© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Drei Helden und ein Todesfall?
Fall Al-Bakr: Nach dem Selbstmord des terrorverdächtigen Syrers schlagen die politischen Wellen hoch / Sachsens Justizminister lehnt Rücktritt ab
Christian Schreiber

Gut eine Woche nach dem Selbstmord des mutmaßlichen islamistischen Terroristen Dschaber al-Bakr haben die politischen Auseinandersetzungen an Schärfe zugenommen. In der Kritik stehen zum einen die Sicherheitsbehörden, weil al-Bakr sich der Festnahme entziehen konnte. Zum anderen sind Vorwürfe gegen das Personal der Justizvollzugsanstalt Leipzig laut geworden, weil sich der Islamist das Leben nehmen konnte. 

Schwer unter Druck ist auch der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) geraten. Er lehnt bislang einen Rücktritt ab und nimmt auch die Polizeibehörden in Schutz. „In diesem Fall, in dem die Psychologin gesagt hat, es liegt kein akuter Fall von Suizidgefahr vor, konnten die Bediensteten aufgrund dieser Prognose keine härteren Maßnahmen verhängen“, sagte Gemkow. Zeige die Untersuchung, daß keine akute Suizidgefahr vorliege, dann dürfe keine Maßnahme angeordnet werden, die die Grundrechte eines Gefangenen verletze, erklärte der CDU-Politiker: „Hätte es eine ständige Überwachung gegeben, wäre dies eine willkürliche Überschreitung der Befugnisse gewesen.“

Im November 2014 ist al-Bakr über Nordafrika und Italien nach Deutschland geflohen, wo er nach wenigen Monaten Asyl gewährt bekam. Sein Bruder meldete sich aus Syrien zu Wort und machte gegenüber der Frankfurter Rundschau auch Berliner Imame für die Radikalisierung des 22jährigen verantwortlich. Diese hätten ihm Kontakte zu Personen im Umfeld des Islamischen Staats hergestellt. Die Tageszeitung Die Welt will herausgefunden haben, daß es sich bei der Familie in Syrien nicht um Extremisten handeln würde. Obwohl als politischer Flüchtling in der Bundesrepublik anerkannt, reiste al-Bakr in den vergangenen Monaten mindestens zweimal in seine Heimat. Unklar ist, wer ihm die finanziellen Mittel zur Verfügung stellte. In den vergangenen Wochen hatten ausländische Geheimdienste verstärkt Hinweise, daß in Mitteldeutschland ein Anschlag geplant werde. Aufgrund auffälliger Adreßlieferungen geriet eine Meldeanschrift in Chemnitz ins Blickfeld der Ermittler.  

Suche nach Helfern und Mitwissern im Umfeld

Nachdem ihm zunächst die Flucht vor der Polizei gelungen war, soll al-Bakr von einem Landsmann am Leipziger Hauptbahnhof eine Telefonnummer von drei Syrern erhalten haben, die ihm ein Nachtquartier anboten. Als der späte Gast auf der Couch eingeschlafen sei, habe einer von ihnen den Fahndungsaufruf im Fernsehen gesehen. Al-Bakr wurde gefesselt und schließlich der Polizei übergeben. Der Islamist selbst soll nach der Verhaftung im Verhör seine drei Landsleute als Mitwisser und potentielle Mittäter schwer belastet haben. Ob das stimmt, weiß niemand. Bestätigt ist bislang nur, daß er in einem Rucksack mehrere tausend US-Dollar mit sich trug. Wenige Stunden später erhängte er sich in seiner Gefängniszelle. Sein Anwalt hält die Umstände „für außergewöhnlich“, der Bruder meldet Zweifel an. Al-Bakrs Bruder behauptet, ein Selbstmord in der Situation sei „für Leute vom IS ungewöhnlich. Sie sind sehr religiös, so etwas paßt gar nicht ins Schema.“

Al-Bakr wird nichts mehr zu möglichen Hintermännern sagen können. Aufgrund seines Todes werden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Untersucht wird jedenfalls, ob er Helfer und Mitwisser aus seinem direkten Umfeld hatte. Auch die finanziellen Quellen des 22jährigen interessieren die Ermittler, ebenso die Rolle der drei Männer, die ihn bei der Polizei meldeten. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß sich Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auf Nachfrage von Journalisten sehr zurückhaltend über die „Helden von Leipzig“ äußerte: Bei einer Fahndung trotz Gefahr für sich selbst zu helfen verdiene „Lob und Anerkennung“.

Die Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen hat auf jeden Fall an Vehemenz zugenommen. „Jeder Asylsuchende in Deutschland muß mit allen international verfügbaren Datenbanken über Terrorverdächtige abgeglichen werden, auf die der Bundesnachrichtendienst Zugriff hat“, erklärte CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz hat jedenfalls kein Problem damit, seine Behörde einzusetzen: „Die Aufgabe der Nachrichtendienste besteht darin, aus einer unklaren Lage eine klare Lage zu machen“ (siehe Seite 5). Doch es gibt auch Politiker, die dies anders sehen. NRW-Innenminister Ralf Jäger, (SPD) selbst noch mit der Aufarbeitung der Silvester-Übergriffe in Köln beschäftigt, beeilte sich klarzustellen, „daß wir jetzt nicht jeden Schutzsuchenden unter Generalverdacht stellen dürfen.“