© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Debatte oder Reality-Show
Am 26. September findet das erste von drei TV-Duellen im US-Wahlkampf statt
Elliot Neaman

Seit John F. Kennedy und Richard Nixon 1960 erstmals in einem Fernsehduell gegeneinander antraten, haben sich die live ausgestrahlten Debatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und der Demokraten als fester, ja bisweilen wahlkampfentscheidender Bestandteil des US-amerikanischen Polittheaters etabliert. Je weiter im Zuge der technologischen Entwicklung auch die Fragmentierung der Gesellschaft in unzählige Mikro-Zielgruppen und damit zugleich die Erosion jedes politischen Zusammengehörigkeitsgefühls fortschreitet, desto mehr gewinnen die Duelle an Bedeutung als einzigartige Gelegenheit, ein ungewöhnlich breites und aufmerksames Massenpublikum zu erreichen. So gelang es bereits 1980 einem mittelmäßig erfolgreichen Hollywood-Schauspieler namens Ronald Reagan, skeptische Wähler zu überzeugen, er sei ein seriöser Anwärter auf das höchste Amt im Lande.

Auch in diesem überaus turbulenten Wahljahr wird die erste von drei Fernsehdebatten zwischen Hillary Clinton und Donald Trump am 26. September an der Hofstra-Universität im Bundesstaat New York mit Spannung erwartet, als handle es sich um den Kinostart eines neuen Action-Blockbusters oder um ein sportliches Großereignis. Trump hat seinen gesamten Wahlkampf als eine Art Reality-TV-Show inszeniert, so daß sich schwer einschätzen läßt, ob die Mehrheit der Zuschauer die Debatten ihres Unterhaltungswerts oder ihres politischen Gehalts wegen verfolgen wird.

Aus Sicht der Kandidaten jedenfalls steht viel auf dem Spiel. Für Clinton bieten die Debatten eine Chance, sich den Wählern von einer wärmeren und umgänglicheren Seite zu präsentieren. Infolge der neuen Diskussion und Gerüchte um ihren Gesundheitszustand sind ihre Sympathiewerte in den letzten Umfragen auf das Niveau ihres Rivalen gesunken. Um die 60 Prozent der Wähler verabscheuen beide Kandidaten gleichermaßen: Trump als großmäuligen Rüpel und Clinton als aalglatte Opportunistin. Wenn es ihr nicht gelingt, ihr Image zu verbessern, muß sie damit rechnen, daß eine nicht unwesentliche Anzahl von Wählern sich letztlich nach dem Motto „Augen zu und durch“ für Trump entscheidet. Insbesondere bei den Angehörigen der sogenannten Millenniumsgeneration der Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die beiden Kandidaten nicht über den Weg trauen, wird einige Überzeugungsarbeit erforderlich sein, damit sie sich überhaupt zur Wahlurne bequemen.

Spontanität gegen akribische Vorbereitung

Jedoch auch für Trump bergen die Debatten erhebliche Risiken. Viele weiße Wähler mit hohem Bildungsstand – insbesondere Frauen in den wohlhabenden Randbezirken der Großstädte –, auf deren Stimmen der republikanische Kandidat normalerweise mit einiger Gewißheit zählen könnte, glauben nicht, daß Trump das Zeug zum Präsidenten hat. Freilich könnte ihm gerade sein Ruf als ungehobelter, unberechenbarer, ungebildeter und unerfahrener Politanfänger zum Vorteil gereichen. Denn die Latte liegt niedrig für ihn. Sofern er sich bei der Debatte nicht die Kleider vom Leibe reißt und splitterfasernackt auf der Bühne herumspringt, wird es garantiert Kommentatoren geben, die ihm bescheinigen, ihre Erwartungen „übertroffen“ zu haben. Um zumindest einen Teil der bislang unentschiedenen Wähler für sich einzunehmen, braucht er sich nur ein wenig am Riemen zu reißen, ein staatsmännisches Auftreten vorzuspielen, von grundlosen Ausfälligkeiten gegenüber seiner Rivalin abzusehen und ein paar halbwegs plausibel klingende Argumente vorzubringen.

Die grundverschiedenen Persönlichkeiten und Ansätze der beiden Kandidaten werden bei den Debatten deutlich zum Vorschein treten. Trump will sich nach eigener Aussage auf seine Instinkte und sein „prächtiges Gehirn“ verlassen. Er brüstet sich, ungern mehr als eine Textseite zu lesen, und glaubt, als geborener Redner, ohne Berater und Trainer auskommen zu können. Clinton gilt als umsichtig und methodisch. Zur Vorbereitung auf die Debatten liest sie Stapel von Strategiepapieren, probt mit einem Team erfahrener Diskutanten und hat eine Gruppe von Psychologen beauftragt, ein detailliertes Persönlichkeitsprofil ihres Kontrahenten zu erstellen. Als Trainingspartner haben ihre Berater einerseits Komiker und Schauspieler wie Jon Stewart oder Alec Baldwin, andererseits gewitzte Politprofis wie James Carville, einen engen Vertrauten ihres Ehegatten, oder den New Yorker Kongreßabgeordneten Joseph Crowley vorgeschlagen, der wie Trump im Stadtteil Queens aufwuchs. 

