© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Der Staat wacht erst langsam auf
Die Islamkonferenz und das islamische Netzwerk in Deutschland: Verschleiern, vereinnahmen, abgreifen und Unterschlupf gewähren
Lukas Mihr

Seit der Amokfahrt von Nizza, den Anschlägen in Würzburg und Ansbach sowie den politischen Säuberungen in der Türkei, durch die 32.000 Verdächtige inhaftiert wurden, hat sich der Tonfall in der Islamdebatte merklich verändert. Bereits im vergangenen November deutete sich ein Kurswechsel an, als Volker Beck und Cem Özdemir (Grüne) forderten, das Verhältnis zu den Islamverbänden zu überdenken, da diese mehr politische Organisationen als Glaubensgemeinschaften seien. Özdemir betonte die Notwendigkeit des Islamunterrichts, „aber bitte mit den Werten unseres Grundgesetzes und nicht als Erdogan-Staatsbürgerkunde unter dem Deckmantel der Religion“. Beck appellierte an Ankara: „Gebt die Muslime frei und gebt diese Religion aus den Fängen der Politik frei!“

Zentralrat der Muslime   vertritt nur 20.000 Personen

Der liberale Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi warnte gar in einem Gastbeitrag für den Cicero davor, daß die Gefahr eben nicht von Salafisten, sondern von „moderaten Islamisten“, also den großen Islamverbänden ausgehe. Sein Lösungsvorschlag: Die „ausländische Finanzierung“ müsse „per Gesetz gestoppt werden“.

Doch wer sind diese Islamverbände? Über die Zahl der Moslems in Deutschland besteht kein Konsens. Die Schätzungen reichen von drei bis sechs Millionen. Die genaue Zahl ist schwer zu ermitteln. Denn einerseits werden in staatlichen Statistiken alle Personen aus islamischen Ländern als Muslime erfaßt, auch dann, wenn sie Christen, Jesiden, Mandäer oder Atheisten sein sollten. Andererseits weiß niemand genau, wie viele Flüchtlinge sich derzeit in Deutschland aufhalten. Eine einheitliche muslimische Gemeinde gibt es nicht. Unter den in Deutschland lebenden Moslems gibt es nicht nur die Unterteilung in sunnitisch, schiitisch und alevitisch sowie viele kleinere Konfessionen, sondern zudem noch Sprachbarrieren zwischen Gläubigen aus der Türkei, den kurdischen Gebieten, dem Iran, arabischen und sonstigen Staaten. Nur ein kleiner Teil der Muslime, unter 20 Prozent, ist in Verbänden organisiert, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. 

Die Übersicht fällt schwer: Es gibt den der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüs (IGMG) nahestehenden türkisch-sunnitischen Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. (IRD), die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V. (IGS) oder die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken. Die öffentliche Debatte dominieren vor allem die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und der arabisch-sunnitische Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). 

Dieser vertritt maximal 20.000 Mitglieder und damit weniger als ein Prozent der deutschen Muslime. Dennoch ist der Vorsitzende Aiman Mazyek in allen Medien präsent und tritt gemeinsam mit Gauck, Merkel und Gabriel auf. Der Deutsch-Syrer ist ein PR-Profi, der das Netzwerken aus seiner Tätigkeit als Medienberater und FDP-Mitglied perfekt beherrscht.

Er verurteilte im Januar 2015 vor dem Brandenburger Tor an der Seite von Religionsvertretern und Spitzenpolitikern den Angriff auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die wegen Mohammed-Karikaturen ins Visier der Attentäter geraten war. Weniger gelungen war Mazyeks Verurteilung des Anschlags auf den Brüsseler Flughafen. In seinem Statement spricht er plötzlich von Gewalt in Paris. Mazyek hatte einfach seine Stellungnahme zu den Terroranschlägen in der französischen Hauptstadt vom vorigen November per „Kopieren und Einfügen“ hervorgekramt und nicht sorgfältig genug gearbeitet.

