© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Besser eine Nummer kleiner
Freihandelsabkommen Ceta: Der Landtag von Baden-Württemberg widmete sich in einer Expertenanhörung dem umstrittenen Vertrag mit Kanada
Michael Paulwitz

Internationale Handelsabkommen auszuhandeln fällt in EU-Zuständigkeit. Weil Vertragswerke wie das kanadisch-europäische Handelsabkommen Ceta von den Nationalstaaten gebilligt werden müssen – in Deutschland durch Bundestag und Bundesrat –, können Landesparlamente aber zumindest über Annahme oder Ablehnung mitentscheiden. 

Die zuständigen Ausschüsse des Landtags von Baden-Württemberg informierten sich deshalb in einer gemeinsamen öffentlichen Expertenanhörung. Die Alternative für Deutschland (AfD) hatte dabei den früheren Leiter der Verbraucherschutzzentrale Hamburg, Lothar Maier, zugleich AfD-Stadtrat in Stuttgart, als Sachverständigen nominiert. 

Zwischen den Werbereden des IHK-Vertreters sowie der geladenen Europa- und Wirtschaftsrechtler und der rundweg ablehnenden Haltung des BUND-Sprechers für „Internationale Umweltpolitik“ nahm der Verbraucherschutzexperte eine zugleich kritische und pragmatische Position ein. 

Trotz spürbarer Verbesserungen habe das Vertragswerk aus Konsumentensicht noch klare Schwachstellen. Zwar fördere der Abbau von Handelshemmnissen den Wettbewerb und ermögliche – vorausgesetzt, die Kostenvorteile werden auch weitergegeben – ein breiteres Angebot und günstigere Preise. Verbraucherrechte würden im Ceta-Abkommen allerdings nur erwähnt und nirgends verbindlich festgelegt, auch nicht durch Verweis auf einschlägige EU- und UN-Dokumente. Zudem seien die Konzepte in Deutschland und Nordamerika sehr unterschiedlich: In Kanada und den USA gebe es keine systematische Einbeziehung der Konsumenten, weswegen ihre Belange von kanadischen und US-Normierungsbehörden auch weniger berücksichtigt würden. 

Einen gravierenden Unterschied sieht Lothar Maier insbesondere in der Frage des Vorsorgeprinzips: Nach EU-Recht könnten einschränkende Regulierungen, beispielsweise in der Gentechnik, bereits bei begründetem Verdacht auf negative Folgen getroffen werden; in Nordamerika müsse eine Schädlichkeit von Produkten oder Technologien zuerst bewiesen werden, was unter Umständen langwierige gerichtliche Klärungen verlange. 

Wenn Grüne dem AfD-Mann zustimmen

Die nicht explizite Festschreibung des Vorsorgeprinzips bedeute also eine Verschlechterung, folgerte der Abgeordnete Lars-Patrick Berg (Alternative für Baden-Württemberg, ABW).Auch die von IHK-Referatsleiter Marc Bauer und IG-Metall-Bereichsleiter Roman Zitzelsberger einmütig beschworenen Ceta-Vorteile für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) durch geringeren Verwaltungsaufwand beim Export ließ der AfD-Experte nicht unwidersprochen. Diese seien kaum meßbar; dagegen könnten Niedrigpreisangriffe durch internationale Großkonzerne den Status vieler KMU als regionale Versorger bedrohen. Die Abgeordnete Carola Wolle (ABW) gab zu bedenken, daß US-Unternehmen dank Ceta über kanadische Tochterfirmen Vorteile beim Marktzugang erhalten könnten, sozusagen ein „TTIP durch die Hintertüre“. 

Auf Nachfrage von Fraktionsvize Emil Sänze (AfD), ob als Folge von Ceta mit Arbeitsplatzabwanderungen zu rechnen sei, stellte Gerwerkschafter Zitzelsberger klar, daß der Arbeitnehmerschutz in Kanada nicht schlechter sei, allerdings über den Mindestlohn stärker staatsgesteuert; in seinem Referat hatte er noch Nachbesserungen bei den Arbeitnehmerrechten gefordert. Auf eine Bezifferung möglicher Kostenvorteile und Arbeitsplatzgewinne wollten sich auch die Ceta-Befürworter nicht einlassen. Doch laut IHK-Mann Bauer bedeutetallein der Wegfall von Zöllen für die deutschen Unternehmen eine jährliche Ersparnis von 160 Millionen Euro und für die baden-württembergischen von 26 Millionen Euro. 

Bei Lothar Maier, der für seine Ausführungen auch Zustimmung aus der Grünen-Fraktion erhielt, rennt er damit offene Türen ein: Kritik an Ceta und TTIP sei keine Kritik am Freihandel, der nach seiner Überzeugung Wohlstand schaffe. Aber man solle dabei in kleinen Schritten vorgehen und das, was unstrittig und zum beiderseitigen Vorteil ist, sofort umsetzen, statt auf einen Schlag einen Binnenmarkt schaffen zu wollen, für den die EU vier Jahrzehnte gebraucht habe: „Weniger ist manchmal mehr.“