© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

„Die große Mehrheit ist herzensgut“
Reportage: Die Eskalation zwischen jungen Asylbewerbern und Einheimischen im Stadtzentrum von Bautzen war absehbar
Hinrich Rohbohm

Die Stimmung ist aggressiv. „Hey, keine Fotos“, schreit der hochgewachsene, junge Farbige. Er will zur Tat schreiten, den Blick auf die ihm verhaßte Kamera gerichtet. Polizisten halten ihn zurück. Der Mann steht inmitten einer Gruppe Asylsuchender auf dem Kornmarkt, in der Innenstadt von Bautzen. Regelmäßig treffen sich hier die „Umas“. Eine Abkürzung, die für „Unbegleitete minderjährige Ausländer“ steht. Für die Umas aus den Bautzener Flüchtlingsunterkünften ist der Kornmarkt attraktiv. Die umliegenden Geschäfte, das pulsierende Treiben und kostenloses WiFi locken zum Verweilen. 

„Die stehen da jeden Tag“, erzählt die Verkäuferin eines Fleischwarengeschäftes. „Und spielen sich als die Halbstarken auf“, ergänzt eine Kundin. „Als Mann mag das nicht so schlimm sein, wenn man da vorbeigeht, aber als Frau macht man besser einen Bogen um die“, meint die Verkäuferin. Zustimmendes Nicken der anderen im Laden. Einige berichten von beleidigenden Sprüchen ihnen gegenüber. Handgreiflich seien die Asylsuchenden jedoch nicht geworden. 

Keine hundert Meter entfernt sitzt eine andere Gruppe. Deutsche, die man als Problemklientel bezeichnen könnte. Trinker und Rechtsradikale. Manche sind unpolitisch und einfach nur alkoholisiert. Andere sind offenbar rechtsextrem, wieder andere irgendwie beides. Sie haben Bier- und Sektflaschen bei sich, rülpsen, pöbeln. Junge Männer und Frauen. Auf Fotos reagieren auch sie allergisch. „Alter, mach die Kamera aus“, grölt einer von ihnen. Über „die Ausländer“ haben sie nichts Gutes zu erzählen. „Die müssen weg, die machen uns die Stadt kaputt“, meint einer von ihnen. „Die sind mir scheißegal, sollen bleiben wo der Pfeffer wächst“, sagt eine junge Frau aus der Gruppe und macht eine verächtliche Kopfbewegung in Richtung der Immigranten, in deren Nähe vier Einsatzwagen der Polizei stehen. Mehrere Beamte sind zugegen. Von einem der jungen Männer nehmen sie die Personalien auf. „Gehen Sie bitte weiter, wir haben gerade einen Fall zu klären“, fordert einer von ihnen Passanten auf.

Die Polizeipräsenz kommt nicht von ungefähr. Schon seit Monaten war es auf dem Kornmarkt immer wieder zu Pöbeleien zwischen Umas, Trinkern und Jugendlichen aus der „rechten Szene“ gekommen. Bis vor zwei Wochen die Verbalattacken in Gewalt ausarteten (JF 39/16). Laut Polizeiangaben hatten Immigranten damit begonnen, aus ihrer Gruppe heraus mit Flaschen und Steinen in Richtung der Trinker zu schmeißen. Zuvor sollen sich laut Polizei Rechtsradikale im Internet zu einem Angriff auf die Umas verabredet haben. Ein Großaufgebot der Polizei hatte die Gruppen voneinander trennen müssen, von Jagdszenen auf Ausländer war in manchen Medien die Rede. „Da wird mal wieder maßlos von den Medien übertrieben“, sagt ein asiatischer Restaurantbetreiber der JF. Seinen Namen und sein Geschäft möchte er nicht in der Zeitung genannt sehen. „Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Bautzenern. Die große Mehrheit hier sind herzensgute Leute.“ Er und sein Gastronomiebetrieb seien in der Stadt akzeptiert. „Aber wenn man als Fremder natürlich die Leute bespuckt und die Frauen blöd anmacht, darf man sich über negative Reaktionen nicht wundern.“ 

Es komme immer auf einen selbst an. „Bist du freundlich zu den Menschen, sind sie normalerweise auch freundlich zu dir.“ Was sich auf dem Kornmarkt zwischen Umas, Trinkern und Rechtsradikalen abspiele, repräsentiert für ihn vielmehr den Rand der Gesellschaft. „Das sind Leute, die mit sich selbst nicht im reinen sind, eine Minderheit.“ Natürlich haben seine Gäste davon auch etwas mitbekommen. „Die Fragen sich dann, wieso greift die Polizei da nicht ein und steht nur tatenlos daneben?“ 

Als der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens in der ARD-Fernsehsendung „Anne Will“ Klartext redete, habe er ausgesprochen, was viele in der Stadt denken. „Dieses Schwarzweißdenken guter Ausländer und böse Deutsche aus Sachsen muß in den Medien aufhören.“ Viele Bautzener würden Pressevertreter aufgrund oft wertender und einseitiger Berichte verachten. 

Entsprechend zurückhaltend reagieren sie auf Fragen zu den Vorgängen rund um den Kornmarkt. „Von mir erfahren Sie nichts. Wollen Sie hier etwas kaufen oder nicht?“ lautet daher oft die wenig einladende Antwort von Geschäftsleuten, wenn man sich ihnen gegenüber als Pressevertreter zu erkennen gibt. „Ich sag da gar nichts dazu, fragen Sie doch die Polizei“, meint eine Rentnerin, die gegenüber dem Platz auf den Bus wartet. Die anderen Wartenden schließen sich ihr an, schweigen ebenfalls. „Eine Schande ist das, eine Schande für Bautzen, und die Polizei guckt zu“, murmelt die Frau dann doch noch. Wieder nicken die Umstehenden. Was sie damit meine will sie nicht sagen. „Hoffentlich gibt‘s bald Krieg, damit endlich Schluß ist mit dem Ganzen hier“, wird die alte Dame dann plötzlich lauter. Auf die Frage, wie das zu verstehen sei, schweigt sie erneut.

Ihren ganz eigenen Krieg liefern sich rund um den Kornmarkt Rechtsextremisten und Antifa. Beide Seiten mobilisieren, rufen zu Demonstrationen auf, heizen die explosive Stimmung weiter an und versuchen, die Situation für sich politisch zu instrumentalisieren. Die Scharmützel lassen sich auch an den graffitibesprühten Hauswänden in den vom Kornmarkt abzweigenden Seitenstraßen ablesen. „Against Antisemitism“ steht da etwa geschrieben. Das „Against“ wurde durchgestrichen und mit „for“ ersetzt. 

Eine unrühmliche Rolle sollen einige Flüchtlingshelfer spielen, die der linken Szene angehören und sich schützend auch vor kriminell gewordene Umas stellen.   

In den Abendstunden hat sich die Szenerie seit den Krawallen verändert. Um 19 Uhr ist keiner der Umas mehr auf dem Kornmarkt zu sehen. Sie haben sich zu diesem Zeitpunkt nun in ihren Unterkünften einzufinden. Doch die Probleme bleiben. Etwa mit dem 20 Jahre alten Libyer Mohamed Youssef T., der als Anführer der Umas vom Kornmarkt gilt. Er soll Drogen an Minderjährige verkauft haben, ist zudem wegen Diebstahl angeklagt. Erst kürzlich wurde ein 18 Jahre alter Asylsuchender zusammengeschlagen. Die Täter: zwei gleichaltrige Immigranten.