© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Ein zorniger junger Mann
In der Falle der Authentizität: Philipp Winklers Romandebüt „Hool“ taucht in die Welt eines wütenden jungen Mannes ein, kann aber nicht voll überzeugen
Johannes Geißler

Der Deutsche Buchpreis bleibt ein Hybrid aus lärmendem Marketing für die Buchbranche und sich wiederholendem Ärgernis. Nach Bekanntgabe der sogenannten Shortlist mit den fünf final nominierten Büchern erfolgt stets die Klage von seiten des Feuilletons und anderer Literaturbetriebsbeteiligten, daß so manches großartige Buch nicht berücksichtigt worden sei.

In diesem Jahr meinten manche Kritiker einen Trend ausmachen zu können: Männer. Immerhin kommt nur eines der fünf Bücher von einer Schriftstellerin. Und auch sonst sei Männlichkeit, vor allem verletzte, gebrochene Männlichkeit, ein virulentes literarisches Thema der letzten Zeit – ob die ausufernde autobiographische Auslotung der Krise des westlichen Mannes durch Karl Ove Knausgard in seinem sechsbändigen Romanzyklus „Min kamp“ („Mein Kampf“), Thomas Melles Leiden an einer bipolaren Störung in „Die Welt im Rücken“ oder Heinz Strunks Roman „Der goldene Handschuh“ über einen Serienmörder und Säufer.

Der Ich-Erzähler reagiert mit Stummheit und Gewalt

Nun also Philipp Winklers Roman über einen Hooligan, für den ihm Anfang Oktober der Aspekte-Literaturpreis des ZDF zugesprochen wurde. Die Jury, die immerhin Nis-Momme Stockmanns großartiges Prosa-Debüt „Der Fuchs“ leer ausgehen ließ, begründete ihre Entscheidung folgendermaßen: „Ist es möglich, ein leises Buch über Lärm zu schreiben? Ein vorsichtiges, ein tastendes Buch über Gewalt? Ein Hooligan-Buch über die Einsamkeit? (…) Eine neue, eigenwillige, starke literarische Stimme, die sich erhebt, um die Stummen hörbar zu machen, lesbar, erfahrbar, mit großer, sprachlicher Kraft und Einfühlungsmacht. Philipp Winkler hat sein Buch wie eine Leuchtrakete in die Fankurve der deutschen Literatur hineingeschossen.“

Heiko Kolbe heißt der Protagonist und Ich-Erzähler in „Hool“: ein Mittzwanziger und Anhänger von Hannover 96, der zweimal durchs Abitur gerasselt ist und für seinen Onkel Axel als Mädchen für alles in dessen Box- und Fitneßclub, dem „Wotan Boxing Gym“, arbeitet. Hier treffen sich jene, die sich haupt- und nebenberuflich für Kampfsport, Muskeln und Gewalt interessieren: Hooligans, Türsteher, Hells Angels, Nazis. Heiko wohnt auf einem Hof in der ländlichen Peripherie Hannovers. Der Besitzer des Hofes, Arnim, der wegen Mordes im Gefängnis saß, überläßt Heiko kostenlos ein Zimmer und veranstaltet illegale Tierkämpfe, zu denen sich finstere Gesellen vor allem aus Osteuropa einfinden. Heikos Vater, gesundheitsbedingt Frührentner, soll zum Alkoholentzug in eine Klinik, rückt dort allerdings schnell wieder aus. Die Mutter hat schon vor Jahren ihren Mann und die beiden Kinder verlassen, von einem Tag auf den anderen. Und dann ist da noch Yvonne, Heikos Exfreundin, eine zerbrechlich wirkende Krankenschwester, die sich Opiate spritzt. So weit, so prekär.

Auf die Probleme um sich herum und vor allem auf die seiner Familie reagiert Heiko Kolbe vor allem mit Stummheit, manchmal auch mit körperlicher Gewalt. Sein eigentliches Leben sind die Jungs, seine Freunde – Jojo, Ulf und Kai, mit denen er bereits seine Jugend verbrachte. Und die „Firma“, die Hannoveraner Hooligan-Gruppe, die von Heikos Onkel Axel geleitet wird, der nicht nur ein altgedienter Schlachtenbummler ist, sondern nebenher illegalen Geschäften nachgeht. Man verabredet sich zu Kämpfen, den „Matches“, prügelt sich an zuvor verabredeten Orten mit Kölnern, Frankfurtern und den verhaßten Braunschweigern.

