© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Mehr Altfälle bearbeite als neue bekommen
Asylzahlen: Der Bundesinnenminister spricht bereits von einer Trendwende
Martin Voigt

Eine Trendwende vermerkte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), als er vergangene Woche die neuen Asylzahlen für das dritte Quartal des Jahres 2016 vorlegte: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bearbeitete im vergangenen Monat über 70.000 Asylanträge und schloß damit erstmals mehr Anträge ab, als neue eingegangen waren.

Laut Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise dauern Asylverfahren aktuell im Durchschnitt anderthalb Monate. Für das Gesamtjahr 2016 prognostizierte er eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von 2,1 Monaten. In den ersten drei Quartalen wurde bereits über 462.314 Anträge entschieden. Das sind 165 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. 196.862 Personen erhielten die Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention (42,6 Prozent aller Asylentscheidungen). Zudem erhielten 89.325 Personen (19,3 Prozent) subsidiären Schutz. Bei 7.144 Personen (1,5 Prozent) wurden Abschiebungsverbote festgestellt. Insgesamt sind im Bamf 657.855 Asylanträge im vergangenen Dreivierteljahr eingegangen. Viele der im Jahr 2015 nach Deutschland eingewanderten Personen haben erst dieses Jahr ihren Asylantrag eingereicht. In den ersten drei Quartalen des Vorjahres meldete das Bamf 303.443 Asylanträge.

Die meisten Asylanträge in diesem Jahr stellten Syrer (250.554), Afghanen (115.708) und Iraker (88.910). In der Vorjahresstatistik für den Zeitraum Januar bis September 2015 rangierten hinter Syrien (70.501) noch Albanien (44.431) und der Kosovo (31.446) auf den Plätzen zwei und drei.

Schwerpunktaufgabe, so der Innenminister, sei in nächster Zeit die Rückführung abgelehnter Asylbewerber ohne Duldung. In diesem Zusammenhang erwähnte er eine entsprechende Vereinbarung mit Afghanistan sowie laufende Verhandlungen mit Marokko. Bis Ende des dritten Quartals sind 60.000 Personen ohne Aufenthaltstitel aus Deutschland ausgereist, zum Teil freiwillig, zum Teil durch Abschiebung. „Wer keine Bleibeperspektive hat, muß unser Land verlassen“, stellte der CDU-Politiker klar.

Als stark rückläufig, aber immer noch „erheblich“ bewertete de Maizière die aktuellen Zuzüge für den Zeitraum Januar bis September 2016. Für seinen Parteikollegen Wolfgang Bosbach ist das nach wie vor ein Grund zur Sorge. Wieder habe „in den letzten Monaten die große Mehrzahl derjenigen, die als Asylbewerber oder Kriegsflüchtlinge gekommen sind, keine aussagekräftigen Papiere gehabt“, sagte Bosbach dem Deutschlandfunk.

Debatte um Weitergabe      von Daten der Asylbewerber

Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst „müssen die Informationen bekommen, die sie brauchen, um Gefahren für unser Land rechtzeitig erkennen und abwehren zu können“, forderte Bosbach und betonte, es gehe ihm ausdrücklich nicht um die Einzelüberprüfung von Hunderttausenden Einwanderern. Das sei kaum möglich. Sein Anliegen sei es, daß die Zusammenarbeit der Behörden und der Austausch bereits erhobener Daten nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen behindert würden.

Eine Informationsweitergabe von Daten, die zum Beispiel der Bundesnachrichtendienst im Ausland erhoben hat, an das Bundesamt für Verfassungsschutz oder die Polizei ist bisher nur in begründeten Verdachtsfällen möglich. Die für ihn entscheidende Frage sei, betonte Bosbach, ob es Informationen gebe, die die Sicherheitsbehörden dringend brauchen zur Gefahrenabwehr, die sie bis jetzt aus rechtlichen Gründen nicht bekommen können. Die gesetzlichen Grundlagen reichten bereits aus, halten Kritiker wie die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl dagegen.

CDU-Innenpolitiker und Geheimdienstexperte Patrick Sensburg geht dagegen noch einen Schritt weiter. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk forderte er, einreisende Personen je nach Stichhaltigkeit gestaffelt durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Das schließe zum Beispiel die Überprüfung des Mobiltelefons bei Personen ein, die einen völlig unklaren Hintergrund haben, die keine Auskunft geben, aus welcher Region sie stammen, welcher syrischen Konfliktpartei sie angehören und auf welchem Wege sie nach Deutschland kamen. „Das läßt sich mit Hilfe des Verfassungsschutzes deutlich besser überprüfen, als wenn es die lokale Polizei alleine machen würde“, betonte Sensburg.

Viele Syrer, die aus Kriegsgebieten kommen, könnten sich in der Regel ausweisen. „Da wird es also eine geringere Überprüfung geben müssen“, so Sensburg. „Wenn aber Personen ohne Ausweisdokumente kommen und behaupten, sie kämen aus Kriegsgebieten in Syrien, dann ist eine vertiefte Überprüfung notwendig.“ Da Deutschland nicht eine große Anzahl an Einwanderern ohne jede Information aufnehmen könne, fordert auch die Union, nachrichtendienstliche Überprüfungen vorzunehmen, um Menschen, die etwa mit gefälschten Ausweispapieren unterwegs sind, aufzuspüren.

Zur Frage, was momentan rechtlich geht und was nicht, bezog der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in der FAZ Stellung. „Im gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum tauschen die unterschiedlichen Sicherheitsbehörden beim allmorgendlichen Treffen ihre relevanten Informationen aus“, sagte Maaßen. Bei Zugriff und Abgleich umfassender Datensätze gebe es allerdings rechtliche Grenzen. Wenn seine Behörde das Kerndatensystem, das das Bamf angelegt hat und auf das die Landes- und Bundespolizeien bereits zugreifen können, demnächst vollständig und automatisiert nutzen könne, sei das ein wichtiger Schritt, so Maaßen.

Seit Inkrafttreten des Datenaustauschverbesserungsgesetzes (DAVG) im Februar 2016 werden Asylsuchende im bundesweiten Kerndatensystem erfaßt. Beim Erstkontakt nehmen die befugten Behörden die Fingerabdrücke und machen ein erkennungsdienstliches Foto. Wenn das Bamf auf gefälschte Reisedokumente stößt, informiert es die Ausländerbehörde in den jeweiligen Bundesländern und künftig auch die zuständige Polizeibehörde. Das DAVG soll es ermöglichen, daß alle am Asylverfahren beteiligten Behörden Zugriff auf alle relevanten Daten bekommen.