© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Wenn Heimat nur noch peinlich ist
Nur noch ein multiflexibler Gattungsteilnehmer: Mit neuen Heimat-Definitionen bereitet sich unsere Kulturelite auf ein Ameisenleben vor
Wolfgang Müller

Die „Entscheider“ in Politik und Wirtschaft, Medien und Kirchen, sprechen nicht mehr von „Deutschen“ oder gar vom „deutschen Volk“. Sie nennen den Souverän des Grundgesetzes lieber „Bevölkerung“, gern auch „Menschen in Deutschland“, oder neuerdings „Menschen, die schon länger hier wohnen“ (Sigmar Gabriel). Kannte Wilhelm II. 1914 keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, kennt das Führungspersonal hundert Jahre später keine Deutschen mehr, nur noch Menschen.

Genauer gesagt, Menschen in ihrer globalisierungstauglichen Schrumpfform, als flexiblen Produktionsfaktor und als Konsumenten. Aus dieser extrem reduktionistischen Perspektive erklärt sich die jüngste Empörung der Berliner Nomenklatura und systemtreuer Medien über das Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Wie konnten sich über 20 Prozent der Wähler von den Altparteien abwenden, obwohl die SPD/CDU-Koalition dort doch für weniger Arbeitslose und mehr Wohlstand gesorgt habe und der Nordosten überdies eine niedrige Ausländerquote habe? 

Der Mensch lebt eben nicht vom Brot allein. Nicht nur der Alteuropäer verlangt nach Lebensinhalten jenseits des Materiellen. Die findet er in einer Kultur. Darunter ist zu verstehen die Gesamtheit verhaltenssteuernder Welt- und Menschenbilder, sinnstiftender Denkmuster, Werte, Gewohnheiten, durch die eine Personengruppe miteinander verbunden ist und die ihr soziales Leben organisiert. Das vollzieht sich nicht außerhalb von Zeit und Raum. Kulturanthropologen sprechen daher vom „territorialen Menschen“ (Ina-Maria Greverus), der im auch ethnisch determinierten familiären, regionalen, nationalen „Raum der Überlieferung“ (Botho Strauß) existiert. Knapper formuliert: menschlich leben heißt Heimat haben.

Der deutschen Kulturelite ist dieser Begriff heute peinlich. Wenn die Zeitschrift der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein Heft zum Thema „Heimat“ macht (SPK Magazin, 1/2016), ist daher mit Distanzierungen zu rechnen. Eine Erwartung, die nicht enttäuscht wird. Von Barbara Schneider-Kempf (Staatsbibliothek Berlin) aufgefordert, zu Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen“ Alternativen zu liefern, betonen die Autoren, daß Nationalismus stets der „Totengräber von Heimat“ (Jan Koneffke) sei, und zetern über den „narzißtischen Nationalismus“, wo man doch wisse: „Nationalitäten sind ohnehin konstruiert, eine Fiktion“ (Tanja Dückers).

Auch die beamteten Hüter der Erinnerung sind bemüht, Heimat vom „abgegrenzten Territorium“ abzulösen. Jürgen Kloosterhuis (Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem), empfiehlt darum: „Wir sollten Heimat nicht als den Ort verstehen, von dem wir herkommen, sondern als einen Ort, den wir suchen und zu dem wir hinwollen.“ Entsprechend rückt Paul Spies (Stiftung Stadtmuseum Berlin) das tradierte territoriale, an konkrete Kultur gebundene Heimatverständnis als „Monokultur“ Richtung Maisfeld. Nicht einmal „das kulturelle Europa“ soll für Elisabeth Tietmeyer (Museum Europäischer Kulturen), eine „Entität“ sein. Heimat kann also überall sein.

Neuansiedlungsprogramme für den alten Kontinent

Wie im politisch-medialen Komplex senkt man derart auch im Kultursektor die Standards des Humanen. Rechtzeitig, um nicht den Anschluß zu verlieren an Pläne, wie sie in New York und Brüssel für die Menschheit des 21. Jahrhunderts entworfen werden. Es geht dabei, wie der Journalist Tomas Spahn referiert (Tichys Einblick.com vom 14. Oktober 2016), um die UN-Strategie zur Bewältigung der Bevölkerungsexplosion Afrikas und Vorderasiens. Seit 2009 transformiere die EU-Kommission unter dem Deckmantel der „Flüchtlingshilfe“ das Diktat der New Yorker Bevölkerungsstatistiker, die die „Hochkulturen“ des alten Kontinents als Auffangbecken für den Zustrom aus dem globalen Süden konzipieren, in „Neuansiedlungsprogramme“. Der Mensch kommt darin nurmehr als ein auf seine Reproduktion reduzierter „Gattungsteilnehmer“ vor (Andreas Raithel, Tumult 3/2016). Für Spahn läuft dieser Prozeß auf „das Ende des europäischen Zeitalters“ und die Verwandlung menschlicher Kulturwelt in ein Ameisenreich hinaus.

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 www.tumult-magazine.net