© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Ökologie auf die Palme gebracht
Die Dynamik der indonesischen Palmölproduktion / Alternativen erhöhen den weltweiten Flächenverbrauch
Christoph Keller

Es hat sich herumgesprochen, daß der Verbrauch von Palmölprodukten wie Margarine, Schokoriegel, Kosmetik oder Biokraftstoff mithilft, den Regenwald zu zerstören. Darum durfte der WWF mit seiner Studie „Auf der Ölspur – Berechnungen zu einer palmölfreien Welt“ eigentlich auf geringe öffentliche Resonanz hoffen. Doch das WWF-Papier verblüffte: Denn gegen alle Erwartungen lautete das Fazit nicht, Palmöl zu boykottieren.

Vielmehr lehnt die Umweltstiftung derartihge Radikallösungen ausdrücklich ab, weil alle Alternativen, Soja-, Raps-, Sonnenblumen- oder Kokosöl den weltweiten Flächenverbrauch nur steigern würden: auf einem Hektar Land lassen sich 3,3 Tonnen Palmöl erzeugen, aber nur durchschnittlich eine halbe Tonne aus anderen Ölpflanzen.

Der WWF rät daher deutschen Konsumenten, gezielten Verzicht zu üben, etwa Biodiesel zu meiden sowie Süßwaren aller Art. Im übrigen solle man nur zertifizierte Palmölprodukte kaufen. Was prompt den Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) herausforderte: Selbst wenn Biodiesel hierzulande verboten würde, ginge die Abholzung von Tropenwald zugunsten von Palmölplantagen weiter. Im Vergleich mit den Großimporteuren China und Indien bescheide sich Deutschaland mit 1,8 Millionen Tonnen Palmöl (2013)jährlich. Auf die Politik in Indonesien und Malaysia, den Haupterzeugern mit einem Weltmarktanteil von 85 Prozent, hätte diese Menge keinerlei Einfluß.

Stammt deutscher Biodiesel aus nachhaltigem Anbau?

Zudem stamme der Biodiesel für deutsche Tanks aus nachhaltigem Anbau, also nicht von nach 2008 abgeholzten Flächen, so der VDB. In ihrem Öko-Vertrauen auf Zertifiziertes sind sich Biodiesel-Lobbyisten und WWF jedoch auffallend einig. Andere Umweltverbände wie „Rettet den Regenwald“ oder „Robin Wood“ sehen darin hingegen Realitätsblindheit, da regionale Machtstrukturen Südostasiens und das Krebsgeschwür der Korruption keine Umsetzung von zertifizierbaren Auflagen gestatten.

Eine Kritik, wie sie Exkursionen unabhängiger Wissenschaftler immer wieder untermauern. So zeigt die Studie der Göttinger Geographen Barbara Beckert und Markus Keck für die in der Mitte Sumatras liegende Provinz Jambi geradezu anarchische Zustände auf (Geographische Rundschau, 12/15). Dort und auf Kalimantan (Borneo) vollstreckt die Zentralregierung in Jakarta brutal ihr Programm, den agrarindustriellen Palmölsektor zu Lasten der Natur hemmungslos auszuweiten und Indonesiens Produktionsmenge bis 2020 nochmals massiv, von derzeit 27 auf 40 Millionen Tonnen jährlich zu steigern, obwohl seit 1985 bereits die Hälfte des Regenwaldes der Ölpalme geopfert worden ist. 

Auf Sumatra eröffnen sich im Kampf zwischen Staat, nationalen und internationalen Konzernen und kleinbäuerlicher Bevölkerung inzwischen sogar ganz neue Fronten. Nun komme es auch zu Konflikten in Gebieten, die ihren „sozial-ökologischen Übergang“ lange hinter sich haben. Indigene Gruppen wie die einst semi-nomadischen Batin Sembilan im südlichen Jambi, von Plantagen-Konzernen einst faktisch enteignet und vertrieben, nutzen im Jahr 2000 gesetzlich fixierte Zugeständnisse der Zentralregierung, um sich „ihr“ Land zurückzuerobern.

Im Gegenschlag ließ die Ganda-Gruppe, ein Konzern, der nicht Mitglied des „Runden Tisches für nachhaltiges Palmöl“ (RSPO) ist und mithin nicht einmal zertifiziertes Öl exportiert, mit Hilfe der Armee und privater Sicherheitsdienste Ende 2013 300 Häuser indigener Landbesetzer räumen. 2014 kosteten solche Konflikte den ersten Toten. Mittlerweile schützt das Unternehmen seine Konzessionsfläche in Jambi mit einem fünf Meter tiefen Festungsgraben. Und alle Beteiligen rüsten weiter auf, um ihre Ansprüche auf globaler Ebene zu verfechten. Dadurch hätten Landkonflikte heute, jenseits der Werbung für nachhaltige, zertifizierte Produktion, eine bislang unbekannte Dynamik erreicht.

WWF-Studie „Auf der Ölspur – Berechnungen zu einer palmölfreien Welt“:  wwf.de/