© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Kein Honigschlecken für die Konservativen
Spanien: Aus Furcht vor Neuwahlen bestätigten die Sozialisten Ministerpäsident Rajoy im Amt, setzen ihn aber parallel dazu unter Druck
Michael Ludwig

Spanien verfügt wieder über eine reguläre Regierung. Nach einer zehnmonatigen politischen Blockade wurde der Chef der konservativen Volkspartei (PP), Mariano Rajoy, in seinem Amt bestätigt. Er steht nun einer Minderheitsregierung vor, die im Parlament die Unterstützung anderer Parteien benötigt. Damit ist zwar die aktuelle Regierungskrise vom Tisch, aber die Frage bleibt, ob das Land mit der viertgrößten Volkswirtschaft in der Eurozone auf eine wirklich stabile politische Zukunft hoffen darf.

Bei der entscheidenden Abstimmung am vergangenen Sonntag in der Cortes hatten sich von den insgesamt 349 Abgeordneten 170 für Rajoy ausgesprochen, 111 votierten gegen ihn, und 68 enthielten sich ihrer Stimme. Da die einfache Mehrheit genügt, kann Rajoy nun weiter die Geschicke des Landes lenken.

Die Wiederwahl des konservativen Regierungschefs war durch die Enthaltung der sozialistischen Abgeordneten möglich geworden. Der Grund für ihr Votum: Im Dezember hätten zum dritten Mal Neuwahlen stattfinden müssen, bei denen die Sozialistische Partei (PSOE) allen Wahlprognosen zufolge eine verheerende Niederlage erlitten hätte. Doch die Absicht, Rajoy in den Regierungssattel zu heben, war und ist nach wie vor innerhalb ihrer Reihen äußerst umstritten. Obwohl die Parteiführung ihre Mandatsträger dazu aufforderte, die offizielle Linie der Enthaltung mitzutragen, stimmten 15 von ihnen mit Nein. 

Die Zerrissenheit der PSOE und ihr Unbehagen in dieser Frage kam auch in der Parlamentsrede ihres Sprechers Antonio Hernando zum Ausdruck, als er sich direkt an Rajoy wandte: „Weder Sie noch ihr politisches Projekt können auf unser Vertrauen zählen, weil Sie nicht der Repräsentant sind, den Spanien braucht.“ Weiter betonte er: „Sie sind in einer klaren Minderheit und stehen unter genauer Beobachtung dieses Parlaments. Unsere Absicht ist es, jeden Schritt, den Sie gehen, genauestens zu prüfen.“

Zuvor hatte Rajoy auf die Erfolge seiner Regierung in der Wirtschaftspolitik hingewiesen: „Die ökonomische Situation in unseren Land hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert.“ Die neuesten Daten des Statistikamtes geben dem konservativen Regierungschef recht: Die Arbeitslosenquote sank von 26,9 Prozent (2012) auf 18,9 (September 2016). Allerdings sind viele neue Arbeitsverhältnisse zeitlich begrenzte Verträge, die nach der Tourismus-Saison wieder auslaufen. Als Ziel seiner Regierungsarbeit nannte Rajoy, die Zahl der versicherungspflichtigen Arbeitsplätze von derzeit 17,7 auf 20 Millionen (2020) zu erhöhen. Gleichzeitig appellierte er an die Parlamentsparteien, ihn dabei zu unterstützen: „Spanien braucht eine Regierung, die auch regieren kann.“

Die linksradikale Podemos-Bewegung sorgte während der Parlamentsdebatte für Aufruhr, als ihr Sprecher Pablo Iglesias auf die starke Polizeipräsenz in der Madrider Innenstadt hinwies und erklärte, es würden mehr Verbrecher im Parlament sitzen, als draußen auf der Straße zu finden seien. Daraufhin bezichtigte PP-Sprecher Rafael Hernando Podemos, sich von Diktaturen finanzieren zu lassen. Er spielte damit auf undurchsichtige Geldüberweisungen Venezuelas an. Dieser Vorwurf führte wiederum dazu, daß die Podemos-Fraktion unter Protest kurzzeitig den Plenarsaal verließ.

Für Rajoys PP wird diese Legislaturperiode, sollte sie es tatsächlich schaffen, die nächsten vier Jahre durchzustehen, wahrlich kein Honigschlecken werden. Sie muß versuchen, auf zahlreichen Politikfeldern Kompromisse zu schließen, vor allem mit den Sozialisten, und wenn die nicht wollen, dann mit kleineren Parteien. Die erste entscheidende Nagelprobe steht an, wenn sie den Haushalt für 2016 einbringt. Die Unterstützung der Sozialisten, ihn im Parlament passieren zu lassen, ist keineswegs gesichert.

Zu den wichtigsten Baustellen gehören neben einem weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit die Sanierung der Rentenversicherung, eine Verbesserung des Schulsystems, eine Finanzreform der autonomen Provinzen sowie die Eindämmung der Korruption, die die bürgerliche Ciudadanos, eine Partei, die hinter Rajoy steht, einfordert.