© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Die Ungläubigen ruhig schädigen
Kölner Silvesternacht: Das Gutachten eines Rechtspsychologen zu den massenhaften Übergriffen fördert erschreckende Details zutage
Christian Schreiber / Christian Vollradt

Welches Motiv hatten die überwiegend ausländischen Männer, die in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof zahlreiche Frauen bedrängt, bestohlen und sexuell belästigt haben? Hingen die Taten zusammen, waren sie geplant? Und welche Rolle spielten die Einsatzkräfte in der fraglichen Nacht? Zur Klärung dieser Fragen hatte der Untersuchungsausschuß des Landtags von Nordrhein-Westfalen ein Gutachten beim Rechtspsychologen Rudolf Egg in Auftrag gegeben.

Rund tausend Akten mit anonymisierten Anzeigen hat der Wiesbadener Kriminologe für sein fünfzigseitiges Dossier, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, analysiert. Die Unterlagen, die ihm von der Polizei zur Verfügung gestellt wurden, beleuchten die Vorfälle in der Tatnacht aus Sicht der Opfer. Die massenhaften Übergriffe sind nach Ansicht des Gutachters durch das späte Eingreifen der Polizei begünstigt worden. 

„Sie griffen uns in den Schritt und an die Brüste“

Daß kleinere Tätergruppen stundenlang Frauen drangsalieren und bestehlen konnten, habe die übrige Menge wohl entfesselt, schreibt Egg. Eindeutig sei, daß es sich bei den Tätern vorwiegend um Ausländer gehandelt habe: „Ersichtlich waren diverse männliche Personen nordafrikanischer und arabischer Abstammung. Es konnte der Ausruf ‘Allahu akbar’ deutlich vernommen werden“, zitiert Egg aus einem Bericht der Bundespolizei, in dem ein Video aus der Tatnacht analysiert wurde. 

Bei den Taten, die eine Kombination aus Eigentumsdelikt und sexuellem Übergriff darstellten, wurde von knapp 62 Prozent der Geschädigten das Aussehen der Täter als „nordafrikanisch/arabisch“ bezeichnet, von 32,6 Prozent verallgemeinernd als „ausländisch“ oder „südländisch“. Lediglich 1,3 Prozent gaben ein deutsches oder europäisches Aussehen an. Die Gesamtzahl der weiblichen Geschädigten aller ausgewerteten Strafanzeigen umfaßt knapp tausend Personen. 

Geschehen sei von Polizeiseite aus zunächst nichts: „Ein möglichst rasches Eingreifen wäre erforderlich gewesen, um die Flut von Taten einzudämmen. Die Räumung des Platzes kurz vor Mitternacht ist vermutlich deutlich zu spät erfolgt und hat keine nennenswerte abschreckende Wirkung mehr entfaltet“, resümiert Egg. Ein großer Teil auch der Sexualstraftaten habe sich bereits zwischen 20.30 und 23.35 Uhr ereignet, als die Polizei wegen fehlenden Personals noch gar nicht am Dom präsent war. 

Der Sachverständige, so heißt es im Bericht, „nimmt an, daß die große Zahl der vor dem Kölner Hauptbahnhof ver-sammelten Männer den Beteiligten schon am frühen Abend das sichere Gefühl gab, Teil einer großen und weitgehend anonymen Masse von Menschen zu sein, die keiner oder jedenfalls keiner sehr großen sozialen Kontrolle unterliegt“. Eindrucksvoll zitiert Egg in seinem Gutachten aus Vernehmungsprotokollen der zumeist jüngeren Frauen: „Wir wurden angefeindet, beschimpft, geschubst, und von allen Seiten spürte man Hände am Leib, ohne wirklich sagen zu können, zu wem sie gehörten. Es war abartig, selten in meinem Leben war mir derart unbehaglich“, schrieb eine junge Frau.

