© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Er schmolz Stahl und Herzen
Fernsehliebling und Poltergeist: Nachruf auf den Schauspieler Manfred Krug
Albrecht Klötzner

Wenn es je eines real existierenden Beweisen bedurfte, daß man als zeitweilig daherkommender Stinkstiefel dennoch abgöttisch vom Publikum geliebt werden kann, hat ihn ein Mann über Jahrzehnte erbracht: Manfred „Manne“ Krug. Der Schauspieler, Sänger und Autor starb vergangene Woche in Berlin im Alter von 79 Jahren. Seine Familie gab das erst eine Woche später bekannt – auf ausdrücklichen Wunsch von Krug, der nie großen Bohei um sein Privatleben mochte, ja regelrecht ausrasten konnte, wenn ihm Journalisten „auf den Zeiger“ gingen. Die Todesursache nannte seine Familie nicht. Medien spekulieren über Lungenentzündung und Krebs. „Unser Krug ging solange zum Brunnen, bis er brach“, kalauerte die Bild-Zeitung anläßlich seines Ablebens ziemlich pietätlos.

Bereits vor neun Jahren erlitt der Raucher, Jazz-Sänger, Dissident, Eigenbrötler, Schauspieler und TV-Liebling (nicht nur in Kreuzberg) einen Schlaganfall und vor drei Jahren einen Herzinfarkt: „Wir essen nicht gesund, machen nicht ausreichend Sport. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn wir irgendwann mal einen Schlaganfall kriegen“, sagte er danach selbstironisch in einer Fernseh-gesprächsrunde. 

Krug wurde 1937 in Duisburg geboren. Zwei Jahre später übersiedelte die Familie nach Hennigsdorf, einer besseren Anstellung des Vaters wegen. Ossi und Wessi waren damals noch kein Thema und die Russen noch zu Hause hinter Königsberg. „Vielleicht bin ich kein Christ geworden, weil es mir von Kindheit an schwerfiel, an den lieben Gott zu glauben. Aber die Bibel habe ich freiwillig gelesen, und sie hat mir geholfen, mich gegen andere über weite Strecken wie ein Christ zu benehmen“, sagte Krug einmal. Wie sein Vater lernte er Stahlschmelzer. Das war 1949 und die Russen nun da. Aus dieser Zeit stammt auch die markante Stirnnarbe, die er sich am Schmelzofen einfing. Flüssiger Stahl hinterläßt dauerhafte Spuren, wenn er spritzt. Bei Krug wurde das Mal Markenzeichen. So, wie sein riesiger „Gesichtserker“, die omnipräsente Zigarre und der Bariton. „Niemand liebt dich so wie ich“… hätten Grönemeyer oder Lindenberg das gesungen, klänge es nach Drohung. Bei Krug schmolzen die Herzen wie vorher der Stahl. Gelernt ist eben gelernt.

Die fünfteilige LPG-Gründungs-Verherrlichungsserie „Wege übers Land“ von 1968 ist im Osten mindestens so bekannt wie die Serie „Liebling Kreuzberg“, die von 1986 bis 1998 lief und geliebt wurde.  

In den sechziger Jahren wurde Krug indirekt sogar Unterrichtsstoff. Die Literatur-Lehrerin legte „Die Kuh im Propeller“ auf den Plattenspieler. Ein Stück, in dem ein ziemlich ungeschickter Russen-Agitator, der die Bauern zum Eintritt in die Kolchose überreden soll, davon schwärmt, daß der Propeller eines neu anzuschaffenden Agrarfliegers derart stark sei, daß er ohne weiteres auch Kühe und Pferde schreddern könne, was natürlich die scheuen Bauern um ihr Vieh bangen ließ und der Agitator erfolglos abzog. Diese Krug-Interpretation dürfte allerdings Herrschaftswissen von „Ossis“ sein. 

Den ersten politischen Warnschuß quittierte Krug noch mit Schweigen: 1966, als der Defa-Film „Spur der Steine“ nach nur drei Kino-Aufführungen auf SED-Befehl in den Giftschrank wanderte. „Antisozialistische Tendenzen“ lautete die Begründung. Zimmermann und Vorarbeiter Hans Balla (Krug) erwiderte darin beispielsweise dem sich vorstellenden Parteisekretär: „Na und, ich bin Pittiplatsch der Liebe“ und goß ihm per kurzem Nicken das gesammelte Regenwasser aus der Hutkrempe über den Anzug. 

Das Glück der DDR-Führung, Künstler-Koryphäe Krug auch als Sozialismus-Posaune nutzen zu dürfen, währte bis 1977. Nach Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns erhielt Manfred Krug Berufsverbot. Ein halbes Jahr später reiste er „freiwillig“ in den Westen aus und begann bei Null. Lediglich einen kleinen Pkw-Anhänger durfte er mitnehmen. Dabei soll er über eine beachtliche Ansammlung antiker Möbelstücke verfügt haben. In der DDR gab es auch die Mär, daß Krug gezielt Haushalte nach historischen Möbeln abfragte, die er dann zum „kleinen Schein“ erwarb. Ob es stimmt, ist unklar.

Der Start im Westen gelang problemlos: Von „Sesamstraße“ über „Tatort“, „Liebling Kreuzberg“ und „Auf Achse“ – er war als Schauspieler begehrt und beliebt als TV-Poltergeist mit Herz und Zigarre. Lediglich seine geliebte Singerei war zwischen Flensburg und Garmisch kommerziell nur mäßig nachgefragt. 

Privat war Krug offenbar ebenfalls als Poltergeist unterwegs. 1991 stand er in Calw vor Gericht, weil er einen „nur“ 70 Stundenkilometer langsam fahrenden Golf-Fahrer vor ihm auf der Landstraße zuerst überholt, ausgebremst, dann geboxt und geohrfeigt haben soll. Krug war im Mercedes auf dem Weg zum Theater und wollte pünktlich sein. „Pech“ für den offenbar untermotorisierten Golf-Piloten, der die Steigung nicht schneller bewältigen konnte. 

Er habe die „ostkulturelle Szene geprägt wie die Spreewaldgurke und Rotkäppchen-Sekt“, ruft die Sächsische Zeitung Manfred Krug anläßlich seines Todes wohlmeinend, aber in Wirklichkeit respekt- und geschmacklos nach. Besser: Ein Großer ist gegangen – Ersatz für ihn ist weit und breit nicht in Sicht.