© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Im Zweifel für Luther
Revision: Zum Reformationsjubiläum hat die EKD eine neu übersetzte Bibel vorgelegt
Christian Vollradt

In das nahezu einhellige Lob mischt sich fast so etwas wie Erstaunen: Die neue – mittlerweile vierte kirchenamtlich – revidierte Fassung der Lutherbibel, die seit vergangener Woche im Handel ist, wird in den ersten Kritiken als großer Wurf gewertet. Und zwar vor allem, weil sie wieder mehr Luther wagt, sich ganz offen als eine Rückkehr zu sprachlichen Eigentümlichkeiten des Reformators versteht. Ist soviel Konservatismus in der EKD möglich? Oder ist es auch nur eine neue Form der Anpassung an den Zeitgeist, der nun mal gerade irgendwie „retro“ ist?

Wie dem auch sei: Die neue Fassung ist sicherlich das Überzeugendste, was von kirchenoffizieller Seite zum großen 500-Jahre-Reformation-Jubiläum erschienen ist. Auf Interesse wird sie weit über das kirchlich gebundene Milieu hinaus stoßen – ist die Lutherbibel doch auch ein „Sprachdenkmal“ (so der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann) – selbst für die Verächter der Religion, zumindest die Gebildeten unter ihnen. 

Etwa 70 Fachleute haben rund 80.000 Änderungsvorschläge überprüft, von denen gut 16.000 umgesetzt wurden. Die Texttreue gegenüber den biblischen Ausgangstexten sollte dabei das entscheidende Kriterium sein. Eine weitere Devise lautete jedoch: Im Zweifel für Luther. „Viele sehr bekannte Texte sind auch gegen exegetische Bedenken im Wortlaut erhalten worden“, erläuterte Christoph Kähler die Vorgehensweise. Der Thüringer Altbischof und emeritierte Neutestamentler war vom Rat der EKD mit der Leitung des Projekts beauftragt: „Ziel der Revision war, den Text nur behutsam zu ändern.“ Vor allem sollte der vertraute Klang der Lutherbibel erhalten oder aber wiederhergestellt werden. „Ausdrücklich nicht vorgesehen war die Anpassung an modernes Deutsch.“ Denn, so Kähler: „Bei einem Gedicht von Goethe käme ja auch keiner auf die Idee, daran rumzufummeln. Und die Weihnachtsgeschichte ist fast ein Gedicht, das Gemeindeglieder auswendig können.“ 

In schlechter Erinnerung ist noch die berühmt-berüchtigte revidierte Version des Neuen Testaments, welche die EKD 1975 vorgelegt hatte. Damals war man der Theorie des Germanisten Fritz Tschirch gefolgt, wonach sich Sprache mit der Zeit immer höher entwickele, also auch Luthers Text zu „verbessern“ sei. Allein die rund 90 Änderungen der Weihnachtsgeschichte verziehen die Deutschen den Bearbeitern nicht. Keine zehn Jahre später wurde das „Eimertestament“ – so der Spottname wegen des in Matthäus 5,15 durch das Wort Eimer ersetzten Scheffel, unter den man sein Licht nicht stellen soll – wieder rückabgewickelt. Die 2017er Revision tilgt nun auch noch einige problematische Hinterlassenschaften, die in der Fassung von 1984 bestehen geblieben sind. 

So kehrt an vielen Stellen der alte „Sound“ des Reformators zurück: Statt von „einigen“ ist wieder von „etlichen“ die Rede, Luthers typisches „auf daß“ kommt wieder zum Zuge. Und hieß es im Johannesevangelium 11,25 bisher: „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt“ endet der Vers wieder mit einem „ob er gleich stürbe“. Ebenso ist die Modernisierung, daß das Prädikat immer am Satzende stehen muß, rückgängig gemacht worden. Bei Matthäus 13,42 heißt es nun: „... da wird sein Heulen und Zähneklappern“. Andererseits wurde an einigen Stellen auch der umgekehrte Weg beschritten: dort, wo die Wörter mittlerweile tatsächlich nicht mehr verständlich sind. So wurde im 1. Buch Mose aus der Wehmutter die heute gebräuchlichere Hebamme. 

