© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Pankraz,
Roboterjournalisten und der würdige Witz

Höchst erfrischend der Vortrag von Professor Wolfgang Wahlster vom Karlsruher „Forschungszentrum Künstliche Intelligenz“ vorige Woche bei den 30. Münchner Medientagen. Kein Roboter, kein Algorithmus, so Wahlster, werde je in der Lage sein, Gefühle zu haben oder Witze zu verstehen. Das traf ins Schwarze und dementierte gleichzeitig den Obertitel der Tagung, welcher „Mobile & Me“ hieß. Umgekehrt wäre besser gewesen: „Me & Mobile“. Immerhin wurde der Obertitel vom Untertitel einigermaßen korrigiert. Dieser lautete: „Wie das Ich die Medien steuert“.

Wer steuert wen? Einig wurde man sich in München darüber nicht. Immer wieder hörte man das Wort vom „Roboterjournalismus“. Lebendige  Journalistenmenschen, so hieß es, schauten gar nicht mehr selber hin und urteilten auch gar nicht mehr selber, sondern orientierten sich nur noch an Algorithmen, deren Herkunft meist „intransparent“ sei. Und die Auftraggeber der Journalisten in den Führungsetagen dächten ohnehin nur noch über die Einsparung von Personal- und Reisekosten nach. 

Interventionen wie die von Wolfgang Wahlster waren da hochwillkommen. Natürlich verwies auch er auf die wachsende Macht der letztlich anonym aus den Computern strömenden Algorithmen, es werde da ungeniert „selektiert, aggregiert, präsentiert“, als gebe es nicht die geringste Alternative. Doch jeder gute Journalist sollte sich bei ihrer Benutzung stets vor Augen halten, daß solche Quellen nicht wirklich verläßlich seien.


Selbst bei vollster Transparenz, so weiter Wahlster, würden bei den Algorithmen Fakten und Meinungen ausschließlich nach dem simplen Schema „Mehrheit hier, Minderheit da“ sortiert. Es herrsche die Diktatur der reinen Quantität. Indes, das Leben, auch das politische Leben, in der Demokratie, sei nun einmal nicht exklusiv auf Quantität gegründet, sondern auch und nicht zuletzt auf Qualität, auf tief individuelle Empfindungen und Gefühle – und auf Witze! Roboter können keine Witze verstehen, geschweige denn welche selber machen – ein neues, bisher unerörtertes Thema, das es verdient, ein bißchen weiter bedacht zu werden.

Bisher ist noch kaum aufgefallen: Der Witz ist jene Kommunikationsform, die wir Menschen ganz für uns allein haben. Keine andere lebendige Kreatur, weder Tier noch Pflanze, macht Witze. Mag sein, gewisse hochentwickelte Tierarten, Schimpansen, Delphine, Raben, verfügen über eine durchaus nuancenreiche Sprache, können „denken“, nämlich logifizieren, Schlüsse ziehen, Werkzeuge herstellen. Mag sein, sie können auch lachen, Scherze machen, spielerisch Fallen stellen. Witze jedoch können sie nicht machen.

Man könnte sagen: Der Witz ist das einzige unanfechtbare Freistellungsmerkmal des Menschen, seiner Fähigkeit, buchstäblich alles in Frage zu stellen, ohne dabei in Nihilismus und absolute Weltfeindschaft zu versinken. Einzig die Liebe im anspruchsvollsten Sinne des Wortes steht ihm im Rang gleich, doch sie ist „nur“ ein großes Gefühl, das größte, das aber dennoch der Sprache bedarf, um Dauer und einigermaßen Kontur zu gewinnen. Der Witz hingegen ist eine Sprachfigur,  die den positiven Sinn der  Sprache, der ja in Welterhellung besteht, ausdrücklich ignoriert, ihn gleichsam auf die Schippe nimmt. 

Wohlgemerkt: Der Witz mißbraucht die Sprache nicht, benutzt sie nicht als Mittel der Lüge, der Täuschung oder des schlimmsten Eigennutzes, er nimmt sie „auf die Schippe“, das heißt, er distanziert sich von ihr, ohne die er doch nicht leben kann, er nimmt sich also eine Freiheit heraus, die eigentlich tödlich ist – und die dennoch Spaß und Gelächter und existentielle Genugtuung erzeugt, selbst dann, wenn es sich um einen schlechten, gar bösen Witz handelt, über den man eigentlich weinen müßte.


Der von „Witzforschern“ als angeblich kürzester Witz, der denkbar sei, ausgewählte geht folgendermaßen: „Ein Skelett kommt zum Arzt. Sagt der: Na, Sie kommen aber reichlich spät.“ Alles steht hier auf dem Kopf und zeugt von purem Unsinn beziehungsweise kaltem Zynismus. Wieso kann ein Skelett noch „kommen“? Wo bleibt in dem Arrangement der Respekt vor der Würde der Toten? Und was ist das für ein Trottel von Arzt, der eine derart abgrundtief dumme Frage stellt? Trotzdem ist der Witz, findet Pankraz, gut. Es ist zwar ein böser Witz, aber jedenfalls kein schlechter. Man lacht über ihn.

Allein die Roboter – um auf den Münchner Vortrag von Professor Wahlster zurückzukommen – würden nicht mitlachen können. Sie würden nicht einmal ihre künstliche Nase darüber rümpfen können. Ihnen fehlt nicht nur, im Gegensatz zu jedem Schoßhündchen oder jedem Wellensittich, jeder Anflug von Liebe, sondern eben auch jedes Verständnis für die vertrackte Sprachstruktur (besser: Über-Sprachstruktur) des Witzes, und sei dieser noch so gut oder schlecht. Algorithmen können weder richtig fühlen noch richtig denken.

Roboter sind Maschinen, die gar nicht in der Lage sind, sich auf Gefühle oder Witze einzulassen. Sicherlich, sie können unendlich viele Daten sammeln und irgendwelche Nutzer damit beliefern, wobei sie immer das ihnen seit Leibniz’ Zeiten beigegebene Entweder-Oder-Programm ins Spiel bringen. Entweder Null oder Eins, das ist die einzige Alternative, die sie intus haben. Ansonsten spulen sie in Windeseile ihren ihnen ebenfalls beigegebenen Abzählmechanismus ab und klicken stur bei der entsprechenden Mehrheitsposition ein, die angeblich die Wahrheit repräsentiert und zum politischen Erfolg führt.

Neben KI-Spezialisten und prominenten Medienvertretern hatte übrigens auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Münchner Tagung einen Auftritt. Sie ermahnte die Roboter- und Algorithmenfirmen, ohne Namen zu nennen,  zu „Transparenz“ in ihren  Auftragsbüchern, lobte aber erwartungsgemäß den modernen Roboterjournalismus wegen seiner klaren Alternativlosigkeiten. Ihre Rede war übrigens witzlos.