© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Der erfundene Extremismus
Aus Bielefeld gegen die deutsche Mitte: Das „Syndrom Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ als Gummibegriff für den Pauschalverdacht
MichaelPaulwitz

Wer Begriffe prägt und besetzt, bestimmt die öffentliche Meinungsbildung und sichert sich nach der Diskurshegemonie auch politische Macht und Einfluß. Der Siegeszug des Kampfbegriffs „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) ist dafür ein Paradebeispiel. Ersonnen im akademischen Elfenbeinturm des Bielefelder „Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung“ (IKG), hat sich das sozialwissenschaftliche Konstrukt mit den Adepten seines Erfinders, des Soziologen und Erziehungswissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer, in Parteien, politischen Institutionen, Lobbygruppen und wissenschaftlichen Einrichtungen ausgebreitet und sorgt dafür, daß die Begründungen und Gelder für immer neue Variationen des „Kampfes gegen Rechts“ nicht ausgehen und einer wachsenden Schar von Protagonisten ein Auskommen auf Steuerzahlers Kosten sichern.

Ideologiegeschichtlich ist die „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ eine Erneuerung, Ausweitung und gewollte Verunklarung der älteren und stumpf gewordenen Kampfbegriffe „Ausländerfeindlichkeit“ und „Rassismus“. Zweck der „Ideologie des Antirassismus“ ist, in den Worten der französischen Demographin Michèle Tribalat, durch Einschüchterung eine offene Diskussion über die negativen Folgen, Risiken und Nebenwirkungen von Einwanderung gezielt zu verhindern.

Der Andersdenkende als Feind der Menschheit

Das verlangt, die einheimische Bevölkerung unter Pauschalverdacht zu stellen, um ihre Vorbehalte und Widerstände zu brechen. Der „Rassismus“-Begriff hat dabei den Nachteil, daß er nach dem Wortlaut der einschlägigen Definitionen in Uno- und EU-Dokumenten theoretisch auch auf von Einwanderergruppen ausgehende feindselige Haltungen angewandt werden könnte. Die 2010 im Gefolge der Sarrazin-Affäre entstandene Debatte über Deutschenfeindlichkeit hatte darüber eine Kontroverse unter anderem in den Reihen der linken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ausgelöst. Diese Kontroverse wurde mit einem Machtwort des „Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin“ (apabiz) beendet: „Rassismus“ sei „immer in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext rassistischer Machtverteilung“ zu stellen. „So können Angehörige des gesellschaftlich hegemonialen Bevölkerungsteils – in Deutschland also weiße Deutsche – zwar individuelle Ausgrenzungserfahrungen machen, sie sind jedoch keinem strukturellen Rassismus ausgesetzt, der beispielsweise auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt wirksam ist.“

Heitmeyers GMF-Konzept ist von vornherein mit eindeutiger Tendenz schwammig aufgestellt. Nach seiner Definition umfaßt das „Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ einen ganzen Strauß willkürlich ausgewählter Phänomene: neben „Rassismus“ auch Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, „Homophobie“, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Etabliertenvorrechte, Abwertung von Langzeitarbeitslosen. Diese Gruppen und Phänomene können bei Bedarf gegeneinander ausgespielt und im Zweifelsfall ausschließlich der einheimischen Noch-Mehrheitsgesellschaft zugeordnet werden.

Wissenschaftliche Ansätze und Definitionen wie der klassische Extremismusbegriff werden dadurch gewollt ad absurdum geführt. Sogar wenn Umfragen, auch die von Heitmeyers Bielefelder Institut selbst durchgeführten, einen Rückgang tatsächlich extremistischer, pro-nationalsozialistischer, fremdenfeindlicher und Menschen anderer Hautfarbe ablehnender Einstellungen belegen, kann durch die übrigen Kriterien eine Zunahme „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ behauptet werden. Und schon ist die Forderung nach neuen Programmen und Maßnahmen begründet, die sich natürlich stets „gegen Rechts“ richten sollen.

Die Fragestellungen in dem „Forschungsprojekt“, das von Heitmeyers Institut zwischen 2002 und 2012 mit jeweils mehreren tausend Teilnehmern durchgeführt wurde, sind dabei oft nebulös und vermischen positive und negative Aussagen. Um „Islamfeindlichkeit“ zu begründen, reicht es beispielsweise schon aus, die Behauptung eines „besonderen kulturellen Beitrags“ des Islam abzulehnen.

An die Stelle eines begrifflich faßbaren „Rechtsextremismus“ tritt als Folge ein „Extremismus aus der Mitte der Gesellschaft“, an dessen Propagierung Wilhelm Heitmeyer mit dem Wirken seines Instituts wesentlichen Anteil hat. Schon die Terminologie ist verräterisch: „Syndrom“ verweist die Existenz von einem vorgegebenen Rahmen abweichender Meinungen in den Bereich des Medizinischen, Krankhaften; und die Qualifizierung als „Menschenfeindlichkeit“ schließt den totalitären Anspruch ein, den Andersdenkenden als Feind der Menschheit außerhalb jeder Gemeinschaft zu stellen.

