© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Kapital schlägt Wahrheit
Wie Google mit Interviews Politik macht: Der Fall Juncker/Nadji
Jürgen Liminski

Eigentlich gibt es nur Gewinner. Laetitia Nadji und ihr politisch harmloser Kanal haben steigende Besucherzahlen, Youtube gilt als fair, weil es die Kritik gegen sich ebenfalls veröffentlichte und so den Verdacht der Zensur verwässerte, und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte einen souveränen Eindruck, als die Französin beim Online-Interview Mitte September dann doch alle ihre Fragen stellte. Dennoch bleibt ein Unbehagen. Das Gefühl der Skepsis nährt sich nicht nur aus der Art des Interviews – Laetitia hakte bei den Antworten nicht nach, was „normale“ Journalisten getan hätten – sondern aus der Tatsache, daß der große Bruder Google versucht hat, die junge Interviewerin massiv zu beeinflussen. 

Sie solle doch die Fragen über die Lobbyisten in Brüssel, über Junckers Vorgänger Barroso und dessen Anbiederei bei Goldman Sachs oder auch über die Steuersparmodelle in Luxemburg einfach sein lassen und stattdessen lieber Fragen stellen über Junckers Hund oder ob der EU-Kommissionspräsident glücklich sei. Es sollte ordentlich menscheln. 

Den Zensoren ging es vermutlich nicht mal um den Inhalt, sondern um das Verhältnis zwischen der EU-Kommission und dem schwarzen Loch der Informationen namens Google – zwei Wochen nach dem Steuerbescheid der Kommission gegen Apple. Denn auch Google nutzt fleißig Modelle zum Steuersparen weltweit. Der Zensurversuch, den das Unternehmen dann mit einem ebenfalls erfolglosen Bestechungsversuch (Laetitia sollte Botschafterin von Google werden mit einem kleinen Gehalt und etlichen Reisen) noch krönte, zeigt die Geisteshaltung, die man bei Datenkraken wie Google oder Facebook vermuten kann: Kapital schlägt Wahrheit. 

Die Inhalte von Nachrichten und Interviews spielen offenbar keine Rolle. Worauf es ankommt, ist der Profit, den man aus den gesammelten Daten schlagen kann. Das hat die grundehrliche und politisch naive Vloggerin sympathischerweise anders gesehen.