© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Zeitschriftenkritik: Archäologie in Deutschland
Von Skandinavien bis zum Nilland
Karlheinz Weißmann

Die aktuelle Ausgabe von Archäologie in Deutschland (5/2016) befaßt sich in ihrem Schwerpunkt mit der Nordischen Bronzezeit. Der Begriff verweist auf die besondere Ausprägung dieser Phase der historischen Entwicklung in Norddeutschland und Skandinavien zwischen 1600 und 750 vor Christus. Zwar kam die durch den Import von Kupfer und Zinn ermöglichte Technologie erst relativ spät hier her, führte aber zu einer ganz „eigenen Formgebung“. Darauf verweist schon der einleitende Artikel von Carola Metzner-Nebelsick, der einen Überblick zum heutigen Forschungsstand liefert. Die Verfasserin bietet eine knappe Zusammenfassung dessen, was man aus den sichtbar gebliebenen Überresten und den Grabungsfunden über die Religion (in erster Linie im Hinblick auf die Sonnenverehrung), die Wertvorstellungen (die zentrale Bedeutung der kriegerischen Tüchtigkeit) und die soziale Organisation (vor allem in bezug auf die stärkere Hierarchisierung der Gesellschaft und das Verhältnis der Geschlechter) erschließen kann.

Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit der Doppelfunktion der großen Grabhügel als Bestattungsplatz und Kultort, mit der symbolischen Bedeutung von Schwert und Dolch und der Ausdehnung der bronzezeitlichen Kommunikationsnetze. Dabei ist nicht nur von Bedeutung, daß die Einflüsse der Nordischen Bronzezeit geographisch deutlich weiter nach Süden reichten – mindestens bis ins Harzvorland –, als bisher angenommen; wichtiger erscheint noch die erstaunliche Ausdehnung der Handelswege. Wer schon einmal die große Zahl der Schiffsbilder auf den schwedischen Felsritzungen gesehen hat, wird nicht erstaunt sein, daß die Seefahrt in dieser frühen Phase der europäischen Geschichte eine unerwartet große Rolle spielte. Während man Kupfer auf dem Landweg aus dem Alpenraum holte, kam Zinn übers Meer aus Cornwall. Aber noch wesentlich überraschender ist die Tatsache, daß der heimische Bernstein sich in Gräbern auf der Balkanhalbinsel und in Mykene fand, während man umgekehrt blaue Glasperlen aus Mesopotamien und Ägypten auf der Jütischen Halbinsel geborgen hat.

Einfluß des Nillandes auf den weit entfernten Norden vermutete man auch seit langem hinter auffälligen Einzelstücken in den Gräbern hochgestellter Persönlichkeiten, zum Beispiel den hölzernen Klappstühlen, die vom Beginn des 14. Jahrhunderts v. Chr. stammen und offensichtlich auf ägyptische Vorbilder zurückgehen. Daß es sich dabei nicht um einfache Gebrauchsgegenstände handelte, sondern um Stücke, die das soziale Prestige des Besitzers spiegelten, verweist auch darauf, daß es um mehr als den Austausch materieller Güter ging. Die schwedischen Archäologen Flemming Kaul und Jeanette Varberg vertreten in ihrem Beitrag die Meinung, daß sogar die Sinnbilder der Schlange und des Sonnenschiffs (ein Motiv, das sich auch auf der Himmelsscheibe von Nebra findet) ihren Ursprung weit entfernt im östlichen Mittelmeerraum hatten und samt den zugehörigen Ideen in den Norden kamen.

Kontakt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Hindenburgstr. 40, 64295 Darmstadt. Das Einzelheft kostet 9,95 Euro, ein Jahresabo 69,90 Euro.

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