Festrede hielt ausgerechnet ein Ditib-Funktionär

Dieses Mißgeschick einmal außer acht gelassen: Ist der ZMD wirklich so tolerant und friedfertig, wie er stets beteuert? Er retweetete Mazyek ein Grußwort Bilal Philips zu Beginn des Ramadan. Dieser hatte in der Vergangenheit die Todesstrafe für Schwule gefordert. Die Werke des weltweit anerkannten Islamgelehrten Yusuf al-Qaradawi wurden von einem ZMD-Funktionär ins Deutsche übersetzt. Mehrere ZMD-Gliedorganisationen, der als Dachverband strukturiert ist, gelten als deutsche Ableger der Muslimbruderschaft. So vertritt der ZMD laut Verfassungsschutzbericht von Baden-Württemberg „auch die Interessen der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD)“. Seit Jahren, so der Bericht 2015, biete das Islamische Zentrum Stuttgart (IZS), das der IGD zuzurechnen sei, Literatur und Broschüren mit „islamistischen Inhalten“ an.

Dagegen untersteht das schiitische Islamische Zentrum Hamburg (IZH) dem obersten Rechtsgelehrten in Teheran. Es soll Hisbollah-Mitgliedern Räume zur Verfügung gestellt haben und beteiligte sich mehrfach am israelfeindlichen Al-Quds-Tag. Das IZH kritisierte Mohammed-Karikaturen als „schändlich“ und behauptete, der Angriff auf Charlie Hebdo sei von westlichen Geheimdiensten inszeniert worden.

 Wie Recherchen des ARD-Reporters Stefan Meining zeigen, wurde das IZ München auch von Terroristen frequentiert, darunter Mahmoud Abuhalima, einer der Hintermänner des Anschlags auf das World Trade Center 1993, und Mamdouh Mahmoud Salim, ein enger Vertrauter Osama bin Ladens und Mitbegründer al-Qaidas. Das IZ Aachen soll laut VS-Abteilungsleiter Klaus Grünewald in den neunziger Jahren Anlaufpunkt für Mitglieder der algerischen Front islamique du Salut (Islamische Heilsfront) gewesen sein.

Der Ditib gehören die meisten Moscheegemeinden in Deutschland an. Sie ist der türkischen Regierung unterstellt und beschäftigt hauptsächlich in der Türkei ausgebildete Imame. Als staatliche Behörde unterstützt die Ditib den Kurs der AKP bedingungslos. In den vergangenen Wochen forderten einzelne Imame ein Vorgehen gegen die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, der laut Staatspräsident Erdogan hinter dem gescheiterten Militärputsch steckt. Mitglieder aus Wolfsburg und Dinslaken hatten sich vor einem Jahr gar dem Islamischen Staat angeschlossen. Daß die Ditib den Islam eher kriegerisch interpretiert, wird allein schon daraus ersichtlich, daß sie ihre Moscheen oft nach osmanischen Feldherren benennt.

Als das Bundesinnenministerium vor zehn Jahren die Deutsche Islamkonferenz (DIK) ins Leben rief, betonte es, daß damit ein Signal für Integration und Toleranz ausgesendet würde. Kritische Stimmen gab es jedoch bereits damals. „Report Mainz“ zeigte Videomitschnitte, in denen ein Funktionär der Millî Görüs (Mitglied des Islamrats) über die Wiederauferstehung des Osmanisches Reichs fabulierte. Die CDU-Politikerin Kristina Schröder kritisierte, daß der Dialog mit Islamisten zu nichts führe. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei nicht Verhandlungsgegenstand, sondern Grundvorausetzung: „In Deutschland gilt im Konfliktfall das Grundgesetz und nicht die Scharia.“

Wie Hamed Abdel-Samad als ehemaliges Mitglied der DIK berichtet, ging es den orthodoxen Verbänden bei den Sitzungen des Gremiums vor allem darum, staatliche Zuwendungen zu erhalten und den Kampf gegen die sogenannte Islamophobie aufzunehmen. Forderungen des Innenministeriums, gegen Radikale in den eigenen Reihen konsequent vorzugehen, wiegelten sie regelmäßig ab, reagierten sogar gereizt. Sie hätten doch stets beteuert, daß der Islam nichts mit Terrorismus zu tun habe – das müsse reichen.

