© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

„Warum ‘muß’ Deutschland?“
Die Bloggerin Anabel Schunke wagte zu fragen, woher eigentlich der moralische Imperativ in der sogenannten Flüchtlingsfrage kommt. Mit ihrem Online-Essay „Ich muß gar nix!“, der nun auch als Buch erscheint, wurde sie bekannt
Moritz Schwarz

Frau Schunke, warum sind Sie nicht bei der FDP?

Anabel Schunke: Vielleicht ist meine Antwort für Sie verwirrend: Weil ich eine Liberale bin. 

Diese Antwort dürfte vor allem Christian Lindner verwirren.

Schunke: Davon abgesehen, daß ich meine, Journalismus und politischer Aktivismus sollten voneinander getrennt sein, muß ich Christian Lindner zunächst einmal loben, da er durchaus gute Aussagen auch in bezug auf Islam und Fragen des Asyls macht. Insgesamt aber mangelt es bei der FDP an Glaubwürdigkeit, und sie steht, das gilt vor allem für die Jüngeren in der Partei, meist nicht mehr auf der Seite der urliberalen Werte. 

Sondern?

Schunke: Auf der des angeblich Guten. Manchmal fragt man sich: Ist das noch die FDP? Denn da werden mitunter ähnliche Weltverbesserungsreden gehalten wie bei Linken.

Ist es schlecht, die Welt zu verbessern?

Schunke: Überhaupt nicht! Wenn „links“ ist, zu wünschen, daß die Welt gerechter wird und es allen Menschen besser geht, bin ich immer noch links. Geändert hat sich aber meine Vorstellung davon, wie das zu erreichen ist. „Links“ geht nämlich von intersubjektiven Werten – also Werten, die zwar eigentlich subjektiv sind, aber als allgemeingültig ausgegeben werden, aus: Es gibt eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit, eine bestimmte Vorstellung von Freiheit etc. Wer aber von intersubjektiven Werten ausgeht, kommt nicht umhin, diese mit Zwang durchzusetzen. Weil sie ja das Richtige und Gute sind – und alle anderen folglich falsch, wenn nicht böse. Tatsächlich aber haben die Menschen verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit und Freiheit. Diese Einsicht hat mir das zentrale Manko linker Theorien offenbart – ebenso wie den entscheidenden Vorteil des Liberalismus.

Gut, aber wieso folgt daraus für Sie ein Problem mit der Asylpolitik der Kanzlerin?

Schunke: Man kann kaum in Worte fassen, was Frau Merkel uns da eingebrockt hat! Denn es ist ja kaum abzusehen, wie sich unsere Gesellschaft durch die islamische Masseneinwanderung zu verändern droht. Vor allem da wir es dabei nicht wie bisher mit dem gemäßigten türkischen Islam – der allerdings auch immer konservativer wird – zu tun haben, sondern mit dem viel fundamentalistischeren arabischen. Wie aber will eine Gesellschaft, die sich immer mehr in diese Richtung entwickelt, einen liberalen Rechtsstaat aufrechterhalten?

Bekannt geworden sind Sie im Spätsommer mit Ihrem auf „Tichys Einblick“ erschienenen Beitrag „Ich muß gar nix!“, in dem Sie der Kanzlerin und unserem Staat die Gefolgschaft aufgekündigt haben.  

Schunke: Seit Beginn der Flüchtlingskrise höre ich immer wieder, daß wir „müssen“. Irgendwann habe ich mich gefragt: Warum „muß“ ich eigentlich? Warum „muß“ Deutschland? Wieso scheinen wir in dieser Krise nur Pflichten und dennoch keinerlei Mitsprache zu haben? Wieso „müssen“ wir und wieso müssen die anderen gar nichts? Ich habe ins Grundgesetz und in die Genfer Konvention geschaut und festgestellt: Die Wahrheit ist, daß es keine rechtliche Grundlage für mein „Müssen“ gibt. Ich bin also entrechtet worden – von meiner eigenen Regierung! Genau wie alle, die auch nicht gefragt wurden, die das alles aber per Steuern bezahlen müssen. Vielleicht auch noch mit anderen Dingen.

Nämlich?

Schunke: Zum Beispiel mit Einschränkungen unserer liberalen Werte durch den Zuzug von Millionen Muslimen. Mit der Veränderung unserer Kultur – die ich eigentlich ziemlich gut finde, so wie sie ist. Mit meinen Rechten und meiner Sicherheit als Frau, deren Gefährdung so manch eine in diesem Jahr schon bitter zu spüren bekommen hat. Und am Ende vielleicht mit der Sicherheit und Stabilität unseres Landes, in dem ich mich bisher wohl und sicher gefühlt habe. Den Politikern scheint das aber egal zu sein. Der Leviathan, wie der Philosoph Thomas Hobbes den Staat nannte, ist also nicht mehr existent.

Wie meinen Sie das?