 Eine andere Betroffene schilderte ihre Erlebnisse wie folgt: „Auf der Domplatte angekommen, wurden wir wirklich an allen Körperöffnungen unzählige Male berührt. Die Männer griffen uns zwischen den Schritt, an den Po und an die Brüste. Wir haben schnell festgestellt, daß es nicht aus Versehen passierte. Nachdem wir uns durch Wegschubsen der Männer wehrten, kamen immer mehr und versuchten uns untereinander zu trennen. Sie griffen uns stärker zwischen den Schritt und pitschten hinein. Sie hatten keine Hemmungen mehr und hielten uns fest, schubsten zurück und öffneten unsere Taschen und Rucksäcke. Nur durch Weglaufen sind wir den Ausländern entkommen.“ Beim Versuch, den Täter zur Rede zu stellen, so berichtete eine Geschädigte, habe dieser sie nur ausgelacht und ihr gesagt, sie solle sich nicht so anstellen. Schließlich bezeichnete er sie noch als „Schlampe“.

Oft blieb es nicht beim sexuellen Übergriff: „Die Männer griffen mir unter mein Kleid und versuchten, mit ihren Fingern durch meine Strumpfhose in meine Scheide einzudringen. Als sie das versuchten, wehrte ich mich so heftig, daß ich in den Hauptbahnhof flüchten konnte. Später stellte ich noch den Diebstahl meines Handys fest.“

Ein aus Syrien stammender Arzt, der in der Silvesternacht im Kölner Hauptbahnhof die Toilette eines Schnellrestaurants aufgesucht hatte, berichtete der Polizei, eine männliche Person habe ihm währenddessen fast seine Tasche gestohlen. Da der Arzt aber Moslem sei, so die Begründung des Mannes, habe er die Tasche doch nicht gestohlen. „Die männliche Person habe ihn aufgefordert, sich an Diebstählen zum Nachteil der ‘Kufar’ (Ungläubige) zu beteiligen. Die hätten schließlich auch den Krieg in die arabischen Staaten gebracht. Deshalb könne man sie hier ruhig schädigen“, gibt der Polizeibericht die Aussage des syrischen Zeugen wieder. Seiner Beschreibung nach stammte der entsprechende Täter aus Libyen.

Die Reaktion seitens der Polizei sei in der Folge eher defensiv gewesen. Wie ein roter Faden zieht sich der Vorwurf durch das Gutachten, ein konsequenteres Eingreifen hätte die Übergriffe zumindest teilweise unterbinden können. „Die Menschen schrien und einige weinten. Meinen Beobachtungen zufolge waren viel zuwenig Polizisten da vor Ort, wo sich die Menschenmassen aufhielten. Vielleicht hätte man so viele sexuelle Übergriffe, Gewalttaten, Diebstähle verhindern können“, beschreibt es ein weiterer Zeuge.

Ausgeschlossen, daß die Übergriffe Zufall waren

Die Anzeigen vermittelten laut Egg den „Eindruck, daß die zahlreichen Übergriffe nicht von feststehenden Personengruppen verübt wurden, sondern daß aus der Masse der im Bereich Hauptbahnhof und Dom versammelten Personen heraus immer wieder Straftaten begangen wurden, teils von Einzeltätern, teils von kleinen, relativ stabilen Gruppen (möglicherweise Freunde und Bekannte), teils von ad hoc gebildeten, wenig dauerhaften Gruppen unterschiedlicher Größe, deren Mitglieder sich vielleicht wenig oder gar nicht kannten“. Eine rein zufällige, von vornherein nicht beabsichtigte Begegnung der Täter könne „vernünftigerweise“ ausgeschlossen werden. Dafür seien zu viele Männer zur selben Zeit am selben Ort gewesen. Es sei auch nicht auszuschließen, daß es in Flüchtlingsheimen zu Absprachen gekommen sei. Allerdings habe es sich eher um die Planung des Silvesterabends gehandelt, nicht um eine gezielte Verabredung zu Straftaten. Dies sei „spontan entstanden“, quasi als die Masse erlebt habe, „was möglich“ sei. 

Die Wahrnehmung, schlußfolgert Rechtspsychologe Egg, daß „erste Straftaten einzelner ohne (nennenswerte) Konsequenzen blieben, ermunterte wahrscheinlich schrittweise mehr und mehr Personen dieser Ansammlung, Ähnliches zu tun“. So entstand eine Art rechtsfreier Raum, „ein („anomischer“) Zustand der scheinbaren Regellosigkeit“.