© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Man sitzt versonnen vor dem Glas Cabernet und blickt noch einmal auf die schlanke braune Flasche aus dem Rheinhessischen und sagt sich „Die Erderwärmung hat, Polkappen hin oder her, auch ihr Gutes.“

˜

Und dann hat irgendein Unhold die Weiblichkeit der Region mit Aubergine übergossen und ihrer angestammten Haarfarbe beraubt.

˜

In der aktuellen Ausgabe von Eléments äußert der Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus, ein Mann der Linken, daß die neue Rede vom „Bürgerkrieg“ in Frankreich ihre Wurzeln in Aufklärung und Revolution habe. Bis 1789 sei es bestenfalls zu Rebellionen gegen die Souveränität des Königs gekommen, die die Einheit des Staates als solche aber nicht in Frage stellten. Aber dann erklärten die Parteigänger des Umsturzes Adel und Klerus, die „Weißen“, die Bauern der Vendée und schließlich die eigenen Leute, die als unzuverlässig galten, zu Feinden, die mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft werden müßten. Aufgrund der Schwierigkeit, die Einheit der Nation nach Beseitigung der Monarchie in irgendeine erfahrbare Form zu bringen, infolge der Entwurzelung durch die beiden Weltkriege, die Verstädterung und die Masseneinwanderung habe sich das Problem immer weiter verschärft. Die Versuche der Politischen Klasse, dem mit irgendwelchen Abstraktionen zu begegnen – die Republik, die Menschenrechte etc. –, seien zum Scheitern verurteilt, weil sie dem Loyalitätsempfinden keinen Anhalt bieten könnten.

˜

Bildungsbericht in loser Folge XCIV: Die Forderung des Türkischen Bundes, den Deutschzwang auf Berliner Schulhöfen zu beseitigen, lehrt: a) daß diejenigen, denen man lange genug eingeredet hat, daß sie diskriminiert werden, das irgendwann auch glauben; b) daß sie dann zuerst nach Gleichheit und kurz darauf nach Privilegierung verlangen; c) daß es gewisse kulturelle Prägungen gibt, die ein Sensorium für die gebotene Zurückhaltung vermissen lassen.

˜

Das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit bei einer Generation, die Geschenkpapier nur einmal verwendet, entbehrt jeder Glaubwürdigkeit.

˜

Bildungsbericht in loser Folge XCV: Die Ergebnisse des „IQB Bildungsberichts 2015“ wurden anfangs bejubelt, alldieweil die Schülerschaft im Deutschen und im Englischen besser abgeschnitten hat als bei einer ähnlichen Überprüfung Jahre zuvor. Nur verschämt wies man darauf hin, daß die üblichen Verdächtigen – also die lange rot oder rot-grün regierten Länder, insbesondere Nordrhein-Westfalen und die Stadtstaaten Bremen und Berlin – nichts dazu gelernt haben und der bisherige Musterknabe Baden-Württemberg unter Führung einer grün-schwarzen Koalition abgefallen ist. Nachdem Einzelheiten bekanntgegeben wurden, stellt sich die Sache noch etwas anders dar. So erkühnt sich die Leiterin der Studie, die Bildungsforscherin Petra Stanat, vor weiteren „Eingriffen in die Schul-strukturen“ zu warnen, und aus dem bürgerlichen Lager ertönt wie üblich die Forderung, die „Reformitis“ im Schulbereich zu beenden. Aber was soll das bewirken? Die Lage des ganzen Schulwesens ist mittlerweile so desaströs, daß nichts hilft, als sich an die Äußerung des unseligen Hartmut von Hentig zu erinnern, der schon vor vierzig Jahren meinte, auf dem Gebiet der Bildung eine Wende herbeizuführen, komme der Säuberung der Augiasställe gleich – und ein Herakles ist nirgends in Sicht.

˜

Eine Forschergruppe der Universität Barcelona hat genetische Untersuchungen an Eingeborenen Australiens, Papuas und der Andamanen durchgeführt. Zu den überraschenden Ergebnissen gehört, daß sich in der DNA der Aborigines abgesehen von den Erbinformationen, die dem anatomisch modernen Menschen zugeordnet werden, der bekanntermaßen Asien und Australien besiedelt hat, auch solche finden, die man weder auf ihn, noch auf den Neandertaler oder den sogenannten Denisova-Menschen zurückführen kann. Die Überlegungen der Wissenschaftler gehen jetzt dahin, daß man es mit Erbgut des Homo erectus zu tun haben könnte, das sich nur hier erhalten hat.

˜

Man entgeht ihr nicht, der anrollenden Welle von Stellungnahmen zur Reformation. Jeder äußert sich, oder fast jeder, und in jedem Fall Leute, die besser den Schnabel halten sollten, irgendwelche aus der Zeit gefallenen Altachtundsechziger zum Beispiel, die sicher keinen Text Luthers gelesen, oder nicht zu Ende gelesen oder nicht verstanden haben. Friedrich Christian Delius zum Beispiel, um wenigstens einen Namen zu nennen.

˜

Der Vortragende erläutert, daß die Zugehörigkeit zum Judentum im Regelfall durch Abstammung geklärt sei: Jude ist, wer von einer Jüdin geboren wird. Es meldet sich eine junge Dame aus dem Publikum, aufgeregt: „Ich habe zwei Pässe, einen deutschen und einen türkischen. Aber dann ist doch ganz klar: Ich bin Türkin.“ Perplexes Schweigen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 18. November in der JF-Ausgabe 47/16.