© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Obamas Scherbenhaufen
Syrien-Konflikt: Zwischen Amerika und Rußland droht eine neue Eiszeit
Michael Wiesberg

Martialischer könnte sich der neue Spiegel, eines der Sturmgeschütze des transatlantischen Netzwerkes, der einen „Weltkrieg um Aleppo“ ortet, kaum geben: Um den „Brandherd Syrien“ tobe ein „Weltmachtkampf“, den Putin und auch der scheidende US-Präsident Obama zu verantworten hätten, verkündet das Hamburger Nachrichtenmagazin in seiner neuesten Ausgabe. Obamas mangelndes Engagement in Syrien, so der Tenor, habe ein Vakuum geschaffen, das unter anderem von Rußland, aber auch vom Iran gefüllt worden sei.

Diese Titelgeschichte ist nur ein Beispiel für jene Kreise diesseits und jenseits des Atlantiks, die die „Appeasement“-Politik Obamas gegenüber Putin, dem vorgeworfen wird, in Syrien wahllos Zivilisten „abzuschlachten“, am liebsten gleich beenden möchten und dafür auch bereit sind, einen neuen Kalten Krieg zu riskieren. Die Regierung Merkel zeigte dabei sogar so etwas wie politischen Eigensinn und preschte – den USA dabei zuvorkommend – schon einmal mit neuen Sanktionsforderungen gegen Moskau vor. Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, gehen auch Sanktionen nicht weit genug. Er raunte darüber, daß den Bewohnern  Aleppos „nur ein Truppeneinsatz am Boden helfen“ könne. Wer aber, so Brok geradezu bedauernd, „wäre in Deutschland bereit, Bundeswehr dorthin zu schicken?“ Damit es in Aleppo noch ein wenig mehr „weltkriegsmäßig“ kracht, unterstützt Brok die Forderung, ausgesuchte Rebellen mit Flugabwehrraketen auszustatten.

Auch in den USA schlägt die Stimmung um. Nicht nur einflußreiche Medien wie das Wall Street Journal, die New York Times oder die Washington Post machen mittlerweile gegen die Regierung Obama mobil, die sich geweigert habe, militärischen Druck auf das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad auszuüben, auch mehr und mehr Politiker, allen voran der republikanische Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Senat, John McCain, beklagen den schwindenden Einfluß der USA und verlangen eine „robustere militärische Hilfe“. Gefordert werden Angriffe mit Cruise Missiles und eine bessere Bewaffnung der Rebellen. Die militärisch stärkste Rebellengruppe indes, die nun den Stellvertreterkrieg für den Westen ausfechten soll, ist ausgerechnet die dschihadistisch-salafistische Al-Nusra-Front. Diese Gotteskrieger sind der Kern des „Volkssturms“, von dem der Westen hofft, daß er den Russen und der syrischen Armee die Stirn bietet.

Im Kern dürften die westlichen Empörungswellen wohl von der Ernüchterung darüber motiviert sein, daß ein „Regime change“ in Syrien in immer weitere Ferne rückt. Fällt Aleppo und damit eine der letzten Hochburgen der islamistischen Milizen, kommt das einer strategischen Wende zugunsten der verhaßten Assad-Regierung und Rußlands gleich. Offenbar nimmt Obama, der das Gesicht wahren will, nun sogar in Kauf, daß gegen seinen ursprünglichen Willen Islamisten der Al-Nusra-Front Zugang zu modernen Waffensystemen erhalten könnten. Obama würde damit genau den Weg einschlagen, über den es wohl zum Zerwürfnis mit Hillary Clinton gekommen ist, die bereits in ihrer Zeit als Außenministerin mit dem damaligen CIA-Chef Petraeus die Bewaffnung und Ausbildung syrischer Rebellen vorantreiben wollte. Obama stoppte damals aus guten Gründen diese Pläne, hatte er doch das Beispiel Libyen vor Augen; 2011 hatte ihn Clinton dazu gedrängt, sich der Intervention gegen Gaddafi anzuschließen. Obama hat diese Intervention bezeichnenderweise als schwersten Fehler seiner Amtszeit bezeichnet. Heute ist Libyen eine Bastion für radikale Islamisten und Schlepper afrikanischer Migranten. 

Eine militärische Verwicklung der USA in den syrischen Bürgerkrieg läuft der „grand strategy“ entgegen, die Obama vor dem Hintergrund schwindender Stärke der USA auf dem „eurasischen Schachbrett“ gegenüber Rußland und China verfolgt. In dieser Strategie spielen Freihandelsabkommen eine zentrale geopolitische Rolle: Während mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) auch eine Eindämmung Rußlands verfolgt wird, gilt gleiches mit Blick auf China für das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP). Es geht im pazifischen Raum ja nicht nur um eine handelspolitische, sondern vor allem um eine militärische Kooperation der USA mit dem Ziel, Chinas geopolitisches Ausgreifen mit einer Kette von US-alliierten Staaten einzudämmen. Obama kämpft derzeit um die Ratifizierung des TPP durch den Kongreß, was ihm in seiner verbleibenden Amtszeit nicht mehr gelingen dürfte. Inwieweit TTIP mit Blick auf Europa Realität annehmen wird, darüber kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden.

Daß Obama nun gezwungen ist, sich mit Blick auf Syrien von dem Ziel einer Kooperation mit Rußland – geplant war ein gemeinsames Kommandozentrum zur Bekämpfung der Al-Nusra-Front und des IS – zu verabschieden, führt der Syrien-Experte Günter Meyer auf den Unwillen des Pentagons zurück, mit den Russen zusammenzuarbeiten. Deshalb könnte vor gut drei Wochen ein US-Angriff auf syrische Regierungstruppen initiiert worden sein. Rußland wiederum wird seitens des Westens trotz mangelnder Beweise für einen Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi verantwortlich gemacht. Alle Zeichen stehen nun auf Konfrontation. Unter einer möglichen Präsidentin Clinton, die als „interventionsfreudig“ gilt und sich der Unterstützung der kalten Neocon-Krieger erfreut, könnte sich deshalb der Krieg in Syrien auf Jahre hinaus verlängern – und eine neue Eiszeit zwischen dem Westen und Rußland bringen.