© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Draghis Scheitern
Euro-Krise: Die expansive Geldpolitik bringt nicht die erhofften Ergebnisse
Philipp Bagus

Erst rettete Mario Draghi mit seinem „Koste es, was es wolle“-Ausspruch im Juli 2012 reform- und sparunwillige Euro-Südstaaten, dann setzte er im März 2015 mit der Quantitativen Lockerung (QE) noch einen drauf. Anfangs wollte die EZB monatlich für 60 Milliarden Euro private und öffentliche Schuldtitel erwerben; später wurden 80 Milliarden Euro daraus. Ursprünglich sollte das Programm vergangenen Monat auslaufen, nun soll es bis mindestens März 2017 fortgesetzt werden. Da das Programm verlängert wurde, müßte man von einem durchschlagenden Erfolg ausgehen – die Realität sieht anders aus.

Die Ausweitung der Geldbasis via QE sollte den Euro abwerten, die Teuerung erhöhen und die Zinsen senken, um die Kreditvergabe in den Krisenländern zu stimulieren, und so zu neuem Wachstum führen. Der einzige „Erfolg“: Der Euro fiel gegenüber dem Dollar schon vor Beginn der QE auf sein heutiges Niveau. Dafür genügte die Erwartung, daß die expansive Geldpolitik kommen würde. Die in Euro nominierten Vermögen entwerteten gegenüber denen in den USA. Es kam zu einer relativen Verarmung der Europäer. 

Beim Inflationsziel erwies sich die EZB-Geldpolitik als untauglich. Zwar erhöhte die EZB die Geldbasis von 1,3 auf 2,2 Billionen Euro, die Teuerungsrate verbleibt indes unter 0,5 Prozent. Das neu gedruckte Geld ergießt sich nicht wie beabsichtigt in die Wirtschaft, sondern fließt in Form höherer Bankreserven an die EZB zurück. Mittlerweile parken Banken über eine Billion Euro bei der EZB. Damit wird das neue Geld nicht preiswirksam.

Beim Zinseffekt der QE sieht es kaum besser aus. Die Minizinsen auf Staatspapiere wurden zwar noch etwas weiter gedrückt, aber wer von den EZB-Planern gehofft hatte, die niedrigen Zinsen auf Staatsanleihen würden zu steigenden Börsenkursen oder gar vermehrten Krediten an Private führen, sieht sich getäuscht. Die europäischen Börsen stagnieren seit 18 Monaten und reflektieren magere Wachstumsaussichten. Die Kreditvergabe der Finanzinstitute in der Eurozone ist seit Beginn der QE gerade einmal um zwei Prozent gestiegen, bei gemischtem Bild. Während sie in Frankreich und Deutschland wuchs – vor allem die Kredite für den deutschen Wohnungsbau erhöhten sich bei steigender Blasengefahr –, stagnierte die Kreditvergabe in Italien. In Spanien ging das Kreditvolumen sogar zurück. 

Warum kommt die Kreditvergabe nicht in Gang? Man kann Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst. Und das tun sie trotz Niedrigzinsen nicht oder kaum. Das liegt zum einen daran, daß Haushalte und Unternehmen in den Krisenländern immer noch überschuldet sind und versuchen, ihre Verschuldung abzubauen. Zum anderen sind trotz Niedrigzinsen keine ausreichend rentablen Investitionsprojekte in Sicht. So bleibt die Arbeitslosigkeit in den Südländern hoch. Doch warum gibt es nicht ausreichend rentable Projekte? Bei Nullzinsen wäre doch schon eine winzige Rendite ausreichend. Die Krux liegt darin, daß die Wirtschaftsstruktur stark verzerrt ist und aussichtsreiche Investitionsprojekte Mangelware bleiben. Sowohl bei der Überschuldung als auch bei der verzerrten Angebotsstruktur – bei beiden Hindernisse für einen Aufschwung – zeigt sich QE nicht nur machtlos, es wirkt sogar kontraproduktiv. Denn Null- oder Negativzinsen verlangsamen die notwendige Entschuldung.

Zudem behindert die expansive Geldpolitik schon seit 2008 eine Bereinigung der Exzesse der Boomjahre. Viele durch Staatsinterventionen am Leben erhaltene Defizitprojekte und Fehlinvestitionen hätten restrukturiert oder liquidiert werden müssen. Damit wäre Platz geschaffen worden für neue, aufstrebende und rentable Unternehmen, die jetzt komplementäre Investitionen nach sich ziehen würden. Staatsstimuli haben 2008 den Absturz zwar abgebremst – aber auf Kosten einer sich ewig hinziehenden Erholung. Mehr Stimulus in Form von Endlos-QE, Negativzinsen oder Helikoptergeld (JF 13/16) würde die Zombifizierung der Euro-Wirtschaft fortsetzen. Anstatt Untote aufzupäppeln bräuchte es dringend eine befreiende Bereinigung der Eurozone. 

Leider hat das QE-Programm den Druck von den Regierungen genommen, ihre zaghaften Liberalisierungspläne und Strukturreformen fortzusetzen. Dank QE sind staatliche Sparbemühungen zum Erliegen gekommen. Vielmehr haben sich durch die geringere öffentliche Zinslast neue Spielräume für weitere Staatsausgaben und die Züchtung weiterer Zombies eröffnet. In einigen Ländern geht es sogar in die falsche Richtung; so auch in Deutschland.

Der Kurzzeitdroge QE sei Dank, sind bei der dringend gebotenen ökonomischen Flexibilisierung zwei wertvolle Jahre verlorengegangen. Zeit, die auch auf Kosten des Wohlstands der Deutschen erkauft wurde. Denn die Niedrigzinsen enteignen die Sparer und schaffen erhebliche Risiken für Deutschland, die in der Bilanz der EZB in Form von Südstaatenanleihen schlummern. Auch ein Loslösen Deutschlands aus dem unseligen Europrojekt wird so immer aufwendiger. Dadurch daß QE die Bankreserven auf eine Billion Euro erhöht hat und die Banken einen Strafzins von 0,4 Prozent auf Überschußreserven zahlen müssen, hat das Programm gegen den Willen seiner Schöpfer auch noch zur Entkapitalisierung und Destabilisierung des europäischen Bankensektors beigetragen. Damit ist das Scheitern von EZB-Präsident Mario Draghi perfekt.






Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt Volkswirtschaft an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid. Er wurde 2016 mit dem Förderpreis für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung ausgezeichnet.

 www.philippbagus.de