© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Wie die Scharia in Europa vordringt
Duldung von Vielweiberei, Essensregeln, Stadtteilpatrouillen: Parallelgesellschaften bekommen Parallelgesetze
Michael Paulwitz

Rund zwanzig Millionen Moslems leben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die anhaltende Migrationswelle aus Nordafrika und dem Mittleren Osten wird ebenso wie die höhere Geburtenrate ihre Zahl noch rapide ansteigen lassen. Zwei Drittel der Moslems in Westeuropa erklärten in einer 2013 veröffentlichten Umfrage religiöse Gesetze für wichtiger als die Gesetze des Landes, in dem sie leben.

Die Scharia, das islamische Recht, das auf dem Koran und einer seit Mitte des 7. Jahrhunderts entstandenen Überlieferung vom normsetzenden Reden und Handeln Mohammeds beruht, ist keine rein religiöse Angelegenheit: Sie verlangt die Unterordnung aller Lebensverhältnisse und erhebt einen umfassenden politischen Anspruch. Solange Moslems in einer Minderheitensituation leben – was derzeit noch in allen EU-Staaten der Fall ist –, dürfen sie sich nach Ansicht einflußreicher islamischer Gelehrter wie des Muslimbruder-Ideologen Yusuf al-Qaradawi zwar westlichen Gepflogenheiten anpassen, eine Abänderung der Scharia oder Abstriche an ihrer Gültigkeit sind gleichwohl nicht erlaubt.

Wo der moslemische Bevölkerungsanteil eine kritische Schwelle überschreitet, wächst der von Moslems ausgehende und von Lobbyverbänden vorangetriebene Druck, Scharia-Recht in Europa durchzusetzen. Daß, von radikalen Kleingruppen abgesehen, niemand die Einführung extremer Körperstrafen wie Steinigung, Enthauptung oder Handabhacken fordert, heißt nicht, daß die Scharia in Europa nicht auf dem Vormarsch wäre. In etlichen europäischen Staaten werden Scharia-Grundsätze in Familien-, Erbrechts-, Vermögens- oder Unterhaltssachen bereits an ordentlichen Gerichten angewandt, entstehen geduldete oder, wie in Großbritannien, anerkannte Systeme islamischer Paralleljustiz, bilden sich in Orten oder Stadtteilen mit starker moslemischer Bevölkerung „No-go-Areas“, in denen der Staat und seine Ordnungskräfte geltendes Recht nicht mehr oder nur eingeschränkt durchsetzen können.

Wo moslemische Speise-, Fasten- und Bekleidungsvorschriften in Schulen, Kindergärten, Betrieben oder im öffentlichen Raum akzeptiert werden, die Einrichtung von Gebetsräumen erzwungen und Kopftuchverbote gekippt werden, wo das Verweigern des Handschlags hingenommen oder bei religiös grundierten Straftaten wie sogenannten „Ehrenmorden“ kulturelle „Strafrabatte“ eingeräumt werden, hat sich die Scharia bereits durchgesetzt.





Deutschland 

Der rheinland-pfälzische SPD-Justizminister Jochen Hartloff hielt 2012 islamische Scharia-Gerichte in Deutschland „grundsätzlich“ für möglich. Deutsche Zivilgerichte wenden schon heute Scharia-Grundsätze an, sofern diese im Herkunftsland gelten. Das Prinzip, die Scharia in Strafsachen nicht anzuwenden, wird in der Praxis immer wieder durchbrochen, etwa wenn bei Verbrechen aus „gekränkter Ehre“ der „kulturelle Hintergrund“ strafmildernd berücksichtigt wird. Die Paralleljustiz muslimischer „Friedensrichter“, die die abgelehnte reguläre Justiz umgehen und aushebeln, ist vor allem unter arabischen Einwanderern weit verbreitet.

Muslimische Frauen, die im Ausland wirksam eine polygame Ehe geschlossen haben, können hierzulande trotz Mehrehe-Verbots Unterhalts-, Erbrechts- und auch Rentenansprüche geltend machen. Daß das Oberlandesgericht Bamberg die Ehe einer minderjährigen Syrerin mit ihrem Cousin als rechtmäßig anerkannt hat, löste eine Diskussion über die Zunahme von Kinderehen aus. Asylunterkünfte sind im Zuge der Asylkrise zu Brückenköpfen der Scharia-Ausbreitung geworden: Die Verpflegung erfolgt nach moslemischen Speisevorschriften, Nicht-Moslems müssen im Ramadan bei der Essensausgabe bis Sonnenuntergang warten und das Personal Überstunden machen, christliche Asylbewerber werden von moslemischen Mitbewohnern und Wachleuten schikaniert und zum Umzug gezwungen.





