© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Die Spontis von rechts
Durchlauferhitzer oder Resozialisierungsprojekt? Die Identitäre Bewegung verunsichert Etablierte und die AfD
Martin Voigt

Die Gruppe auf dem Dorothea-Schlegel-Platz in Berlin schwenkt gelbe Fahnen. Viele Dutzend Fotografen umkreisen circa 160 überwiegend junge Leute, die fast alle eine Sonnenbrille tragen und sich Kapuze oder Mütze tief in die Stirn gezogen haben. Die Fotografen huschen hin und her und versuchen einen Moment abzupassen, in dem der eine oder andere direkt ins Objektiv blickt. Eine ungemütliche Stimmung aus Trotz und Ausgeliefertsein liegt in der Luft.

Es ist der 17. Juni, der Jahrestag des Volksaufstands in der DDR, den sich die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) für ihre Demonstration ausgesucht hat. Ein paar Mädchen sind auch dabei, sie stehen vorne und halten das Banner der IBD. Ihr Ziel ist ein Protestmarsch zum Potsdamer Platz unter dem Motto „Aufstand gegen das Unrecht und für unsere Zukunft“.

Bis auf die Fotografen, von denen manche äußerlich dem Antifa-Milieu zuzuordnen sind, scheint niemand zu wissen, wer die IBD ist. Manche Passanten gucken etwas ratlos und bekommen gelb-schwarze Informationszettel in die Hand gedrückt. 500 Mitglieder hat die IBD bundesweit nach eigenen Angaben ungefähr. Das klingt überschaubar, doch der Medienrummel ist gewaltig.

„Die Identitären – das neue große Ding der Rechten“, titelte die Welt, und die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Verfassungsschutz warnt vor neuen Rechtsextremen“. Ähnlich Die Zeit und Bild: „Verfassungsschutz beobachtet Identitäre Bewegung“. Ein langes Portrait veröffentlichte die Huffington Post: „Identitäre Bewegung: Das lächelnde Gesicht der Neuen Rechten“. 

Die IBD stellt sich auf ihrer Netzseite mit einem Video vor. Wut und Entschlossenheit liegt in den jungen Gesichtern. Abwechselnd sprechen sie in die Kamera. Die Anklage könnte bitterer nicht sein: Ihr liebt und fördert das Fremde und haßt und bekämpft das Eigene. Ihr predigt die Vielfalt der Kulturen, doch betreibt ihre Zerstörung. Ihr macht eine Politik, die unsere Werte und Traditionen für eine multikulturelle Utopie opfert. 

Das Video hat auf Youtube 300.000 Klicks. Ein halbes Jahr ist es erst online, doch die IBD gibt es schon seit 2012. Sie stammt ursprünglich aus Frankreich und hat in vielen europäischen Ländern einen Ableger. Ihr Erkennungszeichen ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in stilisierter Form, das in dem martialischen Schlachtenfilm „300“ (2006) auf den Schilden der Spartaner prangt, die gegen einen Angriff der Perser kämpfen: ein schwarzer Keil auf gelbem Grund.

Das Feindbild seien die 68er, nicht die Flüchtlinge

Eine Zeitlang dümpelte der deutsche Ableger der IB vor allem in den Weiten der sozialen Online-Netzwerke vor sich hin, postete Botschaften auf Facebook und sammelte Likes und Freunde. Dann kam die Asylkrise. Plötzlich passieren Millionen junge Männer aus weit entfernten Ländern offene Grenzen, unkritisch bejubelt von Medien und politischer Klasse. Das Feindbild der Identitären sind nach eigener Aussage nicht die Flüchtlinge und Glücksritter aus nordafrikanischen und vorderasiatischen Ländern, sondern die durch die Institutionen gewanderten Achtundsechziger. Mit ihren eigenen Waffen will man die Revoluzzer von damals politisch bloßstellen, mit Protest auf der Straße, Sit-ins und viel Jugendkultur.

Die Demo in Berlin, satirischer Protest gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Besetzung des Brandenburger Tores (JF 36/16) und die Störung einer Radiosendung mit Jakob Augstein und Margot Käßmann Anfang September sind erste auf Youtube festgehaltene Sponti-Aktionen der IBD. Und wieder überschlug sich die Presse, fassungslos angesichts junger Protestler, die offensiv ein abweichendes, nationales Weltbild vertreten.

Die Patriotische Plattform der AfD, ein Zusammenschluß des rechten Parteiflügels um den Magdeburger Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, unterstützt die IB und kündigt auf ihrer Internetseite an: „Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen Identitärer Bewegung und AfD.“ Ein weiteres Vorstandsmitglied der Patriotischen Plattform nahm an einer Demonstration der Identitären in Wien teil: Dubravko Mandic, ein wiederholt durch einschlägige provozierende Äußerungen ins Gerede gekommenes Mitglied des Landesschiedsgerichtes der Südwest-AfD, deren Vorsitzender der Co-Chef der AfD, Jörg Meuthen, ist. Mehrere Mitglieder der Jungen Alternative (JA) sollen bei der IBD organisiert sein. Das gefällt in der AfD nicht allen so sehr wie dem rechten Flügel der Partei. 

