© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Unser Gral leuchtet treibhausgasneutral
Das von Berlin ratifizierte Pariser Klimaabkommen in der wissenschaftlichen Einschätzung
Dirk Glaser

Am 12. Dezember 2015 einigte sich die 21. UN-Klimakonferenz (COP 21) darauf, den Anstieg der durchschnittlichen Erderwärmung bis 2100 auf unter zwei Grad zu halten. Im April unterzeichneten dann 175 Uno-Staaten das Abkommen. Vorige Woche stimmten auch Bundestag und Bundesrat dem Ratifizierungsgesetz für das Klimaschutzabkommen von Paris einstimmig zu.

In ihrer Einleitung zum aktuellen Sonderheft „Paris-Abkommen“ der Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht (ZfU) greift Umweltministerin Barbara Hendricks die gängige Einstufung des Abkommens als „Meilenstein der internationalen Klimapolitik“ auf. Und da die SPD-Politikerin sich schon im Wahlkampfmodus wähnt, muß  das Umweltbundesamt Deutschlands Rolle als „Vorreiter“ und „Vorbild“ bei der „globalen Transformation“ betonen. Hendricks schwärmt mit fast religiöser Inbrunst von der Erlösung aus fossiler Vergangenheit. Ihr Gral leuchtet daher rundum „treibhausgasneutral“.

In Paris sei das Tor zur „umfassenden Modernisierung“ von Wirtschaft und Gesellschaft aufgestoßen worden. Autofreie Innenstädte wären nicht länger Utopie, die Landwirtschaft sei umzubauen, „Gebäudebestand, Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen“ – alles käme „unter die Lupe“, um den Fahrplan in Richtung „treibhausgasneutraler Volkswirtschaft“ einzuhalten.

Halten sich China und die USA an ihre Zusagen?

Es finden sich in dem dicken ZfU-Heft aber auch nüchterne Bestandsaufnahmen fernab solcher politischen Hochglanzsemantik. So gibt Alexander Proelß (Trier) vom völkerrechtlichen Standpunkt zu bedenken, das Pariser Abkommen enthalte nur wenige Rechtspflichten und biete zu vage Vorgaben. Sebastian Harnisch und Jale Tosun (Uni Heidelberg) heben in ihrer „ersten politikwissenschaftlichen Analyse“ die „offensichtlichen Schwächen“ hervor, vor allem offene Fragen der Finanzierung, der Haftung und des Sanktionsapparats, falls gewichtige Emittenten-Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkämen.

Beim größten CO2-Emittenten China deutet sich dies seit Monaten bereits an. Die „Zivilgesellschaft“ dort wehrt sich nämlich gegen Pekings AKW-Programm, dessen Umsetzung den Abschied von jenen Kohlekraftwerken einleiten soll, die das Reich der Mitte daran hindern würden, seinen Pariser Verpflichtungen jemals nachzukommen.

Der zweitgrößte CO2-Emittent USA hat das Abkommen zwar ebenfalls ratifiziert, doch Donald Trump hat mit Blick auf die Kohle- und Ölbranche versprochen, den Weltklimapakt aufzukündigen. Sollten die US-Republikaner auch beide Kongreßkammern erobern, wäre COP 21 ohnehin nur eine Totgeburt.

Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht:  www.dfv.de