© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Der Weg zur Weltgesellschaft
Peter Furth über die „brutale Dehumanisierung“
Wolfgang Müller

Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung der Menschheit, und erst wenn diese wirklich ist, ist jene wahr.“ So lautete die visionäre Definition von Jürgen Habermas, damals, als Willy Brandts SPD mit der Parole „Mehr Demokratie wagen“ Wahlen gewann, als der „mündige Bürger“ an neuen „Reform-Universitäten“ zu „vernünftigem Denken“ erzogen werden und er seine „emanzipatorischen“ Ansprüche auf politische Teilhabe im „herrschaftsfreien Diskurs“ anmelden sollte.

Warum es dann alles ganz anders kam, erklärt der an Hegel und Marx geschulte Altersgenosse von Habermas, der Berliner Sozialphilosoph Peter Furth, in seiner Aufsatzsammlung „Massendemokratie“. Ein etwas mißverständlicher Begriff, denn es herrschen keineswegs die Massen, wie Furths Analyse glasklar offenlegt, sondern das krasse Gegenteil ist der Fall. Die Masse ist nur noch Objekt einer sich mit dem Kulissenplunder und dem Vokabular des 19. Jahrhunderts (Parteien, Wahlen, Parlamente, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden) inszenierenden Herrschaft transatlantisch vernetzter Eliten. Die haben ihnen ihre Ansprüche auf politische Partizipation durch das Glücksversprechen auf enthemmten Konsum und mediale Bespaßung abgekauft. 

Mit dem Verschwinden des Staatsbürgers in einer atomisierten Masse stehe auch der Souverän des klassischen Demokratiemodells selbst zur Disposition – das Volk. Indem der Konsum an die Stelle von Gemeinsinn trete, sei „herkunftsgeleitete kollektive Identität“, jede substantielle überindividuelle Bindung an Familie, Klasse, Volk, Nation, herrschaftstechnisch betrachtet, lediglich ein zu beseitigendes Hindernis auf dem Weg zur ökonomisch optimalen „Flexibilisierung“ des bald ameisengleich in der „Weltgesellschaft“ lebenden „mobilen Menschen“. 

Unter fortwährender Anrufung von Moral, Menschlichkeit, Toleranz und Weltoffenheit vollzieht sich tatsächlich die brutale Dehumanisierung westlicher Gesellschaften. Daran wirkt für Furth auch die Entsorgung des historischen Bewußtseins mit. Eine „zusammenhängende Welt- und Geschichtserklärung“ könnte die einst so ersehnte, nun unerwünschte „aufgeklärte Mündigkeit“ fördern.

Peter Furth: Massendemokratie. Über den historischen Kompromiß zwischen Liberalismus und Sozialismus als Herrschaftsform. Landt Verlag, Berlin 2015, gebunden, 195 Seiten, 24 Euro