Die IBD will den öffentlichen Diskursrahmen über gezielte Provokationen wieder etwas nach rechts verschieben. Der Fraktionsvorsitzende der AfD in Thüringen, Björn Höcke, und der Verleger Götz Kubitschek spielen dabei eine zentrale Rolle: Kubitscheks Verlagshaus in Schnellroda ist inoffizielle Schaltzentrale der IBD. Martin Sellner, der österreichische Vordenker der Identitären, ist bei Kubitschek beschäftigt.

Für die AfD-Vorderen ist die IBD so etwas wie eine Black Box. Niemand weiß, woher die Anhänger der IBD genau kommen. Wer hatte einen Vorlauf in der NPD? Wer war vorher bei den rechtsextremen „Autonomen Nationalisten“ aktiv? Ein IB-Aktivist aus Mecklenburg-Vorpommern lief noch 2012 mit einem Transparent der „Nationalen Sozialisten Rostock“ auf einer rechtsextremen Demonstration. „Ich habe die Aktivisten der IBD als gebildet, vernünftig und gemäßigt im Denken, in der Sprache und im Auftreten erlebt“, sagt Hans-Thomas Tillschneider gegenüber der JF. Der Geist, der dort herrsche, sei himmelweit entfernt von dem, was man mit „Autonomen Nationalisten“ verbinde. „Wenn es einzelne gibt, die ihren Weg vom Extremismus zur IB gefunden haben, dann haben sie ihre Einstellung grundlegend geändert. Das gilt es zu honorieren. Die IB kann junge Menschen, die auf Abwege geraten sind, für die Demokratie zurückgewinnen.“

Die Parteispitze faßte im Juni indes einen Unvereinbarkeitsbeschluß, der eine AfD-Mitgliedschaft bei gleichzeitigem Engagement in der IBD ausschließt (JF 27/16). Denn die IB drohe zu einem „Parkplatz“ für rechte Aktivisten zu werden, die aufgrund ihrer früheren Mitgliedschaften keine direkte Aufnahme in der AfD finden – mittelbar über die personellen Überschneidungen quasi einen Fuß in der Tür haben und die AfD schrittweise vor sich hertreiben könnten. 

Mehrere Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz nehmen die Identitären ins Visier. Begründung: Dort sei „die Schwelle für eine Beobachtung erreicht“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, Ende Mai der Rheinischen Post. „Wir haben festgestellt, daß sie in verschiedenen Bundesländern von reinen Internetaktivitäten zu Verabredungen im realen Leben übergegangen sind.“ Die Landesämter für Verfassungsschutz in Bremen, Bayern, Hessen, Berlin und in Baden-Württemberg beobachten die IBD. Für das Bundesamt war sie bis vor kurzem kein „Beobachtungsobjekt“. Im Zuge der Asylkrise habe sich jedoch ein verstärkter Aktivismus gezeigt, der das Bundesamt auf den Plan rief. „Wir sehen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, sagte Maaßen der Deutschen Presse-Agentur. „Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten werden in extremistischer Weise diffamiert. Deshalb beobachten wir die Bewegung nun auch.“

Eine Aktion in Österreich, wo die Identitäre Bewegung besonders aktiv ist, gilt innerhalb der identitären Szene als Vorbild: Studenten stürmen an der Universität in Wien eine Theateraufführung des Stückes „Die Schutzbefohlenen“ der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, an der auch Asylbewerber mitwirken. Sie entrollen ein Banner mit der Aufschrift „Heuchler“ auf der Bühne, gießen Kunstblut darüber und filmen die Aktion. Die Botschaft ist zugespitzt: „Ihr habt Vergewaltiger beklatscht und den Terror nach Europa geholt. Durch eure Ignoranz und Heuchelei mußten Menschen sterben. An euren Händen klebt das Blut von Bataclan und Brüssel.“

Ob der Verfassungsschutz nichts Besseres zu tun habe, als eine patriotische Jugendbewegung zu beobachten, fragt sich der Bundessprecher der IBD, Nils Altmieks. „Claudia Roth marschiert auf einer Anti-AfD-Demo mit, bei der ‘Deutschland, du mieses Stück Scheiße’ und ‘Deutschland verrecke’ skandiert wird. Linksradikale werden mit staatlichen Geldern nicht zu knapp versorgt. Aber die IB wird beobachtet“, setzt sich Altmieks gegenüber der JUNGEN FREIHEIT gegen dieses Stigma zur Wehr. Das einzige, was der IBD konkret vorgeworfen werde, sei ein hetzerischer Facebook-Kommentar eines anonymen Nutzers, der nicht schnell genug gelöscht worden sei.