Belgien und Niederlande

Er könne sich die Einführung der Scharia in den Niederlanden „gut vorstellen“, erklärte schon 2006 der christdemokratische Justizminister Piet Hein Donner. 2008 erstritt sich ein muslimischer Anwalt das Recht, beim Einzug der Richter nicht aufstehen zu müssen, weil diese Geste seinen Glauben „beleidige“.

Im Den Haager Viertel Schilderswijk sollen orthodoxe Muslime bestimmen, welche Kleidung getragen werden darf und wie die Bürger sich zu benehmen haben, wurde 2013 im Rahmen eines Besuches von Sozialminister Asscher bekannt; muslimische „Bürgerwehren“, von Kritikern als „Scharia-Polizei“ bezeichnet, sorgen anstelle der Polizei für „Ordnung“. Die gehäufte Einreise von Kinderbräuten im Zuge der Migrationskrise veranlaßte das Parlament Ende 2015, im Eilverfahren per Gesetz Ehen von unter 18jährigen generell die Anerkennung zu verweigern.

Mit dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek beherbergt Belgien eine der brisantesten moslemisch dominierten „No-go-Areas“ Europas. Der Sozialist Philippe Moureaux, 1992 bis 2012 Bürgermeister von Molenbeek, forderte 2011 unter der Überschrift „Ramadan-Regelung für alle“ die Bürger auf, nachmittags nicht ins Zentrum zu fahren, damit Muslime ungestört ihre Ramadan-Einkäufe erledigen könnten.





Skandinavien

Die schwedische Zentrumspartei schlug vor einigen Jahren ebenso wie die Jugendorganisation der dänischen Radikale Venstre (Linksliberale) eine offizielle Legalisierung von Polygamie vor. Die dänische Islamisten-Gruppe „Ruf zum Islam“ will in muslimischen Wohngegenden in Kopenhagen Scharia-Zonen einrichten, in denen eine „Moralpolizei“ das Verbot von Alkohol, Glücksspiel und Nachtleben überwacht. Ein norwegischer Verfassungsrichter forderte 2008 Strafmilderung bei von Muslimen zur „Ehrenrettung“ begangenen Verbrechen. Ende 2015 wollte ein norwegischer Milliardär in seiner skandinavischen Hotelkette Speck vom Frühstücksbuffet verbannen, mußte aber nach heftigen Gästeprotesten einen Rückzieher machen.





Großbritannien

Das Noch-EU-Mitglied Großbritannien hat mit 3,5 Millionen Muslimen hinter Frankreich und Deutschland die drittgrößte muslimische Bevölkerung. 2008 sprachen sich der führende Richter des Landes und der Erzbischof von Canterbury Rowan Williams vehement für die Einführung der Scharia ins britische Justizwesen aus. Schon im Jahr zuvor hatte sich auf Grundlage des Schlichtungsgesetzes von 1996 die Organisation MAT (Muslim Arbitration Tribunal) gegründet. Inzwischen agieren im ganzen Land etwa 85 dieser Muslim-Schiedsgerichte.

Ein Bericht des Oberhaus-Mitglieds Baroness Caroline Cox wirft den Scharia-Gerichten Unvereinbarkeit mit dem britischen Rechtssystem – weder Verfahrenstransparenz noch den Standards entsprechende Ausbildung der „Richter“ seien gewährleistet – und systematische Benachteiligung und „Mißbrauch“ von Frauen vor. Gleichwohl behauptete die damalige Innenministerin und heutige Premierministerin Theresa May noch im Mai dieses Jahres, viele Briten hätten von der Scharia-Einführung „stark profitiert“.

Wo muslimische Einwanderer in der Mehrheit sind, setzen ihre Vertreter skrupellos Scharia-Regeln durch. In Birmingham betrieben pakistanische Islamisten die organisierte Unterwanderung mehrerer staatlicher Schulen, die zu Islam-Schulen umfunktioniert wurden. Ähnliches vollzog sich vielerorts, auch in der berüchtigten „Islamischen Republik Tower Hamlets“, einem Londoner Stadtteil, in dem die bengalische Ratsmehrheit und ihr Bürgermeister öffentliche Gelder für islamistische Zentren zweckentfremdeten und das Aufstellen von Weihnachtsbäumen verboten.

Behörden schätzen die Zahl der islamisch dominierten Enklaven auf rund hundert. In manchen gehen „Scharia-Patrouillen“ offen auf Streife, um Bürger mitunter gewalttätig an „unislamischem Verhalten“ wie Alkoholgenuß oder freizügiger Kleidung zu hindern.

