© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

„Man kann nur mit dem Kopf schütteln“
Versucht die Politik, in den sozialen Netzwerken die Meinungsfreiheit einzuschränken? Der Anwalt Joachim Steinhöfel warnt davor – und hat ein Projekt gestartet, das die politische Parteilichkeit dort dokumentiert
Moritz Schwarz

Herr Steinhöfel, findet in sozialen Medien wie Facebook politische Zensur statt?

Joachim Steinhöfel: „Eine Zensur findet nicht statt.“ So steht es bekanntlich in Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes. Unter Zensur versteht man gemeinhin die staatliche Kontrolle und Freigabe von Meinungsäußerungen, vor allem in der Presse. Eine derartige Zensur existiert natürlich nicht. Eine derart plumpe Methode ist auch in modernen Gesellschaften weder erforderlich noch realisierbar. 

Sondern?

Steinhöfel: Nun, die Einflußnahme des Staates auf die veröffentlichte Meinung findet wesentlich subtiler und mittels der dem Staat zur Verfügung stehenden Transmissionsriemen für ihm genehme politische Positionen statt.

Zum Beispiel?

Steinhöfel: Im angeblich staatsfernen ZDF sitzen Generalsekretäre, Staatssekretäre und Minister. Die Parteien organisieren die ganze Veranstaltung so, als sei sie ein Filialunternehmen des politischen Betriebs. Fragen Sie mal Bettina Schausten, wem sie ihren Job zu verdanken hat, oder einen Top-Redakteur der ARD, ob er seinen Job auch ohne Parteibuch erhalten hätte. Natürlich nicht. Der Chefredakteur der Zeit, um nur ein Beispiel zu nennen, entschuldigt sich für die Flüchtlingsbesoffenheit seines Mediums.

Sie haben das Projekt „Wall of Shame“ – zu deutsch: „Schandmauer“ – ins Leben gerufen. Schaut man sich die dort von Ihnen präsentierten Beispiele der Lösch- und Sperrpolitik von Facebook an, ergibt sich durchaus der Eindruck, als folge diese auch einem politischen Muster.

Steinhöfel: Da es hierüber natürlich keine verläßlichen Erhebungen gibt und geben wird, kann man immer nur von dem persönlich Erlebten oder Berichteten ausgehen. Danach erhält selbst übelster Antisemitismus – etwa „Der Holocaust ist eine von den Juden erfundene Lüge!“ – bei Facebook sehr häufig einen Freifahrtschein, Gewaltaufrufe gegen AfD-Politiker – „Ziegelsteine müssen fliegen!“ – bleiben auch nach Beschwerden online. Linksextremistische Aufrufe und muslimischer Extremismus, wie Mordaufrufe gegen Islamkritiker, werden sehr häufig auch dann nicht entfernt, wenn sie strafbar sind. Ich werde auch weiterhin all das dokumentieren, was mir an Löschungen und Sperrungen mitgeteilt wird, die ungerechtfertigt sind – ebenso wie solche die unterbleiben, wenngleich die Inhalte rechtsverletzend sind. Diese Versäumnisse sollten nicht im digitalen Grundrauschen untergehen, sondern dokumentiert werden. Es geht nicht an, daß ein Monopolist wie Facebook ein mit unserer Rechtsordnung kollidierendes rechtliches Paralleluniversum schafft und damit durchkommt.

Wie ist diese politische Schlagseite bei Facebook zu erklären? 

