© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Auf dem Weg in den Zentralstaat
Länderfinanzausgleich: Für die Einigung im Streit um die Verteilung von Steuergeldern haben die Bundesländer einen hohen Preis bezahlt / Weniger Wettbewerb
Paul Rosen

Als die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde, stand der föderative Gedanke im Vordergrund: Im Gegensatz zur zentralistischen NS-Diktatur sollten die Länder das Kerngebilde des westdeutschen Nachkriegsstaates sein. Sie bekamen durch das Grundgesetz eine weitgehende Autonomie und über den Bundesrat erhebliche Mitbestimmungsrechte – zuletzt war dies zu erleben bei der Auseinandersetzung um die Erbschaftsteuerreform. 

26 Jahre nach der deutschen Einheit steht der föderale Gedanke vor seinem Ende, der Systemwechsel macht den Unitarismus zum Staatsprinzip. Ab 2020 werden die Länder in der finanziellen Praxis zu Marionetten des Bundes, der über Investitionen und Geldausgaben bestimmen und sie kontrollieren kann. Die Reform des Länderfinanzausgleichs, der dann keiner mehr sein wird, macht 16 Länder, ihre Parlamente und Regierungen sowie die Kommunen zum „Mündel des Bundes“ (FAZ).  

Die Gründe liegen viel tiefer als in der Dauererregung bayerischer Politiker darüber, daß sie armen Länder wie Bremen unter die Arme greifen müssen oder im Wehklagen Nordrhein-Westfalens, wenn man nur mehr Geld aus der Umsatzsteuer bekäme, hinge man nicht mehr am Tropf der Bayern, sondern wäre  entsprechend der (in Wirklichkeit gar nicht mehr vorhandenen) wirtschaftlichen Stärke wieder Einzahler in den Finanzausgleich. Denn nur dann könnte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ihre Mär von der erfolgreichen „ökologisch-industriellen Revolution“ (Regierungserklärung) aufrechterhalten. Und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) oder sein Nachfolger hätte gute Munition für den Landtagswahlkampf 2018, wenn er den Bayern weismachen könnte, sie würden nicht mehr Geld für das kaputte Bremen und das sieche NRW bezahlen müssen. Daß alle vereint am Gängelband des Bundes hängen werden und von einer Eigenstaatlichkeit der Länder kaum noch die Rede sein kann, müßten die tapferen Wahlkämpfer verschweigen. 

Angeführt von dieser seltsamen Koalition aus Nordrhein-Westfalen und Bayern, einigten sich die Länder mit der Bundesregierung auf einen Wegfall des bisherigen Finanzausgleichs zwischen den Ländern. Deren unterschiedliche Finanzkraft wird etwas stärker als bisher bei der Verteilung der Umsatzsteuer berücksichtigt. Darüber hinaus gibt es 9,5 Milliarden Euro für die Länder. Damit entfällt der letzte Rest des noch rudimentär vorhandenen Wettbewerbsföderalismus. Die Erhöhung der Steuerkraft durch Unternehmensansiedlungen und Strukturverbesserungen brachte bisher wenigstens zu einem geringen Teil Mehreinnahmen bei den Ertragsteuern für ein Land wie Bayern. In Zukunft wirkt sich solche Politik so gut wie gar nicht mehr positiv für das Land aus (abgesehen von einem Alibi-Betrag von 1,4 Milliarden, der anteilig gemäß Wirtschaftskraft an die Länder verteilt werden soll). In letzter Konsequenz werden alle wie Bremen wirtschaften, weil es auf Leistung nicht mehr ankommt. 

Während die Ländervertreter wie Seehofer jubelten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von einem „großen Stück Arbeit“ sprach, das man nach harten Diskussionen erledigt habe, ließ nur eine Äußerung von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erkennen, daß es auch um die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates ging. Bisher müssen im Bundesrat immer 35 Länderstimmen  zusammenkommen, damit ein Gesetz in Kraft treten kann. Dies beschert den Ländern eine komfortable Lage, da die Mehrheit oft über finanzielle Zusagen des Bundes erreicht wird. Allein in den letzten vier Jahren ließ sich der Bund die Zustimmung des Bundesrates 266 Milliarden Euro kosten, ermittelte der Bundesrechnungshof. Schäuble wollte diese finanzielle Auszehrung durch ein anderes Abstimmungssystem im Bundesrat, bei dem die relative Mehrheit reichen würde (Enthaltungen würden dann als ungültig und nicht mehr wie Neinstimmen gewertet), stoppen. Der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt. 

Merkel und Schäuble gewannen aber viel mehr: Die Bundesregierung sicherte sich umfassende Zugriffs- und Kontrollrechte auf Straßenbau und andere Vorhaben. Berlin regiert damit künftig direkt bis ins letzte Dorf durch, auf den Bundesrat kommt es kaum noch an.