Theoretisches Fundament von Heitmeyers GMF-Begriff ist der „Bielefelder Desintegrationsansatz“, der besagt, die „Abwertung“ anderer sei stets auf faktischen oder gefühlten Verlust materieller Sicherheit, sozialer Anerkennung und persönlicher Akzeptanz zurückzuführen. Mit anderen Worten: Wer Masseneinwanderung ablehnt, Islamisierung skeptisch sieht oder AfD wählt, hat dafür keine rationalen oder politischen Gründe, sondern soziale Sorgen und Minderwertigkeitskomplexe – ein Generalschlüssel für volkspädagogische Betreuungs- und Umerziehungsprogramme. Wie sehr dieses Sozialklempner-Denken politisch-mediales Allgemeingut geworden ist, erkennt man an dem Reflex, hinter einwanderungskritischen Protesten und Wahlergebnissen grundsätzlich das Werk von „gesellschaftlich Abgehängten“ zu erkennen.

Heitmeyer erhielt für diese Kernthese anläßlich seiner Emeritierung 2013 den „Ehrenpreis“ des von der nordrhein-westfälischen Landesregierung verliehenen „Innovationspreises“. Zur Verbreitung seines Kampfbegriffs konnte Wilhelm Heitmeyer auf ein effektives publizistisches Netzwerk zurückgreifen. Die Ergebnisse seiner Studien wurden jährlich unter dem Titel „Deutsche Zustände“ im Suhrkamp-Verlag veröffentlicht und ausführlich unter anderem in der auflagenstarken Wochenzeitung Die Zeit ausgebreitet, bei der Heitmeyer oft und gern gesehener Interviewgast ist.

Kaderschmieden sichern Fluß von Multiplikatoren

Finanziert wurde die Langzeituntersuchung von einem Stiftungs-Konsortium unter Federführung der Volkswagenstiftung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte darüber hinaus ein Graduiertenkolleg zum Thema, an dem die Universitäten Bielefeld und Marburg beteiligt sind. Als „Kaderschmieden“ haben Heitmeyers Konfliktforschungsinstitut und das Kolleg einen steten Fluß von Multiplikatoren hervorgebracht, die seine Thesen und Methoden weitertragen.

Medial nicht minder umtriebig ist der Nachfolger Heitmeyers als Leiter des Bielefelder Instituts, der Sozialpsychologe Andreas Zick. Zur Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung (JF 35/16), die Kämpfer „gegen Rechts“ mit einer Handlungsanleitung „Reflektieren. Erkennen. Verändern. Was tun gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?“ versorgt, steuerte er ebenso einen Beitrag zum „wissenschaftlichen Rahmen“ bei wie zum Portal der Bundeszentrale für politische Bildung, die sich demselben Thema ausführlich widmet. Die sexuellen Massenübergriffe durch meist nordafrikanische junge Männer in der Silvesternacht von Köln, teilte er in der Neuen Westfälischen (NW) in einem ausführlichen Interview mit, habe zwar mit Menschenmassen zu tun, aber nichts mit der Herkunft der Täter: Mit einem Verweis auf diese würden „wir keine Antwort finden“ (NW, 1. Februar 2016).

Heitmeyer, der das Bielefelder Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung seit 1996 geleitet hatte, wirkt als „Senior Research Professor“ weiter am Institut. Dessen These vom „Extremismus der Mitte“, der auf der sich ausbreitenden Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit beruhe, entwickelte Nachfolger Andreas Zick in einer Reihe von Studien im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung weiter. Von grüner Seite wurden insbesondere die von Oliver Decker und dem Sozialpsychologen Elmar Brähler verantworteten „Mitte“-Studien der Universität Leipzig, mit Zick als regelmäßigem Autor und Spiritus rector, dankbar genutzt, um auch die Unionsparteien als angebliche Stichwortgeber einer „extremen Mitte“ zu attackieren und Zicks frühzeitige Denunzierung der AfD und ihrer Wähler aufzugreifen (JF 49/14).

Nicht nur politische Initiativen von Grünen und Linken greifen das Schlagwort von der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ gern auf. Hinter den Kampagnen gegen „Haßkommentare“ im Internet, die inzwischen mit justizministeriellem Segen stattfinden, ist das Konzept unschwer zu erkennen. Ein „Computerspiel“ gegen GMF, vom Programm „Schule ohne Rassismus“ angestoßen, vom katholischen Kolpingwerk, der damaligen grün-roten Landesregierung und dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg auf den Weg gebracht, oder eine aktuelle Ringvorlesung der Hochschule Esslingen zu „Erscheinungs- und Bearbeitungsweisen von Menschenfeindlichkeit“, bei der Andreas Zick, sein Adept Elmar Brähler und ein LKA-Referent auf der Rednerliste stehen, oder eine Tagung des NRW-Verfassungsschutzes und der Ditib-Begegnungsstätte zur „Islamfeindlichkeit“ mit Andreas Zick als Redner – das alles sind Beispiele für die weite Verbreitung, die der Begriff zwischenzeitlich gefunden hat. Angesichts dieser Omnipräsenz ist es nur logisch, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft Andreas Zick in diesem Frühjahr ihren „Communicator-Preis“ widmete.