© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

CD-Kritik: Philippe Jaroussky
Wiegenlieder
Jens Knorr

Die deutsche Sprache war nicht die Sprache der Kastraten, und sie ist auch die Sprache Philippe Jarousskys nicht. Erstmals singt der französische Countertenor Bach und Telemann und erstmals singt er in deutscher Sprache: zwei der berühmtesten und gewichtigsten Solokantaten Bachs aus dessen Leipziger Zeit, „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ BWV 170 und „Ich habe genug“ BWV 82, und zwei Passionskantaten Telemanns, „Die stille Nacht“ TWV 1:364 (Der am Ölberg zagende Jesus) und „Jesus liegt in letzten Zügen“ TWV 1:983 (Der sterbende Jesus).

Jaroussky empfindet, was er singt, aber weiß er es auch auf deutsch? Seine instrumental geführte Stimme schmiegt sich der Oboe d’amore an, geblasen von Ann-Kathrin Brüggemann, und beiden der zart zage Stil des Freiburger Barockorchesters. Es scheint, als solle alles vermieden werden, was an den formgestrengen Bach und überhaupt an das deutsche protestantische Pfarrhaus erinnern könnte. Georg Philipp klingt gleich Johann Sebastian, weltzu- gleich weltabgewandt, nur die Konsonanten klingen nicht immer mit. Der Zugewinn an intimem Zwiegespräch mit Gott ist mit einem Verlust an Eloquenz erkauft, insbesondere in den Rezitativen.

Die Sehnsucht nach dem himmlischen Leben auszudrücken braucht es eine irdische Stimme und nicht die eines Engels. Der hat seins ja schon.

Bach, Telemann: Kirchenkantaten CD+DVD Erato 2016  www.philippejaroussky.fr