Steinhöfel: In Deutschland steht Facebook unter politischem Druck. Das Demokratieverständnis von Justizminister Heiko Maas wird am besten dadurch dokumentiert, daß er bereits Kritik an der Regierungspolitik für suspekt hält. Kritikern der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung warf er etwa vor, sie fügten der „politischen Kultur und dem Recht schweren Schaden zu“.  Man kann nur noch den Kopf schütteln. Maas inszeniert sich gerne als unerschrockenen Kämpfer „gegen Rechts“. Und Familienministerin Manuela Schwesig „investiert“ Steuermillionen für ähnliche Zwecke. Die Medien sind voll damit, die rechte Gefahr anzuprangern. Was ja auch durchaus gerechtfertigt ist. Nur ist das Vorgehen gegen extremistische Veröffentlichungen in keiner Weise konsequent. Vorbehalte gegen Islamofaschismus und Linksextremismus sucht man vergeblich. Diese Schlagseite spiegelt sich dann auch bei Facebook wider, wo selbst völlig sachliche Kritik an der kontroversen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin immer wieder rausfliegt. Richtig wäre es, gegen jegliche Art von Extremismus vorzugehen, gleich aus welcher politischen oder religiösen Ecke er kommt. Das ständige Politisieren dieses „Kampfes“ in Hinblick darauf, welcher Extremismus der gefährlichere ist, zeigt lediglich, daß es den Protagonisten nicht um Erfolge geht, sondern darum, politische Punkte zu sammeln.

Läßt sich Facebook denn tatsächlich von deutschen Politikern beeinflussen oder sind die Treffen mit diesen nicht reine Schauveranstaltungen, und der Konzern macht letztlich doch, was er will?

Steinhöfel: Die öffentlichen Auftritte von Maas und Co., bei denen sich die sozialen Medien als überrumpelte Steigbügelhalter des Justizministers gerierten, sind nichts als ein anhaltender PR-Gau für Facebook und eine peinliche Schauveranstaltung des Bundesjustizministers. Facebook muß nach Kenntniserlangung löschen, was rechtswidrig ist. Unterbleibt dies, haftet der Konzern selber, oder die Manager machen sich sogar strafbar. So einfach ist das. Das ist deutsches Recht. Wozu braucht man da noch „Berater“ dafür, was „Hatespeech“ ist?

Bei den von Ihnen zusammengetragenen  Beispielen scheinen allerdings etliche Fälle von Haßparolen gegen Konservative oder Rechte zu fehlen. Man erinnere sich etwa an die Aufrufe, die konservative Publizistin Birgit Kelle als „Hexe“ zu „verbrennen“. Haben Sie solche nicht gefunden oder einfach nicht in Ihre Sammlung aufgenommen? 

Steinhöfel: Ich suche nicht selber, sondern stelle – nach Prüfung – das online, was mir zugeschickt wird. Und ich stelle nur solche Fälle online, die ich als rechtsverletzend oder strafbar erachte. Beziehungsweise andererseits solche Fälle, in denen zulässige Meinungsäußerungen zu Löschungen oder Sperrungen führten.

Die Debatte über Haß im Internet, über Löschen und Sperren hat erst in den letzten Monaten Fahrt aufgenommen. Anlaß waren die Verbalattacken gegen Flüchtlinge, illegale Einwanderer und etablierte Politiker. Lange zuvor schon gab es dort allerdings auch massive Hetze gegen Konservative – was aber offenbar kein Grund war, Maßnahmen zu ergreifen. Handelt es sich um eine Einseitigkeit? 

Steinhöfel: Die in den Medien veröffentlichten Meinungen repräsentieren nicht das Meinungsbild der Bevölkerung. Vierzig Prozent der deutschen Journalisten stehen den Grünen nahe; ich beziehe mich da auf die Erhebungen von Hans M. Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Universität Mainz. Dies erklärt einiges. Außerdem ist die Flüchtlingskrise ein ideales Vehikel, um politisch nicht genehme Meinungen zu diskreditieren. Von dieser Möglichkeit, politische Gegner zu stigmatisieren, machen Politik und Medien Gebrauch.

Aus deutscher Sicht verwundert die Toleranz gegenüber antiisraelischen Botschaften – Beispiele dokumentieren Sie ebenfalls auf Ihrer Seite „Wall of Shame“. In Deutschland ist man diesbezüglich bekanntlich höchst sensibel. Man würde erwarten, daß hier die schärfste Zensur geübt wird. Wie ist zu erklären, daß dies nicht der Fall ist? 

