© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Pankraz,
A. Finkielkraut und die Jungen von heute

Vorigen Samstag ist es nun passiert: Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF starteten zusammen ihr vorher schon endlos bekakeltes, „speziell für die Jugend“ gestaltetes Digitalangebot „Funk“, um damit den rapiden Abfluß ihrer 14- bis 29jährigen Zuschauer zu stoppen. Ob das Erfolg haben wird, ist nach den ersten Auftritten noch nicht zu beurteilen. Aber einige Perspektiven deuteten sich bereits an,  und die stimmten nicht hoffnungsvoll.

 Der Medienexperte Stefan Niggemeier, der zur Beobachtung der Startarbeiten eingeladen war, erzählte danach, daß die ganze Sache den beteiligten Machern einen „unübersehbaren Spaß“ bereite; jetzt müsse man also abwarten, ob sich dieser Spaß „in Relevanz und Kreativität“ umsetzen werde. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. An sich sind Riesenspaß und gute Laune nicht unbedingt Garanten für Kreativität.

Man glaubt da allzu leicht, man habe schon alles im Kasten und brauche es nur noch anzuwenden. Doch das geht in der Regel schief und wird, wagt Pankraz vorauszusagen, auch hier bei den Öffentlich-Rechtlichen schiefgehen, trotz des vielen Geldes, das ihnen zur Verfügung steht. Die Macher von ARD und ZDF tun so, als wüßten sie genau,  was „die“ Jugend wolle und womit man sie dauerhaft an einen Sender binden könne. Indes, der Teufel steckt im Detail, und kreative Einfälle sind vor allem nötig, um ihn daraus zu vertreiben.


Wer ist denn „die“ Jugend? Hängt ihr inneres, geistiges Wollen nicht entscheidend von jeweiligen historischen Situationen und Befindlichkeiten ab? Ist die jugendliche Seele nicht ein sowohl leerer als auch ungeheuer empfindlicher Raum, in dem sich vor allem ganz konkrete, wahrhaft situationelle Erfahrungen und Widerfahrnisse einnisten und oft nicht mehr   ausreißbare Wurzeln schlagen? Es gibt in der Psychologie das Wort „Trauma“ dafür. Die Jugend, so kann man ohne viel Skrupel definieren, ist eine Epoche der Trauma-Zufügung; darüber hilft auch die allerbeste Laune des neuen ARD/ZDF-Senders nicht hinweg.. 

Alain Finkielkraut, der ausgezeichnete französische Philosoph und Psychologe vom Jahrgang 1949, spricht in seinem Buch „L’identité malheureuse“ (Verlag Stock, Paris 2013) von einem „Malheur“, einem Unglück, einem Pech, in dem die Jugend, jede Jugend, unentrinnbar stecke und das sie zutiefst präge. Das Malheur, das Pech, sei geradezu das Identitätsmerkmal von Jugend. Nach der Kindheit, einer überwiegend behaglichen, weil unbedarften Zeit, stoße die Jugend den Menschen gleichsam auf ein wüstes Schlachtfeld, wo er zum erstenmal eigene Waffen zücken, eigene Optionen und Entscheidungen verantworten müsse.

Solcher Zwang, so weiter Finkielkraut, mache die Jugendlichen, alle Jugendlichen, aggressiv und pflanze ihnen ein „robustes Weltbild“ ein, das die Unterhaltungsindustrie ungeniert bedient und dauernd noch anheizt. Zitat aus „L’identité malheureuse“: „Der Jugendliche weiß genau, was ihm gefällt, er weiß, wer eine Null ist. Und sollte er es einmal nicht wissen, klären ihn seine Kumpels auf. Umgarnt und umschmeichelt von der Unterhaltungsindustrie, definiert er sich vor allem durch seine Unbildung. Nichts fehlt ihm. Er kann nicht wollen, daß man ihn unterrichtet: Er sitzt auf einem Thron.“

Und weiter Finkielkraut: „Dort auf dem Thron spielt er die Rolle des launischen Königs – eines Königs unter vielen, denn Anmaßung und Egozentrik sind ja längst Massenphänomene. Unzählbar ist die Menge derer, die nicht den Lärm bemerken, den sie verursachen, die, den Kopfhörer auf den Ohren, die Welt durchschreiten, ohne die anderen wahrzunehmen; die in der Öffentlichkeit telefonieren und den unfreiwilligen Zuhörer ihrer kleinen Ärgernisse oder ihres großen Kummers beschimpfen, wenn dieser es wagt, sie an seine Gegenwart zu erinnern.“


Finkielkrauts Klage über das Malheur, das der Jugend widerfährt, mündet nur scheinbar ein in eine Klage über das Malheur, das die malheurisierte Jugend ihrerseits anderen zufügt, die nicht auf dem Kopfhörer-Thron sitzen. Seine Botschaft lautet vielmehr: Verantworung für die Misere tragen einzig die herrschenden „erwachsenen“ Gewalten, heißen sie nun Schulerzieher oder Unterhaltungsindustrie. Die einen wie die anderen laden schwere Schuld auf sich, indem sie sich einem blinden, schier wahnsinnigen Jugendkult hingeben und alles weitere diesem Wahn unterordnen.

Statt den Jugendlichen durch kluge Erziehungsangebote und beispielgebendes Selbstverhalten zu helfen, sich auf dem Schlachtfeld namens „Leben“ einigermaßen zurechtzufinden, erzeugen sie die Illusion, das Leben sei nichts weiter als eine läppische Spielwiese und deren digitale Verdoppelung und Ausbreitung in den Medien, es koste nur ein paar Euro, die man für Zeitungsabos und Klickzugänge berappen müsse.  Und wenn sich dann die Jugendlichen gelangweilt von den Medien abwenden, beginnt bei denen lediglich ein hektisches Installieren von angeblich jugendlichen „Inhalten“ und Sprachgewohnheiten. 

Natürlich wird die Misere dadurch nur immer weiter vertieft und führt am Ende, genau wie es das Buch  „L’identité malheureuse“ prognostiziert, zu einer Infantilisierung und Pathologisierung der Gesellschaft insgesamt. Typisch  die kritische Reaktion der sogenannten „Qualitätsmedien“ auf den Start von „Funk“. ARD und ZDF wurden für ihr  Unternehmen durch die Bank hoch gelobt, es wurde aber allerseits hinzugefügt, daß es nicht genüge, einen Extra-Jugendsender einzurichten; das gesamte Programm von ARD und ZDF müsse endlich von oben bis unten verjugendlicht werden.

„Weniger Donna Leon, mehr Pop und Kopfhörer“, war bezeichnenderweise der allgemeine Tenor. Ausgerechnet „Donna Leon“! Gerade diese Serie gehört doch zu den besseren im Hauptprogramm, gewissermaßen zu ihren Musen. Und schon der große antike Dramatiker Euripides wußte genau: „Wer in der Jugend die Musen vernachlässigt, der hat die vergangene Zeit verloren und ist für die zukünftige tot.“