Unklare Grenzziehung bereitet der AfD Sorgen

Im Gegensatz zum „insinuierten Verdacht“ stehe die IBD dafür ein, die demokratische Verfassungsordnung in Deutschland zu verteidigen, heißt es in einer online veröffentlichten Stellungnahme. Ihr gehe es darum, „die lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Identitäten, Kulturen und Traditionen zu erhalten und gegen die seit Jahren stattfindende Masseneinwanderung und Islamisierung sowie den moralischen Verfall unserer Demokratie und unserer Gesellschaft zu kämpfen“. Ethnopluralismus ist ein Schlagwort der Identitären, die „Anerkennung und Achtung einer jeden Ethnie und Kultur und ihrer Souveränität auf ihrem geschichtlich gewachsenen Gebiet“.

Aber können und wollen alle Mitglieder der IBD, die zuvor in rechtsradikalen Strukturen sozialisiert wurden, mit ihrer Vergangenheit brechen? Ist es augenzwinkernde Koketterie, daß Dutzende der über 150 IB-Protestler im Juni in Berlin Schuhe der Marke New Ballance trugen? Wegen des großen „N“ am Schuh wurde die Marke in der Neonazi-Szene der neunziger Jahre getragen. Angesagt ist sie derzeit aber auch bei Hipstern und seit längerem schon bei Hooligans. Ab und zu stimmen ein paar kräftige Kerle in den Reihen der Identitären den Hooligan-Kampfruf „Ahu“ an, der in den Berliner Straßenschluchten widerhallt.

Kann man überhaupt klare Grenzen ziehen, wenn man jedem eine zweite Chance zugesteht und ohnehin irgendwie alles im Social-Media-Sumpf verschwimmt? Nur Tattoos bleiben für immer. Eines sticht zufällig ins Auge: „Blut und Ehre“ prangt auf dem Genick eines nicht mehr ganz jungen Mannes, der stolz eine gelb-schwarze Fahne schwenkt. 

Diese schwierige, unklare Grenzziehung ist es, die der AfD Sorgen bereitet. Im Landesverband Sachsen-Anhalt, in dem André Poggenburg Fraktionschef und Tillschneider Abgeordneter ist, veröffentlichten 50 Mitglieder einen Brandbrief: „Wir wollen keine Verschmelzung mit Organisationen, die als Auffangbecken für Extremisten fungieren, sie in ihren Reihen dulden oder zumindest ihr Verhältnis zu diesen nicht eindeutig geklärt haben. (…) Die Identitäre Bewegung ist solch eine Gruppierung. Sie (…)  wird in Teilen nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet.“

Nicht nur in Ostdeutschland, auch in Bayern schaut der Verfassungsschutz auf „Schnittmengen“ mit Rechtsextremisten und hat einzelne AfD-Mitglieder im Visier, berichtete der Bayerische Rundfunk. „Unter dem Strich gibt es aber noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen der Gesamtpartei oder des bayerischen Landesverbandes“, sagte der Sprecher des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Markus Schäfert.

Was heißt das nun für die IBD? Alter Wein in neuen Schläuchen, oder liegt auf jeder Jugendbewegung, die patriotisch sein will, der Fluch, sofort von Neonazigruppen unterwandert zu werden? „Das international bekannte Lambda-Symbol ist auch deshalb ausgewählt worden, um den defensiven, aber selbstbewußt patriotischen Charakter unserer Bewegung von Beginn an festzuschreiben“, meint Martin Sellner, der charismatische IB-Vordenker aus Österreich (Interview auf Seite 3). Es stehe für eine gemeinsame, identitätsstiftende europäische Geschichte, die viel älter sei als der National­sozialismus, in deren Nähe man die IBD immer rücken möchte. 

Auf dem Gipfel des 2.102 Meter hohen Schafreuter, eines im Karwendelgebirge liegenden Berges, setzten bayerische Identitäre ihr jüngstes eindrucksvolles Signal: Ein Dutzend Aktivisten richtete ein rund drei Meter hohes neues Gipfelkreuz auf, nachdem eine Woche zuvor das alte von einem Unbekannten mit einer Axt gefällt worden war.





Identitäre Bewegung

Die Identitäre Bewegung entstand 2003 in Frankreich („Génération Identitaire“) und hat heute Sympathisanten und Aktivisten in vielen europäischen Staaten. Für die deutschsprachigen Länder liegt der Schwerpunkt auf Österreich. Dort ließ sie sich 2012 unter dem Namen „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“ in Wien eintragen. In Deutschland führte die Gruppierung lange ein virtuelles Dasein, nachdem Aktivisten im Oktober 2012 auf Facebook die Seite „Identitäre Bewegung Deutschland“ gründeten. Seit 2014 ist die IBD als Verein angemeldet. Landesweit soll sie nach eigenen Angaben etwa 500 Mitglieder haben, der Facebook-Auftritt registriert 38.700 „Gefällt mir“-Klicks. Mit der Asylkrise erhielt die IBD Zulauf, heute sind Regionalgruppen über das ganze Bundesgebiet verteilt. Die AfD beschloß im Juni, daß eine Mitgliedschaft bei ihr und der IBD unvereinbar ist und es keine Zusammenarbeit geben wird. Neben neun Landesverfassungsschutzämtern hat im August auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die IBD unter geheimdienstliche Beobachtung gestellt.