Steinhöfel: Ich glaube, Sie täuschen sich mit Ihrer Einschätzung. Sicher, an Feiertagen werden bewegende Reden gehalten. Aber wenn der muslimische Mob in Berlins Straßen brüllt „Juden ins Gas!“, passiert gar nichts. Vizekanzler Sigmar Gabriel fabuliert in Israel ahnungslos etwas von „Apartheidstaat“, EU-Parlamentschef Martin Schulz phantasiert über Juden, die den Palästinensern das Wasser abdrehen, Grüne und Linke organisieren Boykottaufrufe gegen israelische Produkte. So sieht die „Pro-Israel“-Haltung eines großen Teils der deutschen Politiker aus.

Allerdings gibt es auch unpolitische Beispiele einer einseitigen Lösch- und Sperrpolitik: Ein historisches Foto aus dem Vietnamkrieg etwa führte zur Sperrung durch Facebook, ein aktuelles Greuelvideo des Islamischen Staates nicht. Pornographie und Kindesmißbrauch wird nicht gelöscht – wohl aber ein Artikel über Pornographie. Wie ist das zu verstehen?

Steinhöfel: Das erklärt sich ganz einfach mit der teilweise sprachlos machenden Inkompetenz von Facebook auf diesem Sektor. Niemand löscht mit Absicht das historische Foto aus dem Vietnamkrieg. Ein klassischer Beweis für mangelhafte Unternehmensorganisation. Ebenso ignorant und unvorstellbar unprofessionell geht Facebook übrigens damit um, strafbare Inhalte zu entfernen, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken. Streit bringt Klickzahlen, und geschulte professionelle Teams kosten Geld. Dies ist man ganz eindeutig nicht bereit zu investieren.

Die von Ihnen veröffentlichten Beispiele zeigen vor allem, daß keineswegs nur sogenannte „Haßbotschaften“ und „Hetze“ von Löschung und Sperre betroffen sind. Sondern immer wieder auch differenzierte kritische Beiträge  – während manch simple Haßparole unzensiert bleibt. Ist das auch nur „mangelnde Unternehmensorganisation“, wie Sie sie eben ins Feld  geführt haben, oder steckt dahinter die gezielte politische Zensur mißliebiger Meinungen?

Steinhöfel: „Hatespeech“ ist ein unsinniger Begriff, ein schwammiger Begriff, der für Unsicherheit sorgt, wie weit das in der Verfassung begründete Recht auf freie Meinungsäußerung geht. Wir haben klare Straftatbestände: Verleumdung, üble Nachrede, Volksverhetzung. Soweit es sich dann nicht noch um Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt, darf man in Deutschland alles sagen. Mit dem Begriff „Hatespeech“ wird bewußt eine Ungenauigkeit in die Debatte gebracht und die Menschen, die Rechte haben, die in der Verfassung verankert sind, verunsichert, was sie überhaupt sagen dürfen. Das geht so weit, daß die Bürger manchmal schon nicht einmal mehr wissen, ob legitime Kritik an Politikern, an Regierungshandeln oder an sonstigen solchen Vorgängen noch erlaubt ist. Ich verabscheue diesen Begriff aus vollem Herzen, man sollte zu den juristischen Definitionen zurückkehren, denn was erlaubt und was verboten ist, steht im Gesetz.

Handelt es sich nach Ihrer Ansicht bei der Zensur in sozialen Netzwerken letztlich  um ein Nischenproblem oder um einen zentralen Mißstand des offenen Diskurses in unserer Gesellschaft? 

Steinhöfel: Wenn der in seinem Amt ersichtlich überforderte Justizminister Kritik an der Regierungspolitik diskreditiert, sagt das doch alles über das Niveau des politischen Diskurses in unserem Land.

Wie gefährlich wird das Problem für unsere Gesellschaft in Zukunft werden? Hat, wer die Meinung im Internet „kontrolliert“, künftig auch die Kontrolle über die Meinung in der Gesellschaft? Oder ist das ein übertriebenes Horrorszenario?

Steinhöfel: Facebook ist, von den hier besprochenen erheblichen Mängeln abgesehen, ein großartiges Forum, das den klassischen Medien die Kontrolle über den Diskurs teilweise entzieht. Eine gute Sache!

