© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Neues zu Rudolf Borchardt: Konservativer Sittenprediger und der „Weltpuff Berlin“
Rudi Ruchlos als Pornograph
(dg)

Mit schöner Regelmäßigkeit ist im Feuilleton von Rudolf Borchardt (1877–1945, zuletzt JF 43/15) die Rede. Anlaß zu der seit Monaten murmelnden Debatte war das um weitere Jahrzehnte verlängerte Publikationsverbot für das im Marbacher Nachlaß verwahrte Manuskript „Weltpuff Berlin“. Nicht ohne hämischen, gegen „Rudi Ruchlos“ ätzenden Unterton fordern Borchardt-Experten die Aufhebung der von den Erben verfügten Sperrung, um den wortgewaltigen „konservativen Revolutionär“ und einen der in den zwanziger Jahren bekanntesten Streiter für eine geistig-sittliche Erneuerung Deutschlands endlich als Verfasser pornographischer Literatur kennenzulernen. Der Germanist und Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel stützt diese Position nun mit der kommentierten Erstveröffentlichung des Erzählfragments „Paulkes letzter Tag“ (Sinn und Form, 5/2016). Paulke, eine „Finalgestalt des Zerfalls“ der bürgerlich-wilhelminischen Welt, lasse den für Borchardts Œuvre in toto reklamierten Konservatismus als „durchaus diskussionswürdig“ erscheinen. Zumindest deute das Fragment, das neben dem „Weltpuff Berlin“ zu dem monströsen Projekt einer deutschen „Comédie humaine“ gehörte, an, daß das Erzählen des „genuinen Satirikers“ Borchardt mehr sei als „bloße Einkleidung konservativer Zeitkritik“.


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