© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Fasziniert von der schwarzen Linie
Ausstellung I: Die Frankfurter Schirn zeigt in der Schau „Kunst für alle“ Farbholzschnitte in Wien um 1900
Claus-M. Wolfschlag

Der Holzschnitt gehört zu den ältesten Druckverfahren. Dabei wird ein Holzblock zu einer Platte zugeschnitten und geschliffen. Der Künstler bringt darauf eine Vorzeichnung an, die er danach mit diversen Messern als Linienstruktur in das Holz schneidet. Schließlich wird der Druckstock eingefärbt und auf saugfähiges Papier gepreßt.

Das Verfahren wurde auf künstlerischem Gebiet ab 1400 verwendet und fand dann in der Renaissance mit Albrecht Dürer seine erste Meisterschaft. Als sich in der Folgezeit feinere Druckverfahren wie der Kupfer- und der Stahlstich größerer Beliebtheit erfreuten, nahm die Bedeutung des Holzschnitts kontinuierlich ab. Das änderte sich in Europa erst wieder am Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich eine junge Generation von der klassizistischen Bildästhetik löste und nach neuen Ausdrucksformen suchte.

Die Frankfurter Kunsthalle Schirn hat nun den Fokus auf die Wiener Farbholzschnitt-Szene der Jahrhundertwende gelegt. Während die Akademie der Bildenden Künste länger eine konservative Linie verfolgte, wurde die Wiener Kunstgewerbeschule zu einem Anlaufpunkt der künstlerischen und gesellschaftsreformerischen Avantgarde ihrer Zeit. Ihre Keimzelle lag in der von Gustav Klimt, Koloman Moser und anderen 1897 gegründeten Künstlergruppe der „Wiener Secession“. Als Felician Myrbach 1899 die Direktion Kunstgewerbeschule übernahm, wurde die Lehrerschaft teils durch Mitglieder der Secession ausgewechselt. Fortan stand weniger das Kopieren von Vorlagen als vielmehr die Entwicklung eines eigenständigen künstlerischen Stils auf dem Lehrplan der Schüler.

Zur Linienführung gesellte sich der Aquarelldruck

Ein stilistischer Vorreiter der neuen Ausdrucksformen war der aus Prag stammende Universalkünstler Emil Orlik, der sich auf einer Japan-Fahrt intensiv mit dem traditionellen japanischen Farbholzschnitt beschäftigte und die gewonnenen Eindrücke nach Europa vermittelte. So zeigte sich Orlik fasziniert vom graphischen Umgang mit der schwarzen Linie als grundlegender Struktur des japanischen Bildes. Diese Linienstruktur traf in einem Europa auf fruchtbaren Boden, dessen gerade aktueller Jugendstil ebenfalls die Linie als Strukturelement zur Grundlage gemacht hatte.

Zur Linienführung gesellte sich bald der Aquarelldruck. So wurden also nach dem Druck der Umrißlinien und der plastisch modellierenden Schraffuren in einem dritten Schritt abgestimmte Farbtöne auf das Bild übertragen. Öffentliche Verbreitung fanden die nun zahlreich produzierten Farbholzschnitte in den Zeitschriften Ver Sacrum, Die Fläche und Die Graphischen Künste. Zudem konnten Farbholzschnitte zu erschwinglichen Preisen veräußert werden und öffneten den Kunsthandel für neue Gesellschaftsschichten. 

Die Frankfurter Schau findet im Rahmen einer gewöhnungsbedürftigen Ausstellungsarchitektur statt. Der Theaterregisseur Ulrich Rasche hat hierfür 60 teils vier Meter hohe winkelförmige Module als Ausstellungswände in die Räumlichkeiten gestellt. Zwar erzeugt deren grobe Holzstruktur und schwarze Lackierung eine stimmungsvolle und zu den Exponaten passende Atmosphäre. Die bewußt chaotische Anordnung der teils in Schräglage errichteten Wände macht den Besuch der Ausstellung aber leider zu einem verwirrenden Irrgartengang mit teils engen Durchlässen, bei dem sehr leicht versteckte Bildgruppen-Areale übersehen werden können.

Davon abgesehen ist die Schau ein Augenschmaus. Zahlreiche kraftvolle Tierzeichnungen Ludwig Heinrich Jungnickels können ebenso genossen werden wie Carl Molls Straßenszenen oder Hugo Hennebergs romantische Landschaftsbilder. Wie Anton Eichingers „Till Eulenspiegel“ sich fast im Rahmen einer ornamentalen Vignette aufzulösen scheint, so erscheinen Carl Anton Reichels Akte durch ihre von einfachen Linien gehaltenen Farbflächen wie frühe Vorboten späterer Pop-Art und Comic-Kunst.

Die Ausstellung „Kunst für alle“ ist noch bis zum 3. Oktober in der Frankfurter Kunsthalle Schirn, Römerberg, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 9 Euro (ermäßigt 7 Euro). Telefon: 069 / 29 98 82-112

Der Katalog (Taschen Verlag, Köln) mit 420 Seiten und ca. 40 Abbildungen kostet im Museum 35 Euro.

 www.schirn.de