© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Wer ein Verbrechen verübt, macht es nie wieder
Besuch in Singapur: Eine harmonische Mischung aus Freiheit und Sicherheit bewahrt den südostasiatischen Insel- und Stadtstaat vor dem Chaos
Hhinrich Rohbohm

Es war eine der größten Anti-Terror-Übungen, die Singapur je erlebt hatte. 3.200 Sicherheitskräfte waren in der vergangenen Woche in dem südostasiatischen Stadtstaat im Einsatz. Polizei und Streitkräfte simulierten in einer 18 Stunden andauernden Übung einen Terrorangriff auf die Inselmetropole. Schwer bewaffnete Truppen durchkämmten die Innenstadt, um mit M16-Gewehren und Sprengstoffgürteln ausgerüstete Attentäter auszuschalten. 

Nicht zum ersten Mal proben Singapurs Einsatzkräfte den Ernstfall, bei dem sie auch Zivilisten mit in die Übungen einbeziehen, um sie für die zunehmenden Gefahren des Terrors zu sensibilisieren. Als enger Verbündeter der USA gilt die Finanzmetropole als potentielles Angriffsziel von Islamisten, für die die umliegenden muslimisch geprägten Staaten wie Malaysia, Indonesien, aber auch Regionen wie der westliche Teil Mindanaos auf den Südphilippinen als Rekrutierungs- und Rückzugsorte dienen. 

Erst vor zwei Monaten war die Stadt offenbar knapp einem Anschlag entronnen. Die Sicherheitsbehörden des Nachbarstaats Indonesien hatten fünf mutmaßliche Terroristen des IS auf der nur 20 Kilometer von Singapur entfernten Insel Batam festnehmen können, die geplant haben sollen, Wahrzeichen Singapurs unter Raketenbeschuß zu nehmen. Darunter auch das als Touristenmagnet bekannte und durch seine spektakuläre Bauweise berühmt gewordene Marina Bay Sands-Hotel im Herzen des Finanzdistrikts. 

An dem Anschlagsversuch soll auch der Indonesier Muhammad Bahrun Naim, ein Mitglied des IS, beteiligt gewesen sein, der die Terrorgruppe mit den nötigen finanziellen Mitteln versorgt haben soll und zudem als Anwerber von potenziellen neuen IS-Kämpfern gilt, die später in Syrien und im Irak zum Einsatz kommen. Und in diesem Monat hatte die Polizei des Nachbarstaats Malaysia 16 Terrorverdächtige festgenommen, nachdem im Juni dieses Jahres ein Anschlag auf ein Nachtlokal in Puchong, einem Vorort von Kuala Lumpur verübt wurde.

Singapurs Minister für Inneres und Justiz, Kasiviswanathan Shanmugam, warnte: „Singapur muß begreifen, daß die Menschen, die uns verletzen wollen, es sehr ernst meinen. Sie werden nach allen möglichen Wegen suchen.“ Entsprechend eng arbeitet die Finanzmetropole mit den Sicherheitsbehörden seiner Nachbarländer zusammen. 

„Ich denke, in Singapur ist man gut auf Gefahren vorbereitet“, sagt Xuesheng Wang. Der kleine, 55 Jahre alte Mann mit Halbglatze betreibt eines der zahlreichen Nudelrestaurants mitten im quirligen Leben von Chinatown. Ein Gespräch mit ihm ist nur in Intervallen möglich. Immer wieder springt er auf, gibt Anweisungen an die Küche oder begrüßt Stammkunden, die er als erstes herzlich umarmt. „Nein, da mach ich mir keine Sorgen. Nicht hier.“ Schließlich sei Singapur für seine scharfe Gesetzgebung bekannt. „Wer hier ein Verbrechen verübt, begeht danach nie wieder eines“, sagt er. 

Er beginnt, von seinen Verwandten zu erzählen. Von seinen Neffen und Nichten, von denen einige in England, Frankreich und in Deutschland leben. „Ja, die machen sich große Sorgen. Die erzählen mir Sachen, die ich kaum glauben kann.“

Sie haben ihm von gewalttätigen Ausschreitungen in den Städten erzählt, die die Polizei nicht in den Griff bekam. Von Stadtvierteln, die man besser meiden solle, weil die Kriminalität dort so hoch sei. Von den Pariser Terroranschlägen. Und von Immigranten aus Afrika, die illegal und ungehindert über die Grenzen gekommen seien und nun vom Staat versorgt werden müßten. „Sie beneiden mich für mein Leben hier und überlegen inzwischen sogar, ihr Land zu verlassen, weil sie glauben, daß es mit Europas Wohlstand bald vorbei sein könnte.“

Auch Xuesheng kennt die Bilder von den überfüllten Flüchtlingsbooten, die von Afrika aus über das Mittelmeer kommen und von den europäischen Sicherheitsbehörden aufgelesen und nach Europa eskortiert werden. „Das ist hier unvorstellbar.“ Er spricht von Roboter-Booten, die in der Straße von Malakka patrouillieren. Wer illegal über das Meer komme, werde auch eskortiert, sagt er. „Aber in sein Heimatland.“ Und wenn jemand seinen Paß weggeworfen habe, um seine Herkunft zu verschleiern? „Der hält sich dann illegal im Land auf und kommt ins Gefängnis. Und das ist kein Vergnügen hier.“ 

