© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Auf eigene Faust
Gewalt in Bautzen: Minderjährige Asylbewerber sorgen in der Innenstadt für Ärger / Extremisten verdeutlichen die Hilflosigkeit der Politiker
Paul Leonhard

Das Versagen der Politik in der Flüchtlingskrise macht Sachsen zur Spielwiese von Extremisten. Betroffen sind insbesonders die Kleinstädte mit Asylbewerberheimen. Jüngstes Beispiel ist  Bautzen. In der ostsächsischen Stadt (40.000 Einwohner) gibt es drei Asylbewerberheime mit über 650 Flüchtlingen, darunter ein Objekt, in dem 32 unbegleitete Minderjährige und junge Erwachsene untergebracht sind. Diese trafen sich bisher auf dem zentralen Kornmarkt in der Altstadt, weil es dort freies WLAN gibt und  interessanter ist als im Heim. Wie in anderen Kleinstädten kam es prompt zu Gewalt untereinander und mit Einheimischen, was zwischen April und August zu 72 Polizeieinsätzen führte.  

Bisheriger Höhepunkt der Schlägereien war der Mittwoch abend vergangener Woche, als etwa 20 ausländische Jugendliche Flaschen auf eine Gruppe von 80 Einheimischen warfen. Bei diesen handelte es sich nach Polizeiangaben um „augenscheinlich gewaltbereite Personen, die in großer Zahl dem politisch rechten Spektrum“ zuzuordnen gewesen seien. Die Gewalt sei aber von den Asylbewerbern ausgegangen. Als Polizisten erschienen, wurden diese von den Ausländern mit Flaschen, Holzlatten und anderen Gegenständen beworfen. 

Um eine weitere Zuspitzung der Situation zu verhindern, verhängte der Landkreis Bautzen bis Mittwoch ein Alkoholverbot sowie eine nächtliche Ausgangssperre für Flüchtlinge. Deswegen kam es am Folgetag, an dem kurzfristig eine Kundgebung gegen Fremdenfeindlichkeit angemeldet worden war, nur zu Rangeleien zwischen Rechts- und Linksextremisten. Da letztere verspätet aus Dresden und Leipzig anreisten, hatten sich bei ihrer Ankunft schon „in der überwiegenden Mehrheit junge, erlebnisorientierte Männer“ versammelt, so die Polizei, unter denen zahlreiche „dem rechten Spektrum zuzuordnen“ gewesen seien. Als die 25 Linksalternativen „schwarz gekleidet den Kornmarkt betreten, stellen sich ihnen die auf dem Platz anwesenden rund 300 Einheimischen lautstark entgegen“. 

In der Nacht zum Sonnabend war es nur starken Polizeistreifen zu verdanken, daß es nicht zu Schlägereien zwischen Rechts- und Linksextremisten kam. So wurden bei der Kontrolle von vier auswärtigen Autos, in denen Linksextremisten saßen, Knüppel, ein Einhandmesser, ein Schlagstock, Pfefferspray und Quarzhandschuhe gefunden. Parallel dazu wurde festgestellt, daß sich Rechtsextremisten versammelten, die aber bei Erscheinen der Polizei unter Zurücklassung von Stöcken und Knüppeln flüchteten. Für Ruhe und Ordnung sorgte erst die Einrichtung einer Kontrollzone. 

Die nach der Schlägerei am Mittwoch abend von der Polizei als Rädelsführer ausgemachten jugendlichen Flüchtlinge, zwischen 15 und 20 Jahren alt, wurden inzwischen an andere Standorte gebracht. So wolle man verhindern, daß sie weiterhin ihre Mitbewohner aufstacheln, teilte der Landkreis Bautzen mit. Während der Bautzener CDU-Landtagsabgeordnete Mark Schiemann davor warnt, daß die „minderjährigen Flüchtlinge bei uns zu sehr verhätschelt werden“, hat Bautzens Theaterintendant Lutz Hillmann für diese Verständnis. Er spricht von „Halbwüchsigen voller Hormone, mit schlechten Erfahrungen und einem anderen Ehrenkodex“. Diese seien in Bautzen auf eine „gut organisierte rechte Szene“ gestoßen. Die Rechtsextremisten hätten sich verabredet, in Bautzen gezielt Flüchtlinge zu provozieren und anzugreifen, sagte Bautzens Polizeichef Uwe Kilz. 

Um ähnliche Gewaltexzesse zu verhindern, versuchen zahlreiche Kommunen ein Alkoholverbot auf zentralen Plätzen durchzusetzen. In Bautzen wird darüber seit Wochen ergebnislos debattiert. Denn die gesetzlichen Hürden für ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen sind hoch. Das hat die niederschlesische Stadt Görlitz zu spüren bekommen, als sie ein solches auf zwei zentralen Plätzen durchsetzen wollte. Anlaß waren nicht trinkende Flüchtlinge, sondern polnische Alkoholiker, die über die Grenze auswichen, weil im benachbarten Zgorzelec kein Alkohol mehr getrunken werden durfte. In Görlitz wurde das Verbot dagegen wiederholt von übergeordneten Stellen kassiert. Die Folge waren Schlägereien von Asylbewerbern mit Deutschen, Polen und untereinander. 

Obwohl in Bautzen wegen schweren Landfriedensbruchs gegen mehrere Asylbewerber ermittelt wird, dürfte es keine Abschiebungen geben. Wer sich in Deutschland nicht benehme und straffällig werde, sei auszuweisen, hatte zwar Vize-Landrat Udo Witschas unter Verweis auf das Asylbewerbergesetz angekündigt, war aber prompt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zurückgepfiffen worden. Allein das Amt bestimme über einen Asylantrag, so Bamf-Sprecherin Andrea Brinkmann. Asylsuchende abzulehnen erfordere ein rechtskräftiges Urteil mit Freiheitsstrafe.

Entsprechend hilflos wirkt Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens, wenn er seine Bürger davor warnt, „auf eigene Faust für Ordnung in der Stadt zu sorgen“. Der Parteilose weiß, daß trotz der „neuen Qualität der Auseinandersetzungen“ die Polizei nur so lange vor Ort sein wird, bis die Gewalt an anderer Stelle ausbricht. Gefährdet seien nicht nur ostdeutsche Städte, sondern alle Orte, so Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, „wo junge Männer laut seien, Alkohol tränken und Ordnungsstörungen verursachten“.

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