Gibt es denn gar nichts zu kritisieren? Doch. Um es vorab klarzustellen: Von allem, was in Richtung einer Bibel in „geschlechtergerechter Sprache“ zielt, ist die neue Lutherbibel weit entfernt. Es müsse weiter erkennbar bleiben, „daß die biblischen Texte einer patriarchalen Kultur entstammten“, so Altbischof Kähler. Dennoch werden in den neutestamentlichen Briefen die Gemeinden nicht mehr nur – wie im griechischen Urtext – als „Brüder“ („adelphoi“), sondern als „Brüder und Schwestern“ angesprochen. Die Begründung lautet: Erstens seien zweifelsohne auch die Frauen mit angesprochen gewesen. Zweitens sei im Griechischen der sprachliche Unterschied zwischen „adelphoi“ („Brüder“) und „adelphai“ („Schwestern“) nicht so groß wie im Deutschen; in der damaligen Aussprache seien sie so gut wie gar nicht zu unterscheiden gewesen. So richtig das eine – Paulus spricht einzelne weibliche Gemeindemitglieder sogar namentlich an –, so gewagt (um nicht zu sagen: windig) ist das zweite. Diese Änderungen sind nicht behutsam, sondern gravierend; und sie weichen sowohl vom griechischen Urtext als auch von Luthers Übersetzung ab. In der Summe jedoch erscheinen diese Zugeständnisse an den Gender-Zeitgeist gerade noch verkraftbar. 

Zeitgeistig im positiven Sinne: Die neue Lutherbibel gibt es auch als kostenlose App für das Mobiltelefon. Mit deren Suchfunktion kann man wie in einer Konkordanz nachschlagen und die Belegstellen finden.





Rückbesinnung auf Luther: beispielhafte Veränderungen

Matthäus 8,24

1545 – Vnd sihe/ da erhub sich ein  gros vngestüm im Meer/ also/ das auch das Schifflin mit Wellen bedeckt ward/ Vnd er schlieff.

1984 – Und siehe, da erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, so daß auch das Boot von Wellen zugedeckt wurde. Er aber schlief.

2017 – Und siehe, da war ein großes Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief.

Matthäus 12,34

1545 – Jr Ottern gezichte/ wie kund jr gutes reden/ die weil jr böse seid? Wes das Hertz vol ist/ des gehet der Mund vber.

1984 – Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

2017 – Ihr Otterngezücht, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Römer 10,10

1545 – Denn so man von Hertzen gleubet / so wird man gerecht / Vnd so man mit dem Munde bekennet / so wird man selig.

1984 – Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.

2017 – Denn wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Munde bekennt, wird selig.





Chronologie

März 2006

Die Deutsche Bibelgesellschaft (DBG) regt gegenüber dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine kritische Überprüfung des Textes der Lutherbibel an. Daraufhin setzt die EKD im Oktober eine Expertengruppe ein. 

April 2008

Der EKD-Rat beschließt Kriterien sowie einen Zeit- und Verfahrensplan für die Überarbeitung. 

Januar 2010

Die vom Rat der EKD berufenen Mitglieder eines Lenkungsausschusses nehmen ihre Arbeit an dem Projekt auf. 

September 2015

Der Ausschuß übergibt die revidierte Textfassung der Lutherbibel an den EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm. Die Deutsche Bibelgesellschaft beginnt mit den Verlagsarbeiten (Gestaltung, Satz, Korrektur). 

Oktober 2016

Die revidierte Lutherbibel 2017 erscheint pünktlich zum Beginn des Reformationsjubiläums.

Die Lutherbibel 2017 als kostenlose App für iOS und Android im Internet unter: www.die-bibel.de