Wie ein Tennisprofi, der vor einem Match stundenlang Videoaufnahmen der Spielzüge des jeweiligen Gegners studiert, will sie sich im Detail mit den Schwächen und Stärken ihres Rivalen vertraut machen, um seine Angriffe parieren und selber den einen oder anderen Treffer landen zu können. Wertvolle Unterstützung erhält sie dabei nicht zuletzt von Trumps ehemaligem Ghostwriter Tony Schwartz, der wissen dürfte, wo dessen wunde Punkte liegen. Die empfindlichsten Hiebe vermochte sie Trump bislang durch persönliche Angriffe zu versetzen, auf die er wiederholt recht dünnhäutig reagiert hat: indem sie etwa den Geschäftssinn des Multimilliardärs oder die Bonität seines Immobilien-Imperiums in Frage stellte.

Clinton sollte sich dennoch hüten, die intellektuellen Schwächen ihres Widersachers auszunutzen und ihre eigene langjährige Erfahrung als First Lady, Senatorin und Außenministerin gegen ihn auszuspielen. Zuschauer, deren Interesse am politischen Klein-Klein sich in Grenzen hält, lassen sich eher durch Körpersprache, Witze, Anzüglichkeiten und ähnliche heitere Auflockerungen als durch anspruchsvolle Argumente überzeugen. Trump hat bereits bei den republikanischen Vorwahlen gezeigt, daß er ein Meister darin ist, Sachfragen mit Humor, Sarkasmus und schneidenden Bemerkungen abzufälschen.

90 Minuten ein Duell, pro Frage je zwei Minuten

Im Gegensatz zu den damaligen Debatten in größerer Runde muß er diesmal allerdings 90 Minuten lang ununterbrochen am Ball bleiben. Die Kandidaten haben jeweils zwei Minuten Zeit, auf die Fragen des Moderators und NBC-Fernsehjournalisten Lester Holt zu sechs unterschiedlichen Themenbereichen einzugehen, und erhalten anschließend Gelegenheit zur direkten Erwiderung auf die Argumente des Gegenübers, gefolgt von einer ausführlicheren Diskussion. Insgesamt stehen pro Thema fünfzehn Minuten zur Verfügung.

Clintons Beraterstab entwickelt derzeit Fallstricke, die Trump zu rhetorischen Eigentoren veranlassen sollen. Allerdings hat dieser bislang eine bemerkenswerte Fähigkeit bewiesen, Kritik an sich abprallen zu lassen. Haarsträubende Bemerkungen, die sich kein anderer Politiker erlauben dürfte, haben seiner Popularität bei den Wählern keinerlei Abbruch getan – ganz im Gegenteil. Der Republikaner wiederum wird es sich nicht nehmen lassen, auf Clintons Schwachstellen herumzureiten. Die vertraulichen E-Mails, die sie als Außenministerin über einen privaten Server verschickt und empfangen hat. Und die Vorwürfe, ausländische Unternehmen und Privatpersonen hätten sich mit großzügigen Spenden an die Clinton-Familienstiftung Gefallen erkauft, werden seit Monaten in den Medien breitgetreten. Clinton wäre gut beraten, die Debatten als Gelegenheit zu nutzen, diese beharrlichen Miniskandale, die einfach nicht aus den Schlagzeilen verschwinden wollen, durch glaubhafte Antworten ein für allemal aus der Welt zu räumen. Wenn sie den Fragen hingegen weiterhin ausweicht, wird das Mißtrauen der Wähler nur zunehmen. 

Bill Clintons Seitensprünge sind ein weiteres Thema, das unweigerlich zur Sprache kommen wird. Sofern Trump die Schadenfreude nicht zu weit treibt und dadurch potentielle Wählerinnen (und Wähler) vergrault, die möglicherweise mit der betrogenen Ehefrau sympathisieren, genügt die Erinnerung an diese peinlichen Episoden womöglich, um im Publikum ernsthafte Zweifel aufkommen zu lassen, ob das Land sich wirklich eine weitere Clinton-Präsidentschaft antun will. 

Die weiteren Debatten finden am 9. und am 19. Oktober in St. Louis und Las Vegas statt. Die meisten Amerikaner haben ihre Wahlentscheidung längst getroffen. Die wenigen noch Unentschlossenen werden bei der Stimmenabgabe am 8. November vermutlich nicht den Ausschlag geben. Es kann also gut sein, daß die diesjährigen Debatten politisch mehr oder weniger bedeutungslos bleiben. Unterhaltsam werden sie auf jeden Fall.