© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Zu jung, zu alt, zu arm
Durchschnittsverdiener bekommen kaum noch Geld geliehen: Wie eine EU-Richtlinie die Immobilienkreditvergabe in Deutschland total durcheinanderbringt
Markus Brandstetter

Wenn in Deutschland einer ein Haus kaufen will und dafür einen Kredit braucht, dann funktioniert das seit 150 Jahren so: Er geht zur Bank, sagt, welche Immobilie er kaufen will, was die kostet und wieviel Eigenkapital er mitbringt. Hat der Häuslebauer ein festes Einkommen, kann er rein rechnerisch Zins und Tilgung leisten, ist seine Wunschimmobilie einigermaßen marktgängig und bringt er dann noch wenigstens 20 Prozent vom Kaufpreis als Eigenkapital mit, dann gibt es mit dem Kredit keine Probleme. Geht später etwas schief, kann der Kreditnehmer sein Darlehen nicht mehr bedienen, weil er sich scheiden läßt, seine Arbeitsstelle verloren hat, erkrankt oder gestorben ist, dann hat die Bank als Sicherheit auf die Immobilie zu ihren Gunsten im Grundbuch eine Grundschuld eingetragen. Fällt der Kreditnehmer aus, dann erlaubt die Grundschuld der Bank, erstens in das Vermögen des Kreditnehmers zu vollstrecken und zweitens Haus und Grundstück versteigern zu lassen, wodurch sie auch in so einem Fall noch zu ihrem Geld kommt. Durch diese seit Jahrzehnten eingespielte Praxis sind zwar Kreditnehmer immer wieder einmal um Haus und Hof und Vermögen gekommen, die Banken aber konnten so ihre Kreditausfälle und die daraus resultierenden Wertberichtigungen in ihren Bilanzen minimieren, was dazu geführt hat, daß fast jeder, der ein Immobiliendarlehen beantragte, auch eines bekam. 

Banken sind deutlich       vorsichtiger geworden

Mit dieser bestens etablierten Praxis ist es seit März 2016 vorbei. Da ist nämlich die Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments über Wohnimmobilienkreditverträge in deutsches Recht gegossen worden, und die hat es in sich. Damit werden auf 52 engbedruckten Seiten die bislang existierenden bankinternen Mechanismen der Kreditprüfung bei privaten Hypothekendarlehen auf den Kopf gestellt.

Waren bislang der Wert der von der Bank finanzierten Immobilie, das vom Kreditnehmer mitgebrachte Eigenkapital und die Absicherung des Bankenrisikos durch die Grundschuld die alles entscheidenden Faktoren bei Kreditprüfung und Kreditvergabe, ist es nun plötzlich die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers. Seit Inkrafttreten der neuen EU-Richtlinie müssen jetzt die „Faktoren, die für die Prüfung der Aussichten relevant sind, daß der Verbraucher seinen Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nachkommt, in angemessener Form berücksichtigt werden“ (Artikel 18, Absatz 1). Das zweite neue Kriterium bei der Kreditprüfung lautet so: „Die Kreditwürdigkeitsprüfung darf sich nicht hauptsächlich darauf stützen, daß der Wert der Wohnimmobilie den Kreditbetrag übersteigt, oder auf die Annahme, daß der Wert der Wohnimmobilie zunimmt“ (Artikel 18, Absatz 3).

Diese Passagen klingen harmlos, sind in Wirklichkeit für Kreditnehmer aber brandgefährlich, denn das bedeutet: Für die Vergabe eines Immobilienkredites ist jetzt nicht mehr wie früher der Wert der finanzierten Immobilie entscheidend, sondern die Fähigkeit des Kreditnehmers, den Kredit über seine Laufzeit hinweg zurückzuzahlen. Das sind aber zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn die prognostizierbare Fähigkeit des Immobilienkäufers, seinen Kredit zurückzuzahlen, das Hauptkriterien für die Kreditentscheidung ist, dann bekommt jeder, der zu jung, zu alt oder zu arm ist, kein Hypothekendarlehen mehr. Ganz egal, wieviel Eigenkapital er mitbringt, welchen Wert seine Wunschimmobilie hat und wie der sich voraussichtlich entwickeln wird.

Junge Familien und Rentner sind jetzt benachteiligt

Für junge Familien, Durchschnittsverdiener und Rentner wird es zukünftig also deutlich schwerer werden, an Immobiliendarlehen zu kommen – und zwar auch dann, wenn sie nur renovieren wollen. Erste Trends zeigen bereits, daß Banken trotz historisch niedriger Zinsen bei der Kreditvergabe an Rentner und Durchschnittsverdiener seit Inkrafttreten der EU-Verordnung deutlich vorsichtiger geworden sind.

Die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein von EU-Bürokraten erdachtes Gesetz, das dem Verbraucherschutz dienen sollte, in Wirklichkeit Millionen von Bürgern massiv schadet. Aus einer EU-weiten Richtlinie, die verhindern sollte, daß Häuslebauer sich mit Krediten übernehmen, ist ein Gesetz geworden, das in Deutschland zukünftig ganze Bevölkerungsgruppen vom Immobilienerwerb ausschließen wird.

Dabei war der ursprüngliche Grund für die Abfassung dieser EU-Richtlinie sinnvoll. Die EU-Kommission hatte sowohl die Risiken für Kreditnehmer begrenzen als auch verhindern wollen, daß es in der EU zu einer Katastrophe wie in den USA kommt, wo im Jahr 2007 der Immobilienmarkt zusammengebrochen war, was die Weltwirtschaftskrise zwischen 2007 und 2009 auslöste. Nur hat man in Brüssel eben Äpfel mit Birnen verglichen. Die amerikanische Immobilienkrise entstand, weil amerikanische Banken (vor allem „Fannie Mae“ und „Freddie Mac“) den Kaufpreis von Immobilien zu 100 Prozent und mehr finanzierten, die Amerikaner keine festen, sondern variable Zinssätze haben und Wall-Street-Banken die Immobilienkredite im Bündel so lange weiterverkauften, bis viele von ihnen wertlos geworden waren – alles Faktoren, die auf deutsche Wohnungsbaukredite nicht zutreffen.