© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Neue Gesichter will das Land
Litauen: Überraschender Erdrutschsieg für Partei der Bauern und Grünen / Sozialdemokraten nach Korruptionsskandalen abgewählt
Michael Link

Einen überraschenden Wahlsieg der Partei der Bauern und Grünen (LGPU) brachte vergangenen Sonntag die Parlamentswahl in Litauen. Demnach konnte die LGPU mit ihrem Spitzenkandidaten Saulius Skvernelis nach dem zweiten Wahlgang ihren Stimmenanteil gegenüber der letzten Wahl vor vier Jahren von 3,9 auf 22,5 Prozent erhöhen. Damit kommt sie auf 56 der 141 Sitze im litauischen Parlament, der Seimas. Die Konservative Partei (TS-LKD), die als Favorit in die zweite Runde der Parlamentswahlen gegangen war, liegt abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Die Partei unter dem 34jährigen Gabrielius Landsbergis, einem Enkel des ersten litauischen Staatsoberhauptes Vytautas Landsbergis, kommt derzeit auf 30 Sitze.

„Wir spüren unsere Verantwortung für die Führung des Landes“, kommentierte Saulius Skvernelis den Wahlsieg, und kündigte sogleich „eine rationale Regierung“ an. Obwohl Skvernelis kein Parteimitglied ist, wurde der 46jährige in diesem Jahr von der LGPU als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten aufgestellt. Hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung hat dem bisherigen Innenminister sein Kampf gegen die Korruption eingebracht. Seit Jahresbeginn hatten in Litauen mehrere Korruptionsskandale für Aufsehen gesorgt.

„Offensichtlich stimmten die Menschen für Veränderungen und gegen die Koalition, die knietief in Skandalen steckt“, äußerte sich Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite zu dem Wahlergebnis. Auch Politologen werteten das Ergebnis als Protestvotum gegen die bisherige Regierung. Die Sozialdemokratische Partei unter Regierungschef Algirdas Butkevicius wurde regelrecht abgestraft und kann jetzt mit nur noch 17 Sitzen im Parlament rechnen. Ihr Bündnispartner – die Partei für Ordnung und Gerechtigkeit sowie die Arbeitspartei – mußten ebenfalls deutliche Stimmenverluste hinnehmen.

Vor allem die jüngste Novellierung des Arbeitsrechts mit der Vereinfachung von Entlassungen hat politischen Beobachtern zufolge die Linkskoalition von Butkevicius viele Stimmen gekostet. „Das bedeutet wirklich, daß die Leute neue Gesichter in der Politik wollen“, kommentierte Ramunas Vilpisauskas vom Institut für internationale Beziehungen und Politikwissenschaft in der Hauptstadt Vilnius den Wahlausgang. Jedoch seien die Erwartungen der Menschen schwer einzuschätzen, denn die LGPU-Politiker seien weitgehend unbekannt.

Neben den Korruptionsskandalen hatten die Wirtschafts- und Sozialpolitik der früheren Sowjetrepublik im Mittelpunkt des Wahlkampfes gestanden. Der Parteichef der Partei der Bauern und Grünen, der Grundbesitzer und Industrielle Ramunas Karbauskis, hatte im Wahlkampf höhere Gehälter und einen Einsatz für Wirtschaftswachstum versprochen. Damit soll eine weitere starke Abwanderung junger Menschen in dem von wachsender Armut und sozialer Ungleichheit geprägten baltischen Staat verhindert werden. 370.000 litauische Staatsbürger haben seit Litauens EU-Beitritt im Jahr 2004 ihre Heimat verlassen, rund die Hälfte davon ist nach Großbritannien ausgewandert.

In der Stichwahl haben die Wähler des 2,9 Millionen Einwohner zählenden Landes über 71 Direktmandate entschieden. Im ersten Wahlgang zwei Wochen zuvor waren 70 Mandate nach Parteilisten verteilt worden. Mit 37,9 Prozent lag die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen allerdings weit unter jener von 2012.