© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

„Dieses Landes nicht würdig“
Open-Doors-Studie: Deutschlandweit werden Christen in Asylunterkünften von Muslimen drangsaliert
Christian Vollradt

Hamid spricht leise. Der 29jährige Afghane, der zum Christentum übergetreten ist, berichtet von Tätlichkeiten anderer Männer – meist Paschtunen –, die er in deutschen Asyl-unterkünften erlebt hat. Die Drangsalierungen betrafen jedoch nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Familie. Denn ein Landsmann, der aus Deutschland in die Heimat abgeschoben worden war, habe dort von Hamids Konversion erzählt. Die Folge: Mutter und Schwester des getauften Afghanen seien verhaftet und erst nach Zahlung von umgerechnet 4.500 Euro wieder freigelassen worden. 

„Wer Unrecht verschweigt, ermutigt die Täter“

Die Schilderungen des jungen Mannes veranschaulichen, was das christliche Hilfswerk Open Doors zusammen mit dem Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland (ZOCD), der Aktion für verfolgte Christen und Notleidende (AVC) sowie der Europäischen Missionsgemeinschaft (EMG) am Montag in einer Erhebung über religiös motivierte Übergriffe auf christliche Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften vorgelegt hat. 

Als „unfaßbar dramatisch“ bezeichnet der Leiter von Open Doors, Markus Rode, die Situation für Christen in den Einrichtungen, dennoch nehme die Öffentlichkeit kaum Notiz davon. „Wir haben in Deutschland eine Situation, die dieses Landes nicht würdig ist“, konstatiert Rode. 753 religiös motivierte Übergriffe haben die Herausgeber der Erhebung im Zeitraum von Mitte Februar bis Ende September dieses Jahres deutschlandweit registriert und ausgewertet. Die überwiegende Mehrzahl der Fälle betraf Christen (743), ein kleiner Teil Jesiden (zehn). 45 Prozent der Christen sind „traditionelle“, 51 Prozent Konvertiten, wobei zwei Drittel von diesen bereits in ihrer Heimat übergetreten waren. 

91 Prozent der Betroffenen seien durch andere Asylbewerber, 28 Prozent durch Angehörige der Wachdienste attackiert oder drangsaliert worden (siehe Grafik). 56 Prozent beklagten körperliche Gewalt. 42 Prozent erhielten Morddrohungen, sechs Prozent haben sexuelle Übergriffe erlebt. Nur in jedem sechsten Fall (17 Prozent) seien die Übergriffe bei der Polizei angezeigt worden. Gefragt, in wie vielen Fällen Anzeigen etwas bewirkt hätten, antworteten 26 Prozent der Teilnehmer „immer“, 21 Prozent „manchmal“ und 52 Prozent „nie“. Voraussetzung für die Befragung unter den christlichen Flüchtlingen sei ein bestehendes Vertrauensverhältnis zu ihnen gewesen. Die Autoren der Studie vermuten noch eine wesentlich höhere Dunkelziffer an Fällen.  

 Rode betont, die Erhebung sei nicht politisch motiviert, es gehe nicht um einen Generalverdacht gegen Muslime. Doch der Deckmantel der Political Correctness müsse durchbrochen werden: „Wer das Unrecht verschweigt oder verharmlost, der ermutigt die Täter.“ Bereits im Mai hatte Open Doors eine erste Studie vorgestellt (JF 20/16). Damals waren 231 Fälle von Gewalt gegen Christen in deutschen Unterkünften dokumentiert worden. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung warf dem Hilfswerk daraufhin vor, Einzelfälle verallgemeinert zu haben (JF 22/16). „Um die Vorwürfe und Zweifel zu entkräften, haben wir die Erhebung erweitert“, erläutert Rode: „Wir behaupten nicht, daß es systematische Verfolgung gibt, sondern daß es sich um ein bundesweites Phänomen handelt.“ Es seien auch keine Konflikte zwischen Christen und Muslimen, sondern Übergriffe von Muslimen auf Christen. Motiviert seien sie durch ein Verständnis des Islam, wie es in den Herkunfstländern gelehrt und gelebt werde. 

Neben besseren Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen – „getrennte Unterbringung von Christen, die bereits Opfer von Verfolgung geworen sind, adäquate Erhöhung des nichtmuslimischen Anteils innerhalb des Wachpersonals“ – fordern die Organisationen, daß die Bundesregierung die Probleme zur Chefsache mache. Bisher habe die Kanzlerin jedoch noch nicht einmal auf die Hilferufe reagiert, zeigten sich die Herausgeber der Studie am Montag enttäuscht. Immerhin reagierte der kirchen- und religionspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz Josef Jung, recht deutlich auf die aktuelle Erhebung: „Wer Christen und religiöse Minderheiten in Flüchtlingsunterkünften angreift, hat seine Zukunft bei uns in Deutschland verwirkt und muß gehen!“