© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Durchkreuzte Lebenspläne
Eine EU-Richtlinie, drei Fallbeispiele, dreimal Nein: Weder Eigenkapital noch Hypothek entlocken den Banken und Sparkassen Kredite
Verena Inauen

Ein Abitur mit Auszeichnung, das Studium stets mit Bravour gemeistert und ein durchschnittliches Gehalt der oberen Mittelklasse. Das haben Julia und Bernhard Stuber gemeinsam. Auch der Mut, sich schon als junges Paar für ein Kind entschieden zu haben, verbindet sie. „Eine 80-Quadratmeter-Wohnung mit Kinderzimmer für 900 Euro am Stadtrand, ein Gebrauchtwagen und hin und wieder ein Wochenende am See“ seien die höchsten Ausgaben, schildert Bernhard die Situation.

Mit Frau Lempke von nebenan haben sie wenig Gemeinsames. Ihr Mann ist im besten Alter unerwartet verstorben. Die Witwe steht mitten im Leben und verdient nach 30 Jahren Berufserfahrung 2.500 Euro netto. Ohne Kinder wird sie sogar etwas mehr Rente als ihre Kolleginnen erhalten. Davon kann Herr Müller nur träumen. Er hat zeitlebens in einer großen Brauerei gearbeitet, vor seiner Rente noch eine schöne Gehaltserhöhung erhalten. Die Raten für das Haus am Waldrand sind gerade abbezahlt, die Kinder werden flügge.

Eines verbindet die sonst so unterschiedlichen Leben aber: Sie alle brauchen einen Kredit! Und bekommen ihn nicht. Weil die EU ihre Schäfchen gut behütet und vor einer Überschuldung schützen will, gehen sie leer aus. In einer Richtlinie, die mit März 2016 in Kraft getreten ist, wurde der Handlungsspielraum von Banken empfindlich beschränkt, weswegen Sicherheiten, Bürgschaften oder erwartete Gehaltserhöhungen nur noch teilweise bis gar nicht anerkannt werden.

Trotz eines denkbar niedrigen Zinsniveaus darf die Familie Stuber den Baugrund für ihr gemeinsames Eigenheim im Münchner Umland nicht erwerben. Das Haushaltsbudget haben die beiden sorgfältig auf die kommenden 30 Jahre durchgeplant, „die Kreditrate wäre sogar mitsamt Einrichtung des Fertigteilhauses noch im Rahmen“, rechnen die beiden vor. Obwohl Julia Ausgleichszahlungen erhält, in den kommenden Jahren wieder Steuern für den Staat erwirtschaften wird und Michael kurz vor der Anwaltsprüfung steht, ist der Bank das Einkommen zu unsicher. Bürgen müssen her. Die Mutter von Julia und der Vater von Bernhard erklären sich dazu bereit. Die Eltern sind 55 und 60 Jahre alt. Ihre verbliebene Lebenszeit wird von der Bank allerdings nicht mehr auf weitere 30 Jahre geschätzt, die Rente sowieso nicht als geeignetes Einkommen angesehen. „Es wird wohl bei dem einen Kind bleiben“, das bald in Fremdbetreuung gegeben werden muß, „damit ich schnell wieder mehr zum Familieneinkommen beitragen kann“, schildert Julia ihre Pläne.

„Selbst wenn ich wollte, dürfte ich nicht“

Auch Frau Lempke staunte nicht schlecht, als der Brief mit der Kreditabsage in ihren Postkasten flatterte. Eine kleine Wohneinheit in einer Wohnanlage für betreutes Wohnen mit guter öffentlicher Anbindung in der Innenstadt hätte sie erwerben wollen. „Im Alter will doch niemand allein sein“, erzählt sie, während sie den Grundriß der Stadtwohnung ausbreitet. Die wird nun nicht ihr Eigen. Ihr aktuelles Heim in Schleswig-Holstein sei noch voll mit den Andenken an ihren verstorbenen Mann und außerdem viel zu groß für sie allein. Auch den zuverlässigen, aber teuren Mercedes meinte sie dann nicht mehr zu brauchen: „Der Bus ist sowieso sparsamer, und in der Stadt bin ich damit doch schneller.“ Obwohl nun erhebliche Barmittel durch den Verkauf des Fahrzeuges vorhanden sind, läßt sich die Bank nicht auf das Geschäft ein.

Mit einer kurzen und bündigen Ablehnung seines Kreditantrags hatte aber auch Herr Müller nicht gerechnet. Das Auslandssemester seiner Jüngsten und deren Medizinstudium in Heidelberg kann er nicht alleine von seinem Ersparten bezahlen. Und gespart hat er gemeinsam mit seiner Ehefrau jede D-Mark und später jeden Euro. Einen großen Teil hat er zwar beiseite gelegt, für den Rest sollte eine Hypothek aufs Haus aufgenommen werden. Obwohl er vor Jahren einen guten Kauf mit dem Waldgrundstück machte und der Wert bereits erheblich gestiegen ist, darf die Bank das nicht in ihre Berechnungen mit einfließen lassen. Die vorbildliche Kontoführung der Eltern nützt ebenfalls nicht viel. Der Kundenbetreuer kennt seinen Freund vom Kegelverein schon sein Jahrzehnten. „Selbst wenn ich wollte, dürfte ich nicht“, schildert uns der langjährige Sparkassen-Angestellte. Das Medizinstudium muß einem Call-Center-Job und das Auslandssemester dem Tandem-Nachhilfeunterricht für spanische Zuwanderer weichen. Hauptsache, die EU steuert nicht auf die gleiche Krise wie die USA vor wenigen Jahren zu.





Die Vergabe von Wohnungsbaukrediten steigt – noch

Der Immobilienverband Deutschland IVD warnt: Die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie sei fehlerhaft in deutsches Recht übernommen worden. Das führe zu verfassungswidrigen Diskriminierungen junger Paare mit Kinderwunsch sowie älterer Menschen ab 60. Diese würden ab sofort keinen Kredit mehr bekommen, wenn nicht dringend nachgebessert werde. Ursache für den Alarmruf der Immobilienwirtschaft sind die gegenüber der EU-Richtlinie in deutschen Gesetzen (Kreditwesengesetz und BGB) strengeren Bestimmungen, die vorgeben, daß es wahrscheinlich sein muß, daß der Darlehensnehmer selbst den Kredit vertragsgemäß erfüllen wird. Der Präsident des IVD, Jürgen Michael Schick, forderte, die Regelung der EU-Richtlinie wörtlich zu übernehmen, um die Kreditklemme zu lösen. Die EU-Richtlinie sei weniger streng und erlaube es, den Kredit gegebenenfalls auch durch Bürgen oder Erben zu bedienen.

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