© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Spezielle Komplimente
Genie und Biedersinn: Der Film „Meine Zeit mit Cézanne“ beleuchtet die problematische Künstlerfreundschaft zwischen Émile Zola und dem Maler
Sebastian Hennig

Im Vorspann von „Meine Zeit mit Cézanne“ rücken die Attribute zweier Lebenswelten in den Blick. Da sitzt der Schriftsteller Émile Zola in seinem plüschigen Arbeitszimmer am Schreibtisch und ringt mit der Schreibblockade. Keinen Tag ohne eine Zeile verstreichen zu lassen, mahnt ihn eine Devise an der Wand. Er lebt als Mönch in einem Palast. Ein wackerer Arbeiter ist auch sein Jugendfreund Cézanne. Doch bei dem sieht es eher rustikal ländlich aus. Brot, Zwiebeln und Tomaten liegen neben den Ölfarben und der Tabakspfeife.

Der Film über eine problematische Männerfreundschaft malt den Zuschauern ein Sittengemälde des französischen Fin de siècle. Hinzu kommen jede Menge gutgekleideter Menschen unter einer mediterranen Sonne. Gleichwohl hält sich das Drehbuch eng an die überlieferten Tatsachen. Zola ist armer Leute Kind. Sein Vater ist verunglückt, und er lebt mit der Mutter in dem Mangel, in den sich Cézanne erst durch seine Widerspenstigkeit gebracht hat.

Der Film handelt von einer Karriere in der Zeit und von einem überzeitlichen Ruhm. Natürlich wird manches an Zolas Werk überdauern, und auch Cézanne war nicht völlig erfolglos zu Lebzeiten. Aber die Wirkungsphasen ihres Werkes sind zueinander verschoben. Der Schriftsteller wirkt beharrlich auf seinen wirtschaftlichen Erfolg hin und erschreibt sich letztlich seinen Reichtum. Der begnadete Maler dagegen ist ein Glückskind und Anarchist. Damit kehrt sich im Laufe des Lebens die gegenseitige Fürsorge um. Das Modell, die Geliebte und spätere Frau des Malers, Hortense (Déborah François), ist eifersüchtig auf ihr Abbild, welches den Mann offenbar stärker in Wallung versetzt als das leibliche Urbild. Der Urfreund und Psychologe beschwichtigt: „Tröste dich, er liebt sich auch nicht.“ Dem jugendlichen Schwur Zolas: „Ich werde immer auf der Seite der Verlierer sein“, begegnet der Malerfreund: „Dann bleiben wir ewig zusammen.“ Beide Herren machen sich recht spezielle Komplimente. Der Maler sagt mit Tränen in den Augen: „Du bist ein Mistkerl und wieder schreibst du wie ein Gott.“ Dafür bekommt er zu hören: „Vielleicht bist du ein Genie, zum Künstler fehlt dir der Mumm.“ Heute wird solchen Personen wie Paul Cézanne gern ein „schwieriger Sozialcharakter“ bescheinigt. Nach einem derben Fauxpas verläßt der Maler die Gesellschaft und hört von draußen durch das Fenster, wie der Freund ihn bloßstellt. 

Wir sehen auch einen Film über die Heuchelei des arrivierten Sozialisten Zola, dessen alter Anarchistenfreund inzwischen durch die Umstände zu einem Reaktionär geworden ist. Mit seinen Taten allerdings wird er noch Ufer erreichen, die dem Journalisten und Romancier nicht einmal in Sicht geraten. Der sieht in dem äußerlich erfolglosen Künstler eine verbitterte und gescheiterte Existenz.

Der zwiespältige und peinliche Charakter Zolas verlangt Guillaume Canet die schwierigere schauspielerische Leistung ab. Mit enormer Glaubwürdigkeit gelingt ihm diese Darstellung. Wo Guillaume Gallienne seinen Cézanne, in einer Mischung aus Sympath und Ekel, mit polternder Kraft vorträgt, da verleiht Canet dem gebrochenen Temperament des Schriftstellers in schweigsamen Momenten große Plausibilität. Der schwache und zähe Mensch wird nicht ausgeliefert und verurteilt. Zuletzt möchte man ihn gemeinsam mit Cézanne betrauern, der tagelang über den an den Tod verlorenen Freund geweint haben soll.

Die Regisseurin Danièle Thompson ist in Verbindung mit der Urenkelin des Schriftstellers getreten. Anhand der Manuskripte und Bilder lebte sie sich in die Lebenswege der Künstler ein. Ihr Film ist historisch und menschlich korrekt, unterhaltsam und belehrend zugleich. 

Die Handlung ist um die Ereignisse des Jahres 1888 aufgebaut. Damals erbte der Maler das Vermögen seines Vaters, hatte seine Geliebte geheiratet, während Zola sich in sein Dienstmädchen Jeanne Rozerot (Freya Mavor) verliebte. Zwei Jahre zuvor hatte er in „Das Werk“ einen grandios an seinen eigenen Ansprüchen gescheiterten Künstler dargestellt. Von 1886 stammt der bislang letzte bekannte Brief Cézannes an Zola. Kurz nachdem Thompson in ihrem Drehbuch einen Besuch des Malers in der Villa Zolas im Jahr 1888 imaginierte, wurde sie mit dem Neufund eines Briefes von 1887 konfrontiert, in dem Cézanne sich für die Übersendung von „Die Erde“ bedankt und mit den Worten schließt: „Ich komme dich besuchen.“ Wenn es auch mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu nicht gekommen ist, bleibt es für die Realitätsfiktion des Films eine schöne Bestätigung. 

Das schlimmste an Malerfilmen besteht für den Kunstfreund in dem Blick auf die Staffelei. Dies bleibt dem Betrachter über weite Strecken erspart. Erst als gegen Ende des Films der Kunsthändler Ambroise Vollard (Laurent Stocker) für ein Porträt Modell sitzt, wird nebenbei der Versuch sichtbar, dieses bekannte Bild im Prozeß anzudeuten. Der Film ist in jeder Hinsicht diskret und geschmackvoll. Auch die Amouren der beiden Männer werden glaubhaft und nicht reißerisch dargestellt. Wir danken es dem reichen Leben seiner Protagonisten, daß der Film dadurch spannend und vielfältig gerät.