© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Das Terrormädchen aus Hannover
Prozeß: Die Bundesanwaltschaft wirft der 16 Jahre alten Islamistin Safia S. vor, das erste IS-Attentat in Deutschland verübt zu haben
Hinrich Rohbohm

Beigefarbener Schleier, schwarz umrandete Brille, die Hände zusammengefaltet. Ein kurzes, leicht verunsichertes Lächeln. So betritt Safia S. den Saal 94 des Oberlandesgerichts Celle. Ein junges Mädchen, das auf den ersten Blick auch als nette Musterschülerin eines Gymnasiums durchgehen könnte. Sie blickt sich um, läuft zunächst in die falsche Richtung, ehe sie zwischen ihren Verteidigern Platz nimmt. 

Safia wurde schon als Kind radikalisiert

Ob er „Sie“ zu ihr sagen solle oder sie weiter mit Safia ansprechen dürfe, will der Vorsitzende Richter Frank Rosenow von der erst 16 Jahre alten Angeklagten wissen. „Safia und Du reicht“, sagt sie, nun etwas entspannter, während sie unter dem Tisch mit ihren Turnschuhen ein wenig hin und her wippt. Ihre Staatsangehörigkeit gibt sie mit deutsch an. „Du weißt es wahrscheinlich gar nicht, aber du besitzt auch die marokkanische Staatsangehörigkeit“, sagt ihr der Richter. Marokko entlasse niemanden so leicht aus seiner Nationalität, erklärt er. 

Hinter Safia S.  sitzen mehrere Anwälte und ein Dutzend Journalisten. Durch eine Glasscheibe vom Prozeßgeschehen getrennt, wollen zahlreiche Zuhörer den Prozeß mitverfolgen. Unter ihnen auch mehrere vollverschleierte Frauen. Einigen ist trotz verdecktem Gesicht anzusehen, daß sie noch sehr jung sind. Auch Muntasir bi-Ilah befindet sich unter den Zuhörern, ein Islamist und ehemaliger linksextremer Terrorist, besser bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Bernhard Falk. Er hatte in den neunziger Jahren für die Antiimperialistischen Zellen Sprengstoffanschläge auf Politiker verübt und war hierfür zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Sein Markenzeichen: Militärparka, den er stets zu tragen pflegt und auf dessen Ärmel die Schahada, das Glaubensbekenntnis der Moslems eingestickt ist. Heute betreibt er „Gefangenenhilfe“ für terrorverdächtige Islamisten. 

Zu ihnen zählt auch Safia S., die sich wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor dem Oberlandesgericht verantworten muß. Sie hatte am 26. Februar dieses Jahres am Hauptbahnhof Hannover mit einem Gemüsemesser auf einen damals 35 Jahre alten Bundespolizisten eingestochen: Sie stellte sich an die Balustrade bei den Rolltreppen, in unmittelbare Nähe von zwei Polizisten. Dann wartete sie, während sie die Beamten minutenlang anstarrte. Nach einiger Zeit kam den Polizisten das Mädchen verdächtig vor. Sie fragten nach ihrem Ausweis. Dann stach Safia S. zu, bohrte die sechs Zentimeter lange Klinge in den Hals ihres Opfers. Auch ein Steakmesser mit einer 16 Zentimeter langen Klinge führte sie bei sich. Bei ihrer späteren Vernehmung erklärte sie, sie habe sich provoziert gefühlt. 

Safia S. wurde schon als Kind radikalisiert. Die Mutter ist strenggläubige Marokkanerin, der Vater zum Islam konvertiert. Safia wächst in Hannover auf. Und gerät in die Hände des Haßpredigers Pierre Vogel, der sie zu seinem Werkzeug macht. Er dreht Videos mit ihr, die er auf Youtube veröffentlicht. Das damals erst 9 Jahre alte Mädchen wird seine junge Vorzeige-Islamistin. 

Mit angeklagt ist auch der 20 Jahre alte Deutsch-Syrer Mohamad Hasan K. Laut Anklage soll er gewußt haben, „daß Safia S. im Auftrag des IS eine ‘Märtyrertat’ in Deutschland plante.“ K. zählt auch zu den Verdächtigen für einen möglichen Anschlagsversuch auf das in Hannover angesetzte Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Holland vom November vorigen Jahres. Seitdem wird er überwacht. Auch eine Hausdurchsuchung erfolgte bei ihm. Eine Fluchtgefahr sahen die deutschen Sicherheitsbehörden bei ihm dennoch nicht gegeben. Sie wurden eines Besseren belehrt. Über eine Mitfahrzentrale fand K. einen Fahrer, der ihn außer Landes brachte. Bezeichnend: Der Wagen gehörte einem Polizisten. K. sollte bis Griechenland kommen. Dort wurde er festgenommen und an Deutschland ausgeliefert. Und so sitzt auch er in Saal 94, um sich für seine Mitwisserschaft um die Tat von Safia S. zu verantworten. Dem Generalbundesanwalt zufolge hat die damals erst 15jährige den ersten, direkt vom IS in Auftrag gegebenen Angriff in Deutschland ausgeführt. 

„Stigmatisierung“ der      Angeklagten verhindern

Wie der Prozeß weiter verlaufen wird, davon wird die Öffentlichkeit nichts mehr mitbekommen. Denn schon gleich nach dem Abfragen der Personalien beschließt das Gericht, ohne Presse und Zuhörer weiterzuverhandeln. Sogar einschließlich der Urteilsverkündung. Begründung: das Alter der Jugendlichen. Man wolle eine „Stigmatisierung“ der Angeklagten durch Zuhörer und Medien vermeiden. Sollte Safia S. verurteilt werden, drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft. Mohamad Hasan K. könnte für maximal fünf Jahre hinter Gitter kommen. 

Der Anwalt der Jugendlichen, Mutlu Günal, fordert hingegen aufgrund der „sittlichen und geistigen Entwicklung“ seiner Mandantin einen Freispruch.