© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Frisch gepresst

Volk. Die Frage nach dem Volk, die Jörn Retterath in seiner Münchner Doktorarbeit über „Volks- und Gemeinschaftskonzepte der politischen Mitte“ im deutschen Umbruch von 1918 historisch zu beantworten versucht, ist in Zeiten wachsenden Widerstands gegen die neoliberale Globalisierungspraxis wieder höchst aktuell. Da Retteraths Lehrer Andreas Wirsching, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte und gern und oft für „multikulturelle Einwanderungsgesellschaften“ in Europa agitierend (zuletzt in Die Zeit vom 13. August 2016), als Zweitgutachter fungierte, war das zeitgeistkonforme Resultat der eigentlich vielversprechenden Untersuchung schon vorgegeben. So bleibt, neben sorgfältigen begriffshistorischen Sondierungen, nur verdienstvoll, daß Retterath an jenen heute ohne viel Federlesens als „rechtsradikal“ gebrandmarkten, noch dem Grundgesetz inhärenten Volksbegriff erinnert, der zum Ideenrepertoire der linksliberalen DDP wie der SPD Friedrich Eberts gehörte, weil die Einheitskategorien Volk und Nation sich durchaus mit pluralistischer Demokratie vertrugen. Was Retteraths Rekonstruktion des „Gemeinschafts“-Diskurses auch erfreulich klar aufzeigt, um dann trotzdem diesen Integrationsentwurf wegen seines „holistischen“, tendenziell antidemokratisch-totalitären Potentials, das sich in der NS-Volksgemeinschaft entladen habe, zum historisch widerlegten Gesellschaftsmodell zu erklären. (wm)

Jörn Retterath: Was ist das Volk? Volks- und Gemeinschafskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917–1924, Verlag de Gruyter/Oldenbourg, München 2016, gebunden, 462 Seiten, 59,95 Euro





Infantile Politik. „Wie ein Hippie-Staat von Gefühlen geleitet.“ So bezeichnete der britische Politologe Anthony Glees 2015 Deutschlands Vorgehen in der Flüchtlingskrise. Dieses Prädikat, das in diesem Falle Merkels Handeln als unreif und unüberlegt – eben als infantil – qualifiziert, sehen die libertären bis konservativen Autoren des lesenswerten Sammelbandes auch in anderen Politikfeldern dominieren, von „der bunten Ästhetik der ‘Diversity’-Ideologie“ bis hin zu Kurzschlußhandlungen während der „Energiewende“. Die Publizistin Birgit Kelle klagt auch den sich selbst entmündigenden Bürger an: Dieser lasse sich den politischen Infantilismus zunehmend gefallen, solange der Nanny-Staat die Rundumversorgung sicherstelle. (bä)

Christian Günther, Werner Reichel (Hrsg.): Infantilismus. Der Nanny-Staat und seine Kinder. Verlag Frank & Frei, Wien 2016, broschiert, 224 Seiten, 19 Euro