Schunke: Wissen Sie, genau wie die meisten Deutschen bin ich dafür, den Schwächsten zu helfen, vor allem Frauen und Kinder vor Krieg und Verfolgung zu schützen. Ich bin für Solidarität und habe kein Problem damit, zu geben. Aber nicht bedingungslos, nicht unendlich und vor allem nicht ungefragt und gezwungenermaßen. Und wenn der Staat den Gesellschaftsvertrag aufkündigt, indem er seinen Verpflichtungen uns gegenüber nicht mehr nachkommt, mich nicht einmal mehr zu schützen vermag, dann entziehe ich ihm meine Gefolgschaft. Ich muß nicht mit ansehen, wie mein Land sich in eine Richtung verändert, die ich aus tiefster liberaler Überzeugung ablehne. Erst recht nicht, wenn mir niemand erklären kann, auf welcher rechtlichen Grundlage das alles geschieht. Ich muß gar nix.

Sind Sie nicht vielleicht das Problem, geplagt von Vorurteilen und Ängsten?

Schunke: Ja, natürlich. In Deutschland sind wir Deutsche das Problem. Das bekommen wir ja ständig erzählt. „Diffuse Ängste“ – mein Lieblingswort! Ich erzähle Ihnen was: Zu Beginn der Flüchtlingskrise habe ich mich bei einer Hilfsinitiative gemeldet. Ich wollte mich einbringen und Flüchtlingen helfen. Aber dort sollten wir Workshops besuchen, um zu lernen uns „kultursensibel“ zu verhalten, also Rücksicht auf die Einwanderer zu nehmen. Natürlich meine ich nicht, daß man sich rücksichtslos und unsensibel verhalten soll. Aber Ziel muß doch sein, denen beizubringen, wie es hier läuft. Wenn wir uns aber denen anpassen, können sie das nicht lernen und wir beginnen uns selbst zu verleugnen. Und schließlich werden wir unsere Kultur, wenn wir sie nicht behaupten, verlieren.

Sie schreiben in einem weiteren Beitrag für „Tichys Einblick“, das Konzept der Nation sei Ihnen unter dem „Multikulti-Zwang“ verständlicher geworden. 

Schunke: Wie so viele habe auch ich einmal die Auffassung vertreten, ich sei Weltbürgerin und brauche keine Nation. Ich habe aber begriffen, daß Nation wichtig zur Identitätsbildung des Menschen sein kann. Unser ganzes Leben beschäftigt uns doch die Frage, wer wir sind. Bei der Antwort darauf geben uns alle möglichen Bezugsgrößen Hilfe: Das kann die Familie sein, aber auch der örtliche Fußballverein, die Religion, Region, Kultur oder eben die Nation. Identität gibt Orientierung. Das ist entscheidend für den Menschen, und deshalb hat auch die Nation nach wie vor eine wichtige Funktion. Das Problem für uns Deutsche ist allerdings, daß man sich im Moment des Bekenntnisses zu etwas automatisch von etwas anderem abgrenzt. Und da kommt hierzulande die große Angst vor der Nazi-Keule ins Spiel: Wir trauen uns nicht. Damit aber nehmen wir uns einen wichtigen Orientierungspunkt. Nun, die linke Logik ist – da Nation Inklusion bedeutet und Inklusion auf der anderen Seite zu Exklusion führt –, die Nation einfach abzuschaffen. Problem gelöst. Falsch. Menschen brauchen Bezugsgrößen, Sie brauchen Gemeinschaft. Tatsächlich ist das Prinzip der Inklusion/Exklusion wichtig für sie. Die richtige Lösung ist, mit dieser menschlichen Neigung vernünftig umzugehen. Sie zu tabuisieren ist hingegen unvernünftig und funktioniert schlicht nicht. So etwas rächt sich. Denn dann kommt dieses Bedürfnis in der Gesellschaft auf irrationale Weise zurück. Und das ist ja auch das, was wir nun zum Teil etwa in Sachsen erleben.

Allerdings gehen Sie noch weiter, sprechen davon, daß man „mir die Heimat nimmt“.  

Schunke: Ja, denn immer mehr Bezugspunkte, die ermöglichen, daß wir Deutschland als unsere Heimat sehen, werden getilgt. Denken Sie etwa an die Änderung der Eidesformel von Nord-rhein-Westfalen, wo die Politiker nicht mehr schwören, dem „Wohle des deutschen Volkes“ zu dienen, sondern dem „des Landes Nordrhein-Westfalen“. Was die Grünen als Durchsetzung einer „diskriminierungsfreien Eidesformel“ loben. Während wir uns für die kulturellen und religiösen Befindlichkeiten von Menschen mit Migrationshintergrund in den Staub werfen sollen, werden wir im besten Falle dafür belächelt, daß wir auf so etwas wie ein Recht auf unsere Heimat pochen. Wenn es nach Grünen, Linken und anderen „Weltverbesserern“ geht, sollen wir am besten einfach alle die Klappe halten, wenn wir nicht als dämliche Rassisten gelten wollen.

Für Ihre Beiträge ernten Sie allerdings auch Kritik: Ein Mitglied des Berliner FDP-Landesvorstandes nannte diese in einem Gastbeitrag für die „Huffington Post“ „peinlich und naiv“ und forderte Sie auf, doch mal zu „denken“. Für „Bento“, das Jugendportal des „Spiegel“, sind Ihre Artikel „nationalkonservativer Bullshit“ und „völkisches Denken“. Und Facebook sperrte Sie wegen Ihres Lobes für ein gesetzliches Burka-Verbot.    

