© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Sí o No – der Frieden ist noch nicht ganz gesichert
Kolumbien: Die Südamerikaner stimmen über einen Friedensvertrag mit der Farc ab – und dabei nicht nur über das Ende von Lateinamerikas ältestem Bürgerkrieg
Lukas Noll

Der Stimmzettel für das Referendum am 2. Oktober faßt sich kurz: „Sí o No“ sollen die Kolumbianer nach 52 Jahren bewaffneten Konflikts zu dem Friedensabkommen mit den Linksterroristen der Farc (Fuerzas Armadas  Revolucionarias de Colombia) sagen. Doch was von Europa aus angesichts von sechs Millionen Binnenflüchtlingen und über 200.000 Todesopfern im Rahmen des Konflikts wie eine rhetorische Frage erscheint, ist in Kolumbien ein kontrovers diskutiertes Thema. Das „Sí“ zum Friedensvertrag ist keineswegs ausgemacht. 

Noch im August hatten die Gegner des Abkommens in einer ersten Umfrage knapp vorne gelegen, Anfang September sah die liberale Semana wiederum die Befürworter mit 72 Prozent vorne. Die jüngste Umfrage von El País sieht die rund 48 Millionen Kolumbianer gar in drei Teile gespalten: Je ein Drittel unterstützt den Vertrag oder lehnt ihn ab, ein weiteres Drittel ist noch unentschlossen. 

Skeptisch wird dabei insbesondere beäugt, daß geständige Farc-Kämpfer mit einer Amnestie für ihre Verbrechen rechnen können. Auch daß sich die von der EU als Terrororganisation eingestufte „Armee des Volkes“ schon bald in eine politische Partei umwandeln dürfte, ist vielen Kolumbianern ein Dorn im Auge. Die schwankenden Umfragewerte dürften sich daher nicht nur mit statistischen Abweichungen erklären: viele Kolumbianer sind durch die erhitzte Debatte hin und her gerissen. Nicht unschuldig daran dürfte sein, daß mit dem Referendum nicht nur eine nationale Schicksalsfrage zur Wahl steht, sondern auch der Zweikampf zweier Egomanen. 

Zwischen Präsident Juan Manuel Santos und seinem Amtsvorgänger Alváro Uribe Vélez herrscht ein erbitterter Kampf um die Meinungshoheit. Vor allem Uribe, dessen Vater nach eigenen Angaben von der Farc ermordet wurde, schießt aus allen Rohren gegen seinen politischen Ziehsohn: Im Parlament, wo er mittlerweile als Senator amtiert, beschimpfte er Santos als „Guerillero“ – und fast noch streitlustiger zeigt sich Uribe vor rund einer Million Anhänger auf Facebook und Twitter. 

Vom Hardliner zum Friedensapostel

Seine täglichen Videobotschaften führen mal sachliche Gegenargumente gegen das Abkommen an, greifen Santos oft aber auch ad personam an: So stellt Uribe die amtierende Mitte-Rechts-Regierung in eine Reihe mit den Linksikonen Hugo Chávez und Fidel Castro oder geißelt Investitionsversprechen der Regierung als Kauf von Wählerstimmen. Das Problem, daß sich mit Uribe einer seiner populärsten Amtsvorgänger an die Spitze der „No“-Bewegung gestellt hat, versucht Santos bislang erfolglos, auf staatsmännische Weise zu lösen: Ein Versöhnungsbrief verhallte im Juli, ebenso seine Bitte, Uribe möge die Vergangenheit hinter sich lassen.

Tatsächlich hätte Uribe manchen Grund, sich zufrieden zurückzulehnen: Denn daß sich die älteste Guerilla Lateinamerikas überhaupt an einen Tisch mit der Staatsmacht setzt, ist keine Frage von politischer Reue: Vor allem Uribes Politik der harten Hand wird zugeschrieben, die Farc auf verhandlungsfähiges Format kleingestutzt zu haben. Hatten vorherige Regierungen noch versucht, die Guerilleros zu einem Waffenstillstand zu bewegen, ging der Rechtskonservative in die militärische Offensive: Zu Uribes Amtsantritt 2002 konnte die bis dato rund 20.000 Kämpfer umfassende Guerilla noch Bombenanschläge in der Hauptstadt Bogotá verüben. 

Als Uribe nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten durfte, hatte sich die Terrororganisation mit ihren verbliebenen 8.000 Kämpfern in entlegene Urwaldregionen des Landes zurückgezogen. Erreicht worden war dies mit umstrittener Vehemenz: Im Rahmen der „Falsos Positivos“-Politik wurden Prämienzahlungen für getötete Kämpfer ausgeschrieben, was auch zahlreiche Zivilisten das Leben kostete, die von Soldaten in Guerillero-Uniformen gesteckt wurden, um das Kopfgeld einzuheimsen. 

Wie ernst es nun Kolumbiens geläutertem Falken mit seinem Friedensabkommen mit den Farc-Terroristen ist, zeigt schon das Datum des Referendums. Die kolumbianische Bevölkerung befragt Santos genau eine Woche, nachdem er den Friedensvertrag am 26. September ohnehin gemeinsam mit den Vertretern der Farc unterzeichnet hatte. 

Verstärkt wird dieser Beigeschmack durch im Handstreich geänderte Abstimmungsregeln: Statt 25 Prozent der Wahlberechtigten müssen sich nur noch knapp 13 Prozent für das Abkommen aussprechen – nötig sind für Santos’ Plan also nur knapp 4,4 Millionen Wählerstimmen. Dem Friedensvertrag dürfte damit wenig im Wege stehen – und doch: gänzlich ausgestanden wäre Kolumbiens Guerillakrieg auch mit einer ruhiggestellten Farc nicht. Nach wie vor schleicht die deutlich kleinere Guerilla Ejército de Liberación Nacional (ELN) durch Kolumbiens Dschungelgebiete, erst Anfang September sprengte sie eine Pipeline im Osten des Landes. Zwar verhandelt die Regierung seit zwei Jahren auch mit der ELN – in das verbindliche Abkommen mit der Farc ist sie aber nicht eingebunden.

Der Friedensvertrag wäre zudem nicht das erste Mal, daß sich Kolumbiens kriegsmüde Gesellschaft an Amnestieangeboten für Terroristen versucht: Auch die Entwaffnung der ebenfalls in Bürgerkrieg und Drogenhandel verwickelten Paramilitärs sah zwischen 2002 und 2008 deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft vor. Abseits der Auslieferung 14 hochrangiger „Paras“ in die USA winkten den meisten der rechtsgerichteten Kämpfer Amnestie und die Möglichkeit politischer Partizipation. In der Casa de Nariño, Kolumbiens Präsidentenpalast in Bogotá, saß damals ein alter Bekannter: Alváro Uribe Vélez.