Anläßlich des Jubiläums der Deutschen Islamkonferenz am 27. September würdigte indessen Innenminister Thomas de Maizière die Arbeit der DIK. „Zehn Jahre Deutsche Islamkonferenz – das sind zehn Jahre Zusammenarbeit, in denen Vertrauen aufgebaut, Verläßlichkeit geschaffen und Wissen erweitert wurde“, erklärte der CDU-Politiker auf dem Festakt.

Er hob außerdem die Rolle der Konferenz als Impulsgeber für Fragen der praktischen Religionsausübung hervor, so die Einführung von islamischem Religionsunterricht an staatlichen Schulen oder die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie an deutschen Universitäten, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen seien. Dieser Einsicht widersprach der türkische Journalist Kemal Hür im Deutschlandfunk. 

Vor allem der Umstand, daß die Festrede zum zehnjährigen Bestehen ausgerechnet ein Ditib-Funktionär halten durfte, sei ein falsches Signal gewesen. Verbände wie die Ditib seien an einem Dialog mit kritischen Muslimen nicht interessiert. Liberale Mitglieder hätten die Konferenz auf Druck dieser Verbände nach und nach verlassen. Hürs Fazit: „Der Staat integriert mit dieser Konferenz nicht den Islam, er hofiert die Islamisten.“

Einen liberalen Islam lebt die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF). Aleviten lehnen die Scharia ebenso entschieden ab wie jede Form von Verschleierung und selbst das Kopftuchtragen. Bekanntester Protagonist ist hier Ali Ertan Toprak. Der langjährige Funktionsträger der AABF, der nun der Kurdischen Gemeinde in Deutschland (KGD) vorsitzt, engagierte sich lange bei den Grünen als Mitarbeiter Cem Özdemirs. 2011 wandte er sich vom rot-grünen Lager ab, da es ihm zufolge den Islamverbänden zu große Zugeständnisse machte. Toprak kritisierte in der Welt, daß der geplante Islamunterricht auch alevitische Kinder ganz im Sinne der türkischen Regierung zwangsassimilieren würde. Zudem ignoriere das linke Lager in der Frage der Frauenrechte die „Wertekollision des Islam mit unserer freiheitlichen Gesellschaft“.

„Eine ganze Generation den Scharfmachern überlassen“

Vor allem gegenüber der Ditib nimmt Toprak, der zugleich Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland e.V ist, kein Blatt vor den Mund. Bei ihr handle es sich um eine staatliche Auslandsorganisation der Türkei, die sich zu einem politischen Instrument der türkischen Regierung entwickelt habe, so das CDU-Mitglied. Die Freitagsgebete würden in der Zentrale der staatlichen Religionsbehörde Diyanet in Ankara verfaßt und an alle Moscheen verschickt. In den Gebetshäusern in Deutschland werde keine Entscheidung getroffen, die nicht von Ankara abgesegnet worden sei: „Wir überlassen bereitwillig eine ganze Generation junger Muslime in Deutschland den konservativen Scharfmachern aus der Türkei.“

Nordrhein-Westfalen reagierte Anfang September auf die breitgefächerte Kritik und beendete die Kooperation mit der Ditib. Hintergrund dieser Entscheidung war ein Comic der türkischen Religionsbehörde Diyanet, der den Märtyrertod verherrlichte. Ditib habe sich nach Einschätzung von Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) nicht von der Aussage Diyanets distanziert, obwohl das nordrhein-westfälische Innenministerium Ditib zu einer klaren Stellungnahme aufgefordert hatte. „Die Auflösung des Vertrages zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und Ditib wurde einvernehmlich beendet“, so Jäger. 

Mit dieser Entscheidung endet auch die Rolle Ditibs als Berater aller Schulen des Landes. Der Verband war dort an der Erarbeitung von Vorlagen für den Islamunterricht beteiligt. Zudem würden künftig alle muslimischen Gefängnisseelsorger in Nordrhein-Westfalen  vom Verfassungsschutz überprüft, erklärte Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. darunter auch die Prediger der Ditib, die „keinen Vertrauensvorschuß mehr“ genießen würden.