Schunke: Ja, aber schauen Sie sich die Like-Zahlen der Texte an. Der des FDP-Politikers hatte nach fünf Tagen auf der Hauptseite der Huffington Post phänomenale 135 Facebook-Likes – meiner über 20.000. Auch wenn das jetzt arrogant klingen könnte – offenbar hat es die Leute nicht so interessiert. Ehrlich gesagt habe ich ihn selbst bis heute nicht fertiggelesen – war mir zu langweilig. Ähnlich ist es mit dem Bento-Beitrag. Dabei bin ich schon jemand, der sich Kritik zu Herzen nimmt. Aber sie muß eben argumentativ stichhaltig und sachlich sein. Das war hier jedoch nicht der Fall.

Na, wie wäre es dann jetzt mit Kritik: Ist Ihre Sicht auf den Islam nicht einseitig?

Schunke: Wissen Sie, ich habe mich lange bemüht, etwas in der islamischen Kultur zu finden, was uns tatsächlich bereichert. Tut mir leid, ich finde nichts. 

Wie wäre es mit Respekt vor Kultur, Tradition, Geschichte, Familie und Religion.

Schunke: Religion? Ich bin Atheistin. Islamische Familie? Bin ich skeptisch, denn dort herrschen oft archaische Rollenverhältnisse. Das einzige, was vielleicht bereichernd sein könnte, ist der selbstverständliche Stolz, den diese Kultur noch hat. Allerdings sollte er nie dumpf, unbegründet und überheblich sein – so aber erlebt man islamischen Stolz leider oft.

Sie bezeichnen sich selbst als „wehrhafte Feministin“. Passen Feminismus und Liberalismus zusammen?  

Schunke: Warum nicht? Ich finde es wichtig, daß Frauen und Männer nicht nur  auf dem Papier der Verfassung, sondern auch realiter gleichberechtigt sind.

Ist der Feminismus nicht eine doktrinäre Idee, also das Gegenteil von Freiheit?

Schunke: Inwiefern?

Zielt er nicht auf Umerziehung, Politische Korrektheit und soziale Kontrolle? 

Schunke: Es stimmt, daß es das im Feminismus auch gibt. Ich sehe mich aber eher als klassische Feministin in der Tradition Alice Schwarzers, nicht als eine dieser doktrinären Neofeministinnen.

Alice Schwarzer ist nicht doktrinär?

Schunke: Vielleicht bin ich ja für Sie auch eine doktrinäre Feministin, aber ich sehe schon einen grundlegenden Unterschied zwischen Schwarzer und etwa Anne Wizorek oder Kübra Gümüsay, die eher dem Feminismus der Gender Studies etc. entsprechen, der nur noch ideologisch verblendet ist.

Sieht klassischer Feminismus die Geschichte nicht als Geschichte der Unterdrückung der Frau, die Familie als Gefängnis der Frau etc. Ist das nicht eine doktrinäre Verengung?

Schunke: War das nicht auch lange Zeit tatsächlich so?

Nein, Wesen und Ziel von Geschichte und Familie war das nie – auch wenn es diese Unterdrückung gegeben hat. 

Schunke: Das sehe ich anders. Ich finde die Verdienste von Frau Schwarzer enorm. Denken Sie etwa daran, daß bis in die siebziger Jahre die Frau ohne Zustimmung des Mannes keiner Arbeit nachgehen durfte. Gut, vielleicht hat Schwarzer auch überspitzt. Aber um etwas zu bewirken, muß man vielleicht manchmal auch überspitzen. 

Und, tun Sie das in puncto Islam vielleicht auch?

Schunke: Das können Sie mir natürlich vorwerfen, ich glaube es aber nicht. Denn ich meine – und das ist es auch, was man in der FDP nicht begreift –, wir irren, wenn wir den Islam nur unter der Prämisse der Religionsfreiheit sehen – weshalb dann auch gerne Liberalismus mit „Toleranz“ verwechselt wird. Denn tatsächlich haben wir es hier nicht mit Religion als Privatsache zu tun, sondern mit Religion als politischem Anspruch. Das ist in Wahrheit die Herausforderung, vor der wir stehen. 






Anabel Schunke, ist Autorin, Bloggerin und Profi-Fotomodel. Sie schreibt für Internetportale wie Tichys Einblick, Huffington Post oder Emma Online. Seit 2014 studiert sie in Göttingen Geschichte und Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politische Theorie“. Im Februar erscheint Ihre Essaysammlung „Der Stolz und die Freiheit“. Geboren wurde Anabel Schunke 1988 in Goslar.   

Foto: Publizistin Schunke: „Ich bin also entrechtet worden, von meiner eigenen Regierung. Genauso wie alle jene, die auch nicht gefragt worden sind – die das alles aber mit ihren Steuergeldern bezahlen müssen (...) Den Politikern scheinen wir egal zu sein.“


 

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