Allerdings existiert – das beweist Ihr Projekt „Wall of Shame“ ja bestens – tatsächlich ein nicht unerhebliches Problem mit extremistischen Inhalten jeder Art im Netz. Wie kann der Umgang damit so geregelt werden, daß dies politisch neutral und fair geschieht und ohne Eingriff in die Meinungsfreiheit?

Steinhöfel: Ganz einfach. Ein Medium wie Facebook muß Strukturen schaffen, die es in die Lage versetzen, rechtswidrige Inhalte zu entfernen und rechtmäßige online zu lassen. Zugegeben, eine ziemliche Herausforderung, aber machbar. Nur sind nach meinem Eindruck leider greifbare Bemühungen, dies zu erreichen, gar nicht zu erkennen. Es gibt lediglich ein paar banale Presseerklärungen von Facebook und eine sogenannte „Task Force“, also eine Sonderabteilung, die sich um die Probleme kümmern soll. Wie gesagt, eine reine PR-Veranstaltung für Minister Maas, an der übrigens auch die Amadeu-Antonio-Stiftung teilnimmt. Dazu muß man wissen: Die Vorsitzende dieser Stiftung, Frau Anetta Kahane, war acht Jahre lang IM der Stasi – das ist unbestritten. Und eine Mitarbeiterin dieser Stiftung hat sich vor kurzem auf Twitter darüber gefreut, daß die Deutschen in Dresden während des Zweiten Weltkrieges „zu Kartoffelbrei“ gebombt wurden. Und diese Leute sollen in sozialen Medien darüber wachen, daß es dort keine Vorfälle von  „Hatespeech“ mehr gibt? Ich bitte Sie!

Also bemüht sich nach Ihrer Ansicht die Politik in Deutschland keineswegs um eine politisch neutrale und rein rechtsstaatliche Regelung, inklusive Freiheitsschutz auch für oppositionelle Meinungen, sondern mißbraucht diese zu deren Ausgrenzung und Absicherung der herrschenden Meinungen? 

Steinhöfel: Nun, es macht eher den Eindruck, daß der Versuch unternommen wird, möglichst weitreichenden Einfluß auf die sozialen Medien zu gewinnen. Das aber wird nicht so gut funktionieren wie bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, die man ja faktisch über die Rundfunkgremien kontrolliert. 






Joachim Steinhöfel, gehört zu den bekanntesten Rechtsanwälten Deutschlands. Zudem ist er als Blogger tätig, war Radio- und Fernsehmoderator sowie Werbefigur in einer Kampagne des Elektronik-Händlers Mediamarkt. Als „Pitbull in Robe“ bezeichnete die FAZ Steinhöfel, der seit 1989 in Hamburg eine Kanzlei mit Ausrichtung auf Wettbewerbs- und Medienrecht betreibt. Spektakuläre Fälle in den vergangenen Jahren waren der Rechtsstreit des Journalisten Matthias Matussek mit dem Springer-Verlag oder jener des Autors Akif Pirinçci, der erfolgreich gegen 30 Zeitungen und öffentlich-rechtliche Anstalten wegen falscher Tatsachenbehauptungen vorging. Steinhöfel moderierte beim landesweiten privaten Sender Radio Schleswig-Holstein in Kiel und später im RTL-Fernsehen die Sendungen „Kreuzfeuer“ und „Achtzehn 30“ sowie auf RTL 2 „Die Redaktion“. Außerdem schrieb er unter anderem Gastbeiträge für den Stern und The European. Seinen Blog unter dem Motto „Liberal, konservativ, unabhängig“ betreibt er seit 2007. Geboren wurde Joachim Steinhöfel 1962 in Hamburg.

 www.steinhoefel.com 

 https://facebook-sperre.steinhoefel.de/

Foto: Medienanwalt Steinhöfel: „In Deutschland steht Facebook unter politischem Druck ... Und der überforderte Justizminister Maas hält bereits Kritik an der Regierungspolitik für suspekt.“

 

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