Die britischen Behörden reagieren nachgiebig: Polizisten wurden angewiesen, solche Bezirke nur mit „Erlaubnis“ der Muslimführer zu betreten und die Uniform an gewissen Orten zu vermeiden. Staatliche und private Arbeitgeber erzwingen politische Korrektheit, etwa das Nichttragen christlicher Symbole, um Muslime nicht zu „provozieren“. Die systematische Vergewaltigung von weißen Mädchen durch pakistanische Banden in Mittelengland wurde von Polizei und Sozialarbeitern jahrelang vertuscht.

Auch das islamische Finanzwesen ist in der Bankenmetropole London auf dem Vormarsch. Für die Finanzierung von Reparaturen am Parlamentsgebäude wurde auch eine islamische Anleihe begeben. Im Gegenzug mußten sich die Parlamentarier verpflichten, in Westminster auf Bars und Alkohol zu verzichten.





Frankreich

In Frankreich gebe es 750 „rechtlose Bezirke“, in die sich die Repräsentanten staatlicher Ordnung nicht mehr hineinwagen, berichtete vor zwei Jahren das Magazin Valeurs Actuelles. Von den Pariser Banlieues bis zur Hafenstadt Marseille errichten islamische Radikale eigene Ordnungen, Scharia-Patrouillen inklusive, und verdrängen die letzten Einheimischen. Vor allem die Banlieues verwandelten sich in „islamische Gesellschaften“, in denen die Scharia das französische Zivilgesetz verdränge, hält ein Bericht von 2011 fest. In den Ghettos würden säkulare staatliche Schulen islamisiert und mit islamischen Essensregeln, Schleier- und Gebetszwang die Scharia durchgesetzt, warnt ein 2014 im Figaro veröffentlichter Geheimbericht. In Aubervilliers wird die Unterwerfung von den Behörden selbst vorgenommen: Wer auf dem Rathaus als Nicht-Muslim eine Muslimin heiraten will, wird dort genötigt, zuerst zum Islam überzutreten, deckte Charlie Hebdo 2012 auf.





Österreich und Schweiz

Muslimische „Friedensrichter“, die bei Straftaten zwischen Muslimen vor der staatlichen Justiz nach der Scharia urteilen, haben sich auch in Österreich seit Jahren etabliert. Kritiker prangern die üblich gewordene „Imam-Ehe“ an, die gleichzeitig Polygamie und Sozialhilfeerschleichung ermöglicht: Muslimische Männer nehmen Zweitfrauen nach islamischem Recht, gegenüber den Sozialämtern gelten diese aber als alleinlebend und leistungsberechtigt. 2011 entschied der Oberste Gerichtshof, daß bei einem Streit zwischen in Medina nach saudischem Recht verheirateten Einwanderern das saudische Scharia-Recht anzuwenden ist.





Südosteuropa und Balkan

In mehreren südosteuropäischen Staaten sind aufgrund der jahrhundertelangen Türkenherrschaft autochthone muslimische Volksgruppen anzutreffen, die teils historisch bedingte Sonderrechte genießen. In Griechenland wurde für die nach den Umsiedlungen im Land verbliebenen Türken und die thrakischen Pomaken nach den Verträgen von Sèvres (1920) und Lausanne (1923) die Scharia als Wahlmöglichkeit im griechischen Familienrecht verankert, die unter anderem gestattet, muslimische Mädchen schon im Alter von zehn Jahren zu verheiraten.

13 Prozent oder rund eine Million der bulgarischen Staatsbürger sind Muslime. Türkische Muslime stellen in zwei Bezirken die Mehrheit, bulgarische Dialekte sprechende Pomaken in einem weiteren die relative. Bis zum Zweiten Weltkrieg galt für sie ebenfalls die Scharia. Ihre De-facto-Interessenpartei DPS wirbt für „freie Religionsausübung“.





Östliches Mitteleuropa und Osteuropa

Bis in die Neuzeit verlief die Grenze der osmanischen Eroberung durch das heutige Ungarn und Kroatien. In Kroatien leben rund drei Prozent Moslems, überwiegend ethnisch kroatische Bosniaken und Albaner, die assimiliert sind und keine extremen Forderungen stellen. Dasselbe gilt für die winzige Minderheit muslimischer Tataren in Polen. In Ungarn und Polen gehört das historische Bewußtsein, „Vormauer der Christenheit“ gegen die Islamisierung zu sein, zur historischen Identität. Beide Länder lehnen die Aufnahme muslimischer Einwanderer ebenso wie die beiden anderen Visegrád-Staaten Tschechien und Slowakei strikt ab, letztere mit dem Hinweis, bei ihnen gebe es keine Moscheen, und Muslime würden sich dort „nicht wohlfühlen“. In den baltischen Staaten und Finnland stellt sich die Scharia-Frage bei muslimischen Bevölkerungsanteilen unter einem Prozent ebenfalls nicht. In Mittel- und Nordeuropa verläuft die Grenze der Islamisierung heute entlang der alten Ost-West-Blockgrenze.