Sowohl Heiko als auch Axel sind beseelt davon, Hannover einen großen Namen unter den deutschen Hooligan-Gruppen zu erkämpfen. Doch Heikos Jungs ziehen sich nach und nach zurück, Familie oder Beruf gehen mit der Zeit vor. Sein bester Freund Kai wird von den Braunschweigern bei einer Racheaktion so übel zugerichtet, daß er fast sein Augenlicht verliert. Einzig Heiko scheint als zorniger junger Mann und als Verteidiger von Männerfreundschaft, bedingungsloser Brüderlichkeit und Gewalt allein zurückzubleiben.

Schiefe Bilder und bemühter Jugendslang

Die Zeiten, in denen Hooligans in europäischen Innenstädten furchterregende Gewaltexzesse feierten, scheinen weitestgehend vorbei zu sein. Der Journalist und Autor Bill Buford beschrieb dieses Treiben in seiner großartigen Reportage „Geil auf Gewalt“ anhand der britischen Hooligans, die Anfang der 1990er auch auf deutsch herauskam. Heute gibt es moderne Hochsicherheitsarenen, die Ultra-Gruppen geben den Ton im Fanblock an. Da erscheinen die verborgen stattfindenden Prügeleien der Hooligans als eine Mischung aus brutaler Romantik und schnödem Hobby – ein sehr abgeschotteter Bereich, ein Gesellschaftsrand.

Und gerade dessen Schilderung scheint viele Rezensenten an dem Buch zu begeistern – es riecht nicht nur nach Testosteron und Adrenalin, es riecht nach Authentizität! Dabei zeigt Winklers Text sprachlich einige Schwächen. Das beginnt bei den schiefen und unnötigen Bildern, die immer mal eingestreut werden: „ihre rasierten Brauen, die so frei sind wie ein wolkenloser Himmel“, der Regen fällt „in tausend Spinnenbeinen“, „Nässe kriecht mir wie eine sexuelle Belästigung unter die Klamotten“, „Luft splittert wie Sägespäne durch meine pfeifende Lunge“.

Hinzu kommen häufig Phrasen und Ausdrücke einer vermeintlichen Jugend- oder Slangsprache, die dem Leser wohl signalisieren sollen: Hier spricht tatsächlich Heiko Kolbe, ein echter Hooligan, ein junger Mann, der nicht weiß, wohin mit seinem Zorn! Doch anstatt vulgär und rau, alkoholisiert und authentisch, wirkt das vor allem sehr bemüht und driftet in den Kitsch ab, der mitunter entsteht, wenn man den angeblich Stummen und Außenseitern der Gesellschaft „aufs Maul“ zu schauen meint.

Handlung und Sprache nehmen Fahrt auf

Das ist um so bedauerlicher, da der Roman starke Passagen aufweist, in denen Winkler, Jahrgang 1986 und ohne direkte Hooligan-Vergangenheit, sein erzählerisches Talent aufblitzen läßt: Wie etwa Heikos Vater ihn zum erstenmal mit ins Stadion zu Hannover 96 mitnimmt und Heiko beim Anblick der Hooligan-Kumpels seines Onkels spürt, daß es da ein größeres Geheimnis geben muß und einen noch intensiveren „Erwachsenenspaß“ als das Grölen in der Fankurve. Oder wie er mit seinem „Vermieter“ Arnim in Polen einen betäubten Tiger abholt, den Arnim auf seinem Hof in eine Grube sperrt und für die Tierkämpfe nutzen möchte. In solchen Szenen funktionieren die Dialoge, gelingt Winkler ein eigener Ton, besonders im letzten Drittel des Buches, wenn sowohl Handlung als auch Sprache ordentlich an Fahrt aufnehmen.

Vor einem Kampf gegen die Frankfurter sitzt Heiko Kolbe mit anderen Kraftpaketen, die schon etwas in die Jahre gekommen sind, im Auto, auf dem Weg zum verabredeten Treffpunkt: „Ich fühle mich augenblicklich ganz schwach und stelle mir vor, daß wir alle alte Zuchtbullen sind, die im Viehtransporter auf so einen Gnadenhof gebracht werden, bevor wir in ein paar Wochen oder Tagen dann übern Jordan gehen.“

Ein ordentliches Debüt, aber bei weitem keine „Leuchtrakete“. Man hätte ihm mehr Mut und ein umsichtiges Lektorat gewünscht.

Philipp Winkler: Hool. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2016, gebunden, 311 Seiten, 19,95 Euro