© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Quicklebendig
Christian Vollradt

Bayerische Eigenständigkeit manifestiert sich in Berlins Mitte auch darin, daß der Freistaat seine Landesvertretung schlicht „Bayerische Vertretung in Berlin“ nennt – was ein bißchen mehr nach einer „richtigen“ Botschaft klingt. 

Dort setzt man auch programmatisch eigene Akzente. So sprach am vergangenen Donnerstag Peter Huber, Richter am Bundesverfassungsgericht und Professor für Staatsrecht an der Universität München, über die Rolle der Nationalstaaten in der Europäischen Union, die „ewige Frage in Zeiten von Brexit und Flüchtlingskrise“. 

Was der Gast aus München da zur Existenzkrise der EU und zu möglichen Alternativen vortrug, bürstete das europapolitische Berliner Einerlei ordentlich gegen den Strich: Die Hoffnung derer, die auf eine „postnationale Konstellation“ (Habermas) gesetzt hätten, nicht zuletzt, um ihre schwierige deutsche Identität hinter sich zu lassen, habe getrogen; unter anderem, weil sie nie mehrheitsfähig gewesen sei. Und so zeigten sich die Nationalstaaten gerade in den Krisen als „quicklebendige Akteure“, die ihren Bewohnern Sicherheit nach innen und außen, soziale Wohlfahrt und demokratische Selbstbestimmung garantierten.

Dem trotzigen „Jetzt erst recht mehr Europa“ nach dem Brexit setzte Huber die Besinnung auf das Wesentliche entgegen. „Gegen die Bürger kann man Europa nicht bauen.“ Daher lautete sein Credo: „Finger weg von allem, das keine Win-win-Situation für Mitgliedsstaaten und die Gemeinschaft ergibt!“ Die EU sei eine zivilisatorische Errungenschaft, die es zu erhalten gilt. „Das heißt allerdings nicht, daß es so bleiben muß, wie es gerade ist.“ Das Mantra, Erweiterung und Vertiefung funktionierten zusammen, habe sich als trügerisch herausgestellt. 

Eine weitere Vergemeinschaftung ist nach Hubers Auffassung nur dort möglich, wo genügend Akzeptanz in der Bevölkerung vorhanden sei; in der Asylkrise zum Beispiel fehle diese Akzeptanz. „‘Dublin’ hat nie funktioniert, in acht von zehn Jahren seiner Geltung hat Deutschland stets die meisten Asylbewerber aufgenommen.“ Weniger Ideologie, mehr Sinn für das Machbare, folgerte der Verfassungsrichter daraus. „Europa scheitert nicht, wenn ein oder zwei Länder die Eurozone verlassen, Europa scheitert nicht an der Einführung von Grenzkontrollen.“ Der Kommission schrieb Huber ins Stammbuch, sie solle weniger politisch sein, nicht wie eine Regierung auftreten, sondern als Dienerin der Mitgliedsstaaten, als ehrlicher Makler. „Wir als Deutsche müssen mal lernen, eigene Positionen zu beziehen!“ Die Behauptung, zwischen deutschen und europäischen Interessen gebe es keinen Unterschied, beruhe entweder auf „Anmaßung, Faulheit oder intellektueller Beschränktheit“. 

?Einen kleinen augenzwinkernden Seitenhieb in Richtung des Gastgebers, des bayerischen Justizminsters Winfried Bausback, konnte sich Huber gegen Ende seines Referats nicht verkneifen. Die Frage, wie er denn Merkels „Grenzöffnung“ im September 2015 beurteile, könne er nicht beantworten. Er laufe sonst Gefahr, als befangen zu gelten, „falls unsere Staatsregierung irgendwann doch noch einmal Klage einreicht“.