergebnis liegt als Studie des Münchner Historikers Andreas Wirsching vor. Spektakuläres kam dabei nicht zutage; Rudolf-August wurde als Mitglied eines Bielefelder Reitklubs 1933 in die Reiter-SA „überführt“. Erst 1940, als 24jähriger, trat er auch in die NSDAP ein und meldete sich ein Jahr später zur Waffen-SS. Wegen der Firmenübernahme wurde er im Oktober 1944 als Untersturmführer der Reserve freigestellt. Die britische Militärregierung stufte ihn schließlich als unbelastet ein.

Bei seinem 1944 ums Leben gekommenen Stiefvater Richard Kaselowsky trifft die Entschuldigung „Mitläufer“ weniger zu. Der damalige Oetker-Chef war seit Anfang Mai 1933 Parteimitglied, wurde später SS-Gruppenführer und gehörte dem exklusiven Freundeskreis Reichsführer SS an. Als Rudolf-August 1968 durchsetzte, daß die von ihm finanzierte Bielefelder Kunsthalle den Namen Richard-Kaselowsky-Haus trug, löste das heftige Demonstrationen aus. 1998 benannte die Stadtregierung das Haus in Kunsthalle Bielefeld um, woraufhin Rudolf-August sämtliche Leihgaben abzog. Als Trostpflaster gibt es seit seinem 85. Geburtstag 2001 beim Altersheim „Caroline Oetker Stift“ eine winzige Kaselowskystraße – erwartungsgemäß begleitet von erneuten Protesten.

Das größte Manko der Gruppe zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind allerdings die acht Nachkommen, die Rudolf-August mit drei Ehefrauen in die Welt gesetzt hat. Der Altersabstand zwischen der jüngsten und der ältesten Tochter beträgt 40 Jahre. Noch bis Ende 2016 amtiert der zweitälteste Sohn Richard als persönlich haftender Komplementär in der Familien-Holding. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er 1971 durch seine 47stündige Entführung bekannt. Die brutalen Umstände der Tat hinterließen lebenslange Behinderungen. Richard Oetker hat dafür gesorgt, daß jeder der acht Erben zu gleichen Teilen am Unternehmen beteiligt ist.

Wer nach ihm kommt? Angeblich soll Bruder Alfred sich Hoffnungen machen, aber auch über eine Zerschlagung des Konzerns wird spekuliert. Ohnehin ist die Reederei Hamburg Süd (HSDG), der größte Umsatzbringer, seit Jahren defizitär. In der Vergangenheit wurden immer wieder Beteiligungen abgestoßen und neue hinzugekauft. Wenigstens findet die Auseinandersetzung unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Ein geheimes Schiedsgerichtsverfahren kanalisiert den Konflikt. Die Oetkers wollen nicht dem Dr. Oetker schaden.

Infos zur 125jährigen Firmengeschichte:  oetker-gruppe.de

Oetker Hotel Management Company:  oetkercollection.com