Xuesheng gibt die Erzählung eines Bekannten wieder, der wegen eines Verkehrsdelikts kurze Zeit eingesessen habe. „15 Mann in einer Zelle, nur ein Klo für alle. Glaube mir, wer in Singapur vergessen hat, aus welchem Land er kommt, dem fällt es in kürzester Zeit wieder ein.“ 

Auch was Aufenthaltsbewilligungen und Transferleistungen für Migranten betrifft, handelt Singapur restriktiver als die europäischen Staaten. Finanzielle Zuwendungen des Staates an Migranten gibt es überhaupt nicht. Ungelernte Fremdarbeiter wie Dienstmädchen oder Hilfskräfte auf dem Bau werden über Agenturen angeworben und erhalten eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Eheschließungen mit Bürgern Singapurs sind ihnen untersagt. Auch ein Familiennachzug ist nicht gestattet. Bei Wirtschaftskrisen ist zudem die Aufkündigung der Aufenthaltserlaubnis möglich. 

Im Gegensatz zu den ungelernten Kräften dürfen Gastarbeiter mit Berufszertifikat zumindest eine eigene Wohnung mieten und auch selbständig den Arbeitgeber wechseln. Sie dürfen ferner Unternehmen gründen, und auch der Familiennachzug und die Eheschließung sind erlaubt. Ausländische Experten und Führungskräfte hingegen genießen einen erweiterten Aufenthaltsstatus, unterliegen bei Nachweis eines höheren Einkommens nahezu keinen Beschränkungen. 

Den knallharten Rechtsstaat bekamen vor einem Jahr auch zwei 21 und 22 Jahre alte Deutsche aus Leipzig zu spüren, die in Singapur in ein U-Bahn-Depot eingedrungen waren und einen Waggon mit Graffiti besprüht hatten. Die Folge: neun Monate Haft und drei Stockschläge auf den nackten Hintern. Ein Umstand, der erklären mag, warum im Gegensatz zu Deutschland graffitiübersähte Nahverkehrsbahnen in Singapur nicht anzutreffen sind. Selbst das nicht gestattete Eisessen im Zug wird teuer. 500 Singapur-Dollar sind als Strafe zu zahlen. 

„Wenn die Gesetze nicht so scharf wären, würde Singapur im Chaos versinken“, ist Kiran Bai überzeugt. Der 21jährige studiert Wirtschaftswissenschaften und lebt in Little India, einem von Einwanderern des südasiatischen Subkontinents geprägten Stadtteil. Das Bild ist geprägt von bunten Hausfassaden. Unzählige kleine Läden mit Schmuck, Obst, Gemüse und vielfarbigen Blumenketten reihen sich aneinander. Exotische Curry-Gerüche wabern in der Luft. Little India zählt zu den ärmeren Gegenden Singapurs. Spaziergänge selbst in den dunkelsten und engsten Seitengassen sind dennoch unproblematisch.

„Wir haben mit dem Staat eine Art Vertrag“, erklärt Kiran. „Man bekommt wirtschaftliche Freiheit und Wohlstand. Dafür muß sich jeder streng an die Gesetze halten und staatliche Interventionen im gesellschaftlichen Leben akzeptieren, nur so funktioniert es.“

„Hier gibt es keine religiösen Extremisten“

Freiheit und Sicherheit müßten „harmonisch miteinander verbunden sein“, sei die Philosophie Singapurs. „Andernfalls würden sich hier ganz schnell Korruption, Drogenhandel und Gewalt breitmachen“, ist Kiran überzeugt. „Zuviel Freiheit führe zu Anarchie, zu viel Sicherheit zur Diktatur“, deshalb müsse beides ins Gleichgewicht gebracht werden. Vor allem ethnische und religiöse Konflikte wären sonst in der multikulturell geprägten Stadt programmiert. Der starke und zugleich harte wie kompromißlose Rechtsstaat sei der Kitt, der die Gesellschaft in der Sechs-Millionen Einwohner-Metropole zusammenhalte. Und zeigt zudem, auf welcher Grundlage eine multikulturelle Gesellschaft funktionieren könnte.

„Hier gibt es keine Haßprediger oder Scharia oder sonstige religiöse Extremisten“, meint auch Sharif, ein 30 Jahre alter Textilkaufmann und gläubiger Moslem, der sein Geschäft in unmittelbarer Nähe zur Arab Street betreibt, dem muslimischen Viertel der Stadt.“ Angriffe auf Andersgläubige seien in Singapur undenkbar. „Sie würden sich wohl auch in Europa nicht so stark ausbreiten, wenn der Staat Täter nicht immer wieder aufs neue laufen läßt. Gerade jungen Leuten müssen Grenzen aufgezeigt werden. Wenn Sie sehen, daß sie für schlimme Taten unbestraft davonkommen, werden sie übermütig. Das steigert sich dann immer weiter“, sagt er.