© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

„Flüchtlinge oft überqualifiziert“
Arbeitsmarktstudien: OECD und DIW versuchen die Asylzuwanderung schönzureden
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Spiegel-online-Redaktion ist die Empörung anzumerken: „Flüchtlinge in Deutschland sind oft überqualifiziert“, faßte die Internetausgabe des Nachrichtenmagazin das Ergebnis einer OECD-Studie zusammen. „Sie haben eine vergleichsweise gute Ausbildung – und arbeiten oft in Jobs für Geringqualifizierte: Flüchtlinge sind in Deutschland schlechter integriert als in anderen Ländern.“ Springers Welt gab sich dagegen regierungstreu: „Rasante Fortschritte bei Integration in Deutschland.“ Also nicht verzagen, sondern weiterhin Geduld haben, denn wir schaffen das schon: „Die OECD sieht Deutschland bei der Integration von Flüchtlingen auf dem richtigen Weg.“

Es sind Meldungen wie diese, die deutschen Medien wenig schmeichelhafte Bezeichnungen eingebracht haben. Beide Behauptungen kollidieren nicht nur massiv mit der Alltagswahrnehmung, auch die Bundesregierung monierte ein miserables Bildungsniveau der Asylbewerber: „Nicht alle, die da kommen, sind hochqualifiziert. Der syrische Arzt ist nicht der Normalfall“, räumte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) ein. Tatsächlich sei gerade einmal jeder zehnte auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar, schätzte sie 2015.

Doch glaubt man der OECD-Studie über „die Integration von Schutzsuchenden im europäischen Arbeitsmarkt“, so gehen wir einer strahlenden Zukunft entgegen. „Die Voraussetzungen für eine gelungene Integration sind heute besser, und die wirtschaftliche Situation ist sehr gut“, zeigte sich OECD-Arbeitsmarktexperte Thomas Liebig bei Vorstellung der Studie erfreut. „In Deutschland hat sich im vergangenen Jahr sehr viel getan, und es gab ganz erhebliche Verbesserungen beim Integrationsprozeß“, lobte er die Regierung. „Die Flüchtlingskrise wird als Chance genutzt, das Integrationssystem erheblich zu verbessern.“

Masseneinwanderung aus einer destabilisierten Welt also als Chance. Allerdings konnte diese Chance mit der OECD-Studie noch gar nicht erfaßt werden, beruht sie doch auf Zahlenmaterial bis zum Jahr 2014. Die Asylkrise mit dem mittlerweile legendären „Wir schaffen das!“-Befehl der Bundeskanzlerin nahm aber erst im Folgejahr volle Fahrt auf. Aussagen der Studie sind demnach mit Vorbehalt auf die Gegenwart zu übertragen. Und auch hier geben die Zahlen eigentlich wenig Anlaß zum Frohsinn. Rund 1,8 Millionen Asylsucher hielten sich laut Studie 2014 in der EU auf, davon entfielen vier Fünftel auf die Länder Deutschland, Großbritannien, Schweden und Frankreich. Alleine in Deutschland hielten sich mit 660.000 Personen doppelt so viele wie im Vereinten Königreich an zweiter Stelle auf.

„Geringere schulische und berufliche Qualifikationen“

Im Vergleich zu anderen Einwanderern innerhalb der EU fällt die geringe Qualifikation von Asylsuchern auf. Während erstere zu 27 Prozent einen höheren Schulabschluß besitzen, ist es unter letzteren nur jeder fünfte. Auch variiert die Quote innerhalb der einzelnen EU-Staaten. Zwei von drei Asylsuchern in Spanien verfügen über höhere Bildung, während es in Deutschland weniger als 15 Prozent sind. Bezogen auf die Herkunftsländer ergeben sich große Unterschiede. So gaben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 78 Prozent der Iraner und 54 Prozent der Syrer eine höhere Schulbildung an, während 27 Prozent der Afghanen nie und weitere 27 Prozent nur eine Elementarschule besucht hatten.

Auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt das sehr geringe Bildungsniveau im Vergleich zu anderen Einwanderern. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), welche der Integration von Asylanten zwischen 1990 und 2010 nachgeht, zeigt dies. Demnach hatten zwanzig Prozent der Asylanten die Schule ohne Abschluß verlassen, während es unter den übrigen Einwanderern jeder zehnte war. 55 Prozent der Asylzuwanderer verfügten über keinen Berufsabschluß, bei den Zuwanderern insgesamt waren nur 40 Prozent unqualifiziert. Gleiches beim Anteil an Akademikern: „Ein Fünftel der Geflüchteten und ein Viertel der anderen Migranten erreichte einen Hochschulabschluß im Ausland.“

Die „Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt“ erfolgte entsprechend „schleppender“ als die anderer Einwanderer, räumt DIW-Mitarbeiter Martin Kroh ein. „Aber teilweise hat ein Aufholprozeß stattgefunden, und das zu einer Zeit, in der weniger Integrationsmaßnahmen als heute existierten.“ Doch auch hier stimmen die Zahlen eher skeptisch. Während ein Drittel der Einwanderer in Deutschland einen Berufsabschluß erwarb, war es unter den Asylanten nur ein Sechstel. Noch deutlicher wird der Unterschied bei denen, die ganz ohne Qualifikation einreisten. Rund 29 Prozent dieser Einwanderer holte in Deutschland einen Berufsabschluß nach, dagegen waren es unter den Asylanten lediglich elf Prozent. „Geflüchtete verfügten in der Vergangenheit über geringere schulische und berufliche Qualifikationen“, räumt die DIW-Studie ein. „Allerdings sammelte die Mehrheit der Geflüchteten im Ausland bereits Berufserfahrung beziehungsweise erwarb berufliche Fähigkeiten über ausgeübte Tätigkeiten.“

Diese Eigenangaben sind allerdings oft unglaubwürdig, wie die OECD-Studie zugibt: „Selbstangaben zur Qualifikation haben einige Einschränkungen. Erstens werden Personen im Asylverfahren womöglich ‘strategisch’ antworten, wenn sie glauben, eine höhere Qualifikation steigere ihre Chance auf Asyl. Zweitens, auch wenn diese Informationen korrekt sein sollten, heißt dies noch nicht, daß diese Qualifikation auch mit einem einheimischen Abschluß vergleichbar ist – nicht zuletzt weil es große Unterschiede in der Qualität des Bildungswesens gibt.“ Damit dürften sich Studienautoren und die „überqualifizierten“ Asylsucher auf das gemeinsame Prinzip des „Wunschdenkens“ geeinigt haben – und dagegen kommt keine Statistik an.

OECD-Studie „How are refugees faring on the labour market